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Tamiflu

Der Wille zum Geld und die Unabhängigkeit der Wissenschaft

von Jan Beaufort

Obwohl unser Weblog primär den Problemen rundum der mutmaßlichen mittelalterlichen Fantomzeit gewidmet ist, bringen wir unter der Rubrik Fundsachen regelmäßig Beiträge zu anderen chronologie- bzw. wissenschaftskritischen Themen – wie das bekanntlich auch in den Zeitensprüngen der Fall ist. Schließlich besteht ein Haupthindernis für unsere Forschung darin, dass die akademische Wissenschaft sie nahezu vollständig ausblendet. Dieses Unterdrücken von unliebsamen “Mindermeinungen” ist aber nicht nur ein Problem der Mediävistik oder der Geschichtswissenschaft, sondern des Wissenschaftsbetriebs überhaupt.

Der Philosoph Michel Foucault sprach in diesem Zusammenhang einmal von einer “Ausschließungsmaschinerie”, die Folge eines von der Wahrheit selbst zu unterscheidenden und häufig in die Irre gehenden “Willens zur Wahrheit” wäre (Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, München 1974). Als Beispiel eines Ausgeschlossenen nennt er Gregor Mendel, der lange Zeit in akademischen Kreisen keine Chance hatte, weil die Darwinisten das Feld beherrschten. Die Frage ist allerdings, ob neben oder vielmehr unterhalb dem vergleichsweise gutmütigen Willen zur Wahrheit nicht noch ein ganz anderer Wille am Werk ist, zu dessen Verständnis eher ein Karl Marx oder ein Gunnar Heinsohn heranzuziehen wären.

Zumindest legt die Lektüre eines gerade erschienenen Spiegel-Artikels über die aktuelle weltweite Grippe-Angst insbesondere bei der WHO und bei einigen GesundheitsministerInnen solche Gedanken nahe. Der Artikel trägt den Titel Experte warnt vor Viren-Hysterie. Zu Wort kommt der britische Forscher Tom Jefferson, der nach der Auswertung zahlreicher Influenza-Studien die überraschende Ansicht formuliert, dass die Grippegefahr “systematisch überschätzt” wird. Bemerkenswert an der Aussage des kritischen Wissenschaftlers ist der Hinweis, “dass mit der Grippe-Angst nicht zuletzt Geld verdient werden soll”.

So würde eine Schweinegrippe-Impfung für die ganze Bevölkerung allein in Deutschland zwei Milliarden Euro kosten. Die Krankenkassen, die für Zahnersatz und Brillen angeblich kein Geld mehr haben, müssten diese Kosten übernehmen. Wo die Gelder hinfließen, verrät uns das Nachrichtenmagazin leider nicht. (Unsereiner träumt gelegentlich davon, dass sich der Spiegel auf alte, vorwendezeitliche Tugenden besinnt und mal wieder so richtig kritisch nachfragen würde.)

Im Artikel wird auch das Medikament Tamiflu erwähnt. Über dieses “Heilmittel” hat Gerd Anwander im Zeitensprünge-Beitrag Vom wissenschaftlichen Betrug und seinen zuweilen tödlichen Folgen berichtet (2/2006, S. 517 – 527, mit Dank an Carla für den Hinweis). Das war die Zeit der Vogelgrippe, der Leser wird sich möglicherweise erinnern. Der deutsche Gewinner jener Grippe war das Friedrich-Löffler-Institut (€ 10.000.000 Forschungsgelder). Schon damals wurde das Grippemedikament Tamiflu “in großem Stil international vorsorglich eingekauft”, Ex-US-Minister Rumsfeld soll als früherer Chef und Aktionär des Pharmakonzerns Gilead gut daran verdient haben. Die ausführliche Geschichte über die Markteinführung von Tamiflu, das heute ausgesprochen erfolgreich auch von Hoffmann-La Roche vertrieben wird, ist in einem alten Heft des NZZ Folio nachzulesen (Reto U. Schneider, Das Rennen um GS4104). Tamiflu verkürzt eine bestimmte, nicht allzu häufige Grippeform im statistischen Durchschnitt um einen Tag, wenn es innerhalb von 36 Stunden nach Grippebeginn eingenommen wird …

Problematisch ist natürlich, dass dieselben Firmen, die Geld mit Medikamenten verdienen, auch die Studien, die deren Wirksamkeit samt Nebenwirkungen prüfen, in Auftrag geben oder gar selbst durchführen. Das macht die Ergebnisse von vorneherein suspekt. Nicht ganz unähnlich verhält es sich im uns vertrauteren Bereich der C14- und Dendrodatierung, wo die vom Auftraggeber ersehnten Altersbestimmungen langfristig gewiss einträglicher sind als sperrige und schwer verständliche Resultate. In einer Zeit, in der die gefragteste Eigenschaft von Professoren die Fähigkeit zur Einwerbung von Drittmitteln ist, ist es für die Wissenschaft schwer geworden, unabhängig zu bleiben.

Apropos Vogelgrippe: In der Öffentlichkeit fast schon vergessen, experimentieren Wissenschaftler mit dem Virus fleißig weiter. Und so kann es schon mal zu unbeabsichtigten Kontaminationen von Impfstoffen kommen, wie im Labor der Biotest Ltd. in Tschechien, wo Frettchen dran glauben mussten. Das Personal ist nicht infiziert worden oder zumindest nicht erkrankt, was den Sicherheitsvorkehrungen zugeschrieben wird. Der österreichische Gesundheitsminister zu dem Vorfall: “Es bestand und besteht kein Anlass, die Öffentlichkeit über die Kontamination eines für Forschungszwecke hergestellten Materials mit Vogelgrippe-Virus (Influenza A/H5N1) zu informieren. Für die Öffentlichkeit war keine Gefährdung gegeben.” (Anfragebeantwortung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20. Mai 2009)