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Arno Borst, 8.5.1925 – 24.4.2007

von Heribert Illig

Fraglos ist mit Arno Borst ein Ausnahme-Gelehrter verstorben, darin durchaus mit dem jüngst verstorbenen Carl-Friedrich von Weizsäcker zu vergleichen. Während dieser Philosophie, Friedensforschung und Physik verband, beschäftigte Borst nicht nur die Mediävistik in ihrer ganzen Bandbreite über 1.000 Jahre, sondern genauso die Antike, die Linguistik oder Kalenderwesen und Komputistik.

Ihm gelang es, auch breitere Leserkreise für sein Forschungsgebiet anzusprechen, indem er Querschnitte durch das Mittelalter legte: 1973 mit „Lebensformen im Mittelalter“, 1988 mit „Barbaren, Ketzer und Artisten“, das heuer noch eine preisgünstige Neuauflage unter dem Titel „Die Welt des Mittelalters“ erlebt hat.

Am liebsten suchte er die Kontinuität. In seiner Doktorarbeit von 1953, die immer noch im Buchhandel erhältlich ist, ging er nicht nur den Katharern nach, sondern der Ketzergeschichte von der Antike bis weit ins Mittelalter. Als er nach Konstanz berufen wurde beschäftigte ihn das Mönchswesen am Bodensee und besonders auf der Reichenau. Dann wieder ging er der Rezeptionsgeschichte des Buches der Naturgeschichte von Plinius nach.

Doch spätestens seit 1988 legte er den Schwerpunkt auf das Kalenderwesen, auf die Osterrechnung, auf die Komputistik. Es gelang ihm, nach fast dreißig Jahren den selbstgesteckten Rahmen auszufüllen, indem er letztes Jahr die monumentale, dreibändige Ausgabe der „Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818“ abschließen konnte. Doch ist er hier bislang eher Spezialist für ein mühseliges Fachgebiet geblieben, dem die Kollegen nur wenig abgewinnen konnten.

Aus Sicht der Fantomzeitthese sind aber gerade diese seine Arbeiten von höchstem Interesse. Es ist deshalb vielleicht kein Zufall, dass am 30.3., also kurz vor seinem Tod, eine längere Analyse abgeschlossen wurde. Sie ist mittlerweile in den „Zeitensprüngen“ erschienen und wird hier wiedergegeben.

Karolingische Komputistik?

Zu Beda und Borst, Bischoff, Theophanes und Isidor

Abstract: Nachdem Arno Borst 21 karolingische Schriften zur Komputistik ediert und kommentiert hat, wird ein Vorschlag zu ihrer Umdatierung gemacht. Zugleich ergeben sich Datierungen für Isidor v. Sevilla, Beda Venerabilis und Theophanes Confessor. Das hier ausgebreitete Material enthält Argumente gegen Bernhard Bischoffs Paläographie, Ulrich Voigt (Chaos der Ostertafeln) und Andreas Birken (Anno Domini-Rechnung in Byzanz), dazu etliche Bestätigungen in der Kalenderdebatte. Schließlich ergibt sich auch Korrekturbedarf bei Wer hat an der Uhr gedreht?

1. Borsts komputistischer Zyklus

In den letzten zehn Jahren hat Arno Borst eine ganz erstaunliche Serie produziert. Was er 1990 als Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas in einem schlanken Bändchen skizziert hatte, hat sich – stets konkreter werdend – zu enormen Bänden ausgeformt: 1998 die karolingische Kalenderreform mit 921 Seiten, 2001 der karolingische Reichskalender und seine Überlieferung bis ins 12. Jahrhundert mit 823 Seiten, 2004 der Streit um den karolingischen Kalender, 228 Seiten, und nun Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, drei enorme Bände mit insgesamt 1.697 Seiten [diese hier lediglich mit B. und Seitenzahl zitiert]. Es geht durchweg um frühmittelalterliche Zeitkunde, um Komputistik, einen Begriff, den Borst mählich präzisiert, bis er zu einer umfangreichen Definition findet [B. 34 f.]. Das Wissen der damaligen Gelehrten
„stellte Mensch und Welt in die Zyklen von Tag und Nacht, des Mond- und Sonnenlaufs, des Großen Jahres (aus der Multiplikation des Sonnen- mit dem Mondzyklus) sowie der gesamten Weltzeit bis zu Jüngstem Tag und Ewigkeit. Sie vereinte Welt- und Zeitordnung, Zeitdeutung, Zeitgliederung und Zeitberechnung, mit Ethik, dem Nutzen der Zeit, mit Gottesdienst, Liturgie und Theologie; kurzum: sie verschmolz Kosmologie, Anthropologie und Religion“,
wie Johannes Fried [2006] in einer Laudatio auf Borsts Edition zusammenfasst. Nunmehr ist auch das eigentliche Mittelstück seiner Arbeit präsent:
„die Untersuchung der komputistischen Lehrbücher im fränkischen Reich und ihrer Abwägung zwischen der zu gewinnenden und der zu verlierenden Zeit. Jetzt wird diese Lücke geschlossen und die komputistische Zeitgliederung als Zentrum dargestellt, von dem die kurzfristige kalendarische Zeitnutzung abhing und die langfristige historische Zeitdeutung ausging“ [B. XII].
Borst hat damit ein Thema aufgearbeitet, das ihn allemal seit 1964 beschäftigte. Er legte schon vor den letzten zehn besonders fruchtbaren Jahren ein zugehöriges Werk vor, „eine Skizze mittelalterlicher Meinungen über Natur und Zahl“ [B. 1994, VIII]: Das Buch der Naturgeschichte. Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments, 443 Seiten. Im dortigen Vorwort gesteht Borst, welches Hindernis er überwinden musste, um diese Sisyphusarbeit zu leisten, deren weitere Teile er damals bereits vorbereitete. Aber:
„Der Kreis schließt sich trotzdem nicht. Denn vor dreißig Jahren sträubte ich mich gegen das Ergebnis, zu dem jetzt das Studium der Handschriften führt: Die Erforschung der Natur begann im lateinischen Europa nicht um 1120 an den Hochschulen Frankreichs, sondern um 780 am fränkischen Königshof; ihr erster Anstoß kam nicht vom Staunen über die Vernunft im Kosmos, sondern vom Zwang zur Regelung der Feiertage und Arbeitszeiten; ihre frühesten Lehrmeister hießen nicht Platon und Aristoteles, sondern Plinius und Beda“ [B. 1994, VIII].
Wie damals berichtet [Illig 1997], rieb sich Borst fortwährend an Ivan Illich, der drei Jahre zuvor klargestellt hatte, dass die moderne wissenschaftliche Literatur ihren Ausgang ab 1120 genommen hatte: Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Illich richtete sein Augenmerk auf den Moment,
„als – nach Jahrhunderten des christlichen Lesens – die Buchseite sich verwandelt; aus der Partitur für fromme Murmler wurde der optisch planmäßige gebaute Text für logisch Denkende“ [Illich 8].
Weil Borst am Lorscher Reichskalender diese Wandlung schon für 789 konstatierte, dekretierte er nach 30 Jahren des Zögerns, schon die karolingischen Wissenschaftler hätten diesen entscheidenden Schritt hin zur Wissenschaft, besser gesagt zur Hochscholastik getan [vgl. Illig 1997, 335 ff.; 1998]. Nun war für Illich wie für Borst klar, dass nach dieser frühen Hochblüte unter dem großen Karl lange keine weiteren Texte bekannt sind, die den neuen Impuls von 789 weitergetragen hätten. Aus Borsts Sicht hat es keine spätkarolingische Komputistik von größerer Relevanz gegeben, sondern nur Ermattung spätestens ab 850 [B. 1990, 41 f.]. Es wirkt aber nicht überzeugend, wenn man einerseits die fränkischen Kalenderkünste nach 820 schwinden sieht, jedoch einem ca. 860 datierten Codex entnimmt: Seine Existenz „beweist immerhin, daß die karolingische Komputistik noch lange nach ihrem Erlahmen in Oberitalien gelehrte Studien hervorrief“ [B. 234].

Auch in seinem neuesten Buch hat Borst darauf verzichtet, dieses Vakuum zu motivieren, verhält sich also wie die Ägyptologen, die sich zufrieden zurücklehnen, wenn sie zu irgend einem Entwicklungsschritt im Land am Nil sagen können: „bekannt schon seit der 1. Dynastie“. Würden sie die Entwicklung weiterverfolgen, müssten sie betroffen feststellen, dass dieser Schritt wieder restlos vergessen werden konnte, was zu immer wieder gleichem meisterlichen Beherrschen und gleichem Vergessen geführt hätte [vgl. Heinsohn/Illig 48-56]. Somit konnte Borst den für uns wesentlichen Punkt in den letzten zehn Jahren nicht erhellen. Es wird auch nicht möglich sein.

Nunmehr lässt Borst in seinem neuen Buch [B. 77] das neue Denken schon vor 789 virulent werden: die Ostertafeln ab 721 mit ihrer Fülle von Zahlen waren zunehmend auf Schriftlichkeit angewiesen. Unbelastet von der nachfolgenden Lücke hat Borst nun 20 kalendarische Schriften ediert, die er in 135 erhaltenen Handschriften und 2 Druckausgaben verschollener Codices ganz oder teilweise aufgespürt hat, weitere Zeugnisse hier nicht gerechnet – eine editorische Leistung sondergleichen, weil allein die abschließende Drucklegung verschiedene Schrifttypen in mehreren Größen und viele Sonderzeichen verlangte, um sämtliche Varianten und Konkordanzen sauber darzustellen, kann sich doch ein Text durchaus in 54 oder auch 81 Codices und damit möglichen Varianten finden [z.B. B. 537, 664]. Dazu die heikle Frage der Fehlerbereinigung durch den Editor. So im Fall des Kölner Lehrbuchs von 805:

„Auch die sprachlichen Unebenheiten, die dem Kopisten unterliefen, können so nicht stehenbleiben; wenigstens jene Korrekturen sind nachzuholen, die der Autor selbst zwar versäumte, aber vermutlich ausgeführt hätte“ [B. 890: Hvhg. hier und im Weiteren von HI].
Und Borst sieht ein interessantes Detail: Die fränkischen Frühschriften zwischen ca. 720/780 blieben fast durchwegs nur in einer Handschrift erhalten, die so vorläufig notiert war, dass eine buchstabengetreue Wiedergabe sowohl für den heutigen wie schon für den karolingischen Leser unverständlich blieb. Dagegen sind die späteren Schriften in zum Teil sehr vielen Codices überliefert und sprachlich regelrecht normiert [B. 178].

2. Umdatierungen

Borst kann nicht verständlich machen, dass fränkische Gelehrte ihrem ersten Kaiser zuliebe einen intellektuellen Höhenflug starteten, den sie bald nach 820 vollständig abbrechen, um 10 Generationen später gegen 1120 denselben Höhenflug neuerlich zu starten. Deshalb wird hier – mit Berücksichtigung der Phantomzeitthese – versucht, die vorhandenen Manuskripte neu zu datieren.

2a) Abbo von Fleury

Borst selbst lenkt unser Interesse auf Abbo von Fleury (um 943–1004), neben Gerbert von Aurillac alias Papst Silvester II. (um 950–1003) das zweite mathematisch-astronomische Genie, das einen „Markstein in der Komputistik, den größten nach Beda und vor Bacon“ gesetzt hat [B. 1998, 326]. In Fleury, dem zweiten Begräbnisort des hl. Benedikts, dem heutigen St-Benoīt-sur-Loire, gab es eine seltsam verzögerte Entwicklung.

„Ein westfränkischer Schwerpunkt der Komputistik bildete sich schon seit der Mitte des 9. Jahrhundert in der Abtei Fleury aus. Doch ließ die nächste energische Zusammenfassung, die dann tatsächlich von Fleury ausging, noch fast zweihundert Jahre auf sich warten und war das Werk eines einzelnen Gelehrten, des Abtes Abbo von Fleury. In seinem ‚Computus vulgaris‘ (Abbo Comp.) verarbeitete er seit den 980er Jahren noch viele einzelne Anregungen aus karolingischen Schriften, vor allem aus der Salzburger Enzyklopädie [anno 818; HI]. Aber im ganzen löste er die Komputistik aus den literarischen Traditionen des Frühmittelalters und den politischen Innovationen der Karolingerzeit und richtete sie auf hochmittelalterliche Naturbeobachtung und Nationalkultur aus“ [B. 1377].

Schon hier drängt sich eine alternative Sicht auf: Wurde ab ca. 980 jener Weg beschritten, der dann ab ca. 1120 zu einer ganz neuen Art wissenschaftlicher Literatur bzw. zur Hochscholastik führte? Dann ginge es gar nicht um den großen Sprung von 789 bis 1120, sondern um einen kleineren von 789 bis 980. Nachdem ein Kalender noch keinen gut gegliederten Text darstellt, ist diese neue Variante im Auge zu behalten. Die Entwicklung zwischen 980 und 1120 entspräche auf jeden Fall einem ganz anderen, ebenso von innovativer Pragmatik bestimmten Aufschwung: der Gewölbeentwicklung zwischen 980 und 1120 – vom kleinsten Gewölbe bis zur Vierung des Speyrer Doms [Illig 1996, 216 ff.].

Während der vollständigen Gewölbeevolution muss der komputistische Impuls „fast 200 Jahre“, genauer 160 bis 180 Jahre brachliegen. An anderer Stelle vermerkt Borst, dass ein Codex aus London („Lq“)

„um 830 geschrieben [wurde], eher in Lothringen als in Fleury; doch nahm Abbo von Fleury im Jahr 985 den Codex vielleicht nach England mit“ [B. 242].

Antiquarische Vorlieben mögen gut sein; aber nimmt ein progressiver Komputist ein über 150 Jahre altes Manuskript mit auf die Reise? Sicher nur dann, wenn es noch Aktualität und Relevanz besitzt. Hier geht es aber um einen Auszug aus der Aachener Enzyklopädie von 809, Alter 176 Jahre.

Abbo hat eine weitere Liebe zum Alten: Um die nach Beda neu zutage tretende Wahrheit weiterzugeben,
„entwarf Abbo einen immerwährenden Kalender, kunstvolle Tabellen mit Zahlen und Lettern, nach Art karolingischer Figurengedichte, aber viel zu umfangreich, um auswendig gelernt zu werden“ [B. 1990, 47].

Wir sehen hier den Gleichklang etwa mit Hrabanus Maurus (~780–856), der letztes Jahr wegen seines 1150. Todestages und wegen seiner Figurengedichte gefeiert worden ist [vgl. Illig 2006a, 146].

Setzen wir probehalber Abbos scheinbar weit entfernte Vorläufer tatsächlich dicht vor ihn. Abbo arbeitete ab 978 an seinem Computus vulgaris, der ihn bis zu seiner Ermordung beschäftigt hat. Bei seinem Aufbruch zum Kloster Ramsey, samt jenem alten Manuskript, war er noch mitten im kraftvollen Schaffen; drei Jahre später, ab 988, dem Jahr seiner Abtsweihe, blieb ihm nur wenig Zeit für die Wissenschaften.

Weil die Salzburger Enzyklopädie von 818 keine Wirkung mehr in den sog. karolingischen Zeiten gezeigt hat, also auch keine Folgen zu berücksichtigen sind (obwohl sie bis ins 12. Jh. kopiert worden ist), verrücken wir die entsprechenden Enzyklopädien von Aachen (809) und Salzburg (818) versuchsweise um 170 Jahre auf 979 und 988. Dann wären sie der letzte Ausläufer des frühmittelalterlichen Denkens, während Abbo bereits das Tor zur „hochmittelalterliche[n] Naturbeobachtung und Nationalkultur“ [s.o.] aufstößt.

Das komputistische Wissen des Abendlandes rührte nicht aus Himmelsbeobachtungen her, sonst wäre das Abdriften des Frühlingspunktes bereits vor 1000 bemerkt worden. Es wurde formuliert, als in Córdoba 961 Arib ben Sad al-Katib bereits den Himmel beobachtete und das Vorrücken der Tagundnachtgleiche auf den 16.3. im Kalender vermerkte. (Aribs Wert ist für uns nicht trennscharf, entspricht er doch dem aufgelaufenen Fehler seit Cäsar ohne Phantomzeit, doch genauso dem Fehler seit Nicäa mit Phantomzeit – in beiden Fällen vom 21.3. als Ausgangspunkt gerechnet). Abbo bemerkt erst Jahrzehnte später, um 1000, das einschlägige Datum sei nun der 18.3., doch das ist noch keine präzise Beobachtung [vgl. Illig 1999, 53 ff.]. Gegen 1074 schrieb Bernold dann zum 16. März: Equinoctium modernorum und zum 16.12.: Solsticium hiemale modernorum [B. 1998, 216].

Verständlich wird so der Umstand, dass noch um 1040 auf der Reichenau unter Abt Bern karolingische Handschriften gewälzt werden mussten, um mit dem Computus Augiensis ein neues Handbuch der Zeitrechnung zu verfassen [B. 1995, 215]. Wenn hier ein konservativer Wind wehte, dann brauchte es nicht zu verwundern, wenn auf die Libri computi von 809→979 zurückgegriffen wurde. Hermann der Lahme (1013–1054) sollte gerade in dieser Abtei für frischen Wind in der Komputistik sorgen.

Die vor 809 entstandenen 14 „karolingischen Schriften“, die von Borst ab 721 datiert werden, müssen nicht 88 Jahre abdecken, wenn wir erfahren, dass gerade ihr ältester Vertreter, das aquitanische Vorwort zur Ostertafel von 721 einzig und allein in einer spanischen Handschrift von 1056 vorliegt. Sie enthält als „gegenwärtiges Jahr“ das 722. nach Christi Geburt [B. 331]. Diese Datierung müsste Borst stören, denn die Verbreitung dieser Datierungsweise soll erst Beda Venerabilis mit seinem Hauptwerk von 725 befördert haben – doch stört er sich nicht daran. Eine derart unbedeutende Schrift wäre sicher nicht 335 Jahre später kopiert worden; dieser Abstand darf viel geringer ange nommen werden. Es scheint also möglich, diese kleineren Schriften zur Gänze zwischen 929 und 979 unterzubringen – das sind etwa 50 gegenüber 88 bisherigen Jahren.

2b) Beda Venerabilis

An der Reihenfolge dieser Frühschriften muss nichts geändert werden, denn bis 792 kennen sie Bedas Werke nicht [B. 463] – und zwischen 792 und 818 sind diese noch umstritten. Die Aachener Enzyklopädie von 809 bringt Bedas De natura rerum. So errang Bedas Naturbuch mitsamt dem Namen seines Autors „im fränkischen Kontinent Heimatrecht“ [B. 1064]. Die Salzburger Enzyklopädie (818) nennt Bedas Namen, wenn sie seine Naturgeschichte lückenlos wiedergibt; außerdem bringt sie eine anonym gehaltene Blütenlese aus Bedas De Temporum ratione.

„Dieses klare Bekenntnis zu Beda besiegelte seinen wissenschaftsgeschichtlichen Triumph. Den Bearbeitern wird nicht entgangen sein, daß sie damit der gesamten fränkischen Komputistik zwischen 721 und 809, auch dem Einspruch ihres Erzbischofs um 802, die Kanonisierung Bedas als Endziel unterstellten“ [B. 1372].

So hätte sich in der herrschenden Lehre Beda mühsam binnen 93 Jahren durchgesetzt. Das wirkt für ein derart epochales Werk fast irreal. Wenn wir der Durchsetzung Bedas jene 26 Jahre einräumen wollen, die sich aus der Tabelle ergeben (792–818), dann errechnet sich aus

703 →940 De temporibus,
703 →~940 De natura rerum,
725 →962 De Temporum ratione.

(Die Umrechnung schließt die Option ein, noch weitere zehn Jahre vorzurücken.) Das korrespondiert mit dem Umstand, dass um 993 das Interesse für Bedas Schriften neu aufflammte, übersetzte doch der Klosterlehrer Ęlfric Grammaticus, der bedeutendste altenglische Prosaschriftsteller, knappe Auszüge seiner drei Bücher ins Angelsächsische [B. 1995, 214]. Das muss im Abstand von 30 Jahren weniger verwundern als nach fast 270 Jahren, steht dann aber für Erstentdeckung, nicht für ein erneutes Aufflammen.

Die Tabelle auf S. 158 zeigt für den Abstand zwischen Schöpfung und Christi Geburt anfangs 11 Mal das Rechnungsergebnis von Eusebius/Hieronymus (nur beim Langobardischen Zwiegespräch vermutet Borst Bezug auf eine byzantinische Rechnung). Erst die karolingischen Enzyklopädien entscheiden sich für Bedas Kurzansatz. Hätte sich dieser bedanisch-karolingische Impuls durchgesetzt – wozu er in herrschender Chronologie genügend Zeit gehabt hätte –, dann hätte sich das weitere Mittelalter überhaupt nicht mehr mit Weltjahren herumgeschlagen. Nur bei Streichung der Phantomjahre verlieren die sog. karolingischen Enzyklopädien mitsamt Bedas Jahreszählung jede Wirkmächtigkeit, werden sie doch kurz nach Abfassung vom Millenniumswechsel ‘weggespült’. Egal, ob nun die Menschen vor dem Jahr 1000 zitterten oder nicht – ihren Einfluss entfaltete die falsche oder richtige Rechnung allein aus dem Umstand: 1.000 Jahre nach Christi Geburt.

So ist Beweismaterial genug bereitgestellt, um die sog. frühkarolingischen Schriften zur Komputistik – wie zunächst nur vorgeschlagen – tatsächlich aus dem 8. ins 10. Jh. zu übertragen.

3. Schöpfungsären

Diese Umdatierung wirft auch neues Licht auf die verschiedenen Schöpfungsrechnungen (AM = annus mundi). Christentum wie Judentum haben verschiedene Rückrechnungen auf den Schöpfungsbeginn angestellt, wobei es auch darum ging, vorwitzig die Gesamtdauer der Schöpfung rechnerisch zu antizipieren. Nach dem bekannten Bibelwort: Vor Gott sind 1.000 Jahre wie ein Tag, wurden aus 7 Schöpfungstagen 7 Weltjahre, also 7.000 Jahre gewonnen; Gottes Menschwerdung wurde analog zur Erschaffung des Menschen am 6. Tag im 6. Jtsd. gesehen, wobei der genaue Tag mehrfach festgelegt wurde. Unklar blieb, wie das Ruhen Gottes am 7. Tag einzustufen war: Jüngstes Gericht nach 6.000 Jahren, oder ab da das tausendjährige Reich des Antichristen oder 1.000 Jahre Reich Christi mit einem irdischen Statthalter. Verschiedene Rechner legten Christi Geburt in verschiedene Jahre (Umrechnungsschwankungen bis zu 1 Jahr vernachlässigt):

Jahr Urheber Christi Geburt im Schöpfungsjahr AM
203 Julius Africanus 5500
303 Eusebius (auch Hieronymus) 5199/5200
412? byzantinisch (Panodoros) 5493
691? byzantinisch 5509
725 Beda 3953
1150? jüdisch 3761
1650 James Ussher 4004

Die jüdische Ära ist erst unter Maimonides kanonisiert worden, also nach 1150 (bis dahin gab es konkurrierende Ansätze, die bis um 5 Jahre abwichen [Illig 1999, 131]). Africanus beließ dem Diesseits eine Restdauer von lediglich 297 Jahren. Eusebius verlängerte für seine Zeit auf 497 Jahre, woran sich noch die Krönung Karls d. Gr. taggenau hielt. Diese Sicht zieht sich durchs ganze Mittelalter, bis hin zu Hartmann Schedel, 1493. Er rechnet von der Erschaffung Adams bis zu Christi Geburt „vm.cxcix. iar“, also 5.199 Jahre [Blatt 95 seiner Chronik].

Hier ist eine Berichtigung notwendig [betrifft Illig 1999, 137 f.]. Bislang bin ich davon ausgegangen, dass Christi Geburt innerhalb des 6. Jtsd. von AM 5500 über 5200 auf 5000 gerückt worden ist, damit 1.000 Jahre später sowohl das 6. Jtsd. wie ein volles Millennium seit Christi Geburt vergangen wäre. Schedels Rechnung zeigt jedoch wie die seiner Vorgänger, dass die Geburt Christi bei AM 5200 geblieben ist – und ab da bis zum vollen Millennium und weiter (bei Schedel weitere 1.493 Jahre) gerechnet worden ist. Demnach lag Karls Krönungstag nach wie vor bei AM 6000, das Millennium jedoch bei AM 6200.

Bedas Rechnung stürzte alles, setzte sie doch Christi Geburt noch in das 4. Weltjahr; das ominöse Datum AM 6000 war nun hinfällig respektive erst 2047 n. Chr. zu erwarten, sofern man die Weltjahre nicht unterschiedlich lang ansetzte, wie es einst die Etrusker mit ihren saecula getan hatten.

4. Theophanes Confessor

In Wer hat an der Uhr gedreht? konnte ein Problem nicht hinreichend gelöst werden: Wer hat tatsächlich als erster zum Zeiger gegriffen: der Kaiser im Osten oder der im Westen? Zwar wurde Kaiser Konstantin VII. als eine Schlüsselfigur begriffen, die in den Zeiten ihrer Alleinregierung die Neuschreibung der antiken wie der byzantinischen Wissensinhalte durchführen lassen konnte. Als sein Motiv bezeichnete ich das Trauma vom Kreuzraub durch die Perser im August 614||911, damit also bereits zu Lebzeiten Konstantins. Im Westen ließ sich für Otto III. ein stärkeres Motiv finden: Kreuzverlust plus Stellvertretung Christi am Beginn des 7. Jtsd.! Dank seiner Mutter aus dem byzantinischen Hochadel wie dank seiner Einsetzung zweier Päpste (Gregor V., Silvester II.) gab es hier das einzige Zeitfenster für eine Aktion, die der östliche Kaiser nicht unbedingt mittragen, der er aber folgen konnte. Spätestens das große morgenländische Schisma (1054) und der Amtsantritt von Papst Gregor VII. (1073; Stichwort Investiturstreit) machten die drei Parteien zu Gegnern.

Weil ich keine Antwort darauf wusste, wie das Zusammenspiel zwischen Byzanz und „Deutschland“ abgelaufen ist, stellte ich in dem Buch beide Möglichkeiten gleichrangig nebeneinander („Zeiterfindung im Osten“, „Zeiterfindung im ‘wilden’ Westen΄).

Mittlerweile sieht Andreas Birken das Problem als gelöst an: Für ihn geht alle Zeitumstellung von Kaiser Konstantin VII. Porphyrogenetos aus. Er findet auch das Motiv des Handelns, indem er die Rechnung nach Christi Geburt Konstantin VII. zuschreibt.

„Dabei hat er die eigene Gegenwart mit Hilfe der christlichen Ära (Anno Domini) neu datiert, bzw. die Verkettung mit älteren Ären verändert […] Er hat auch keinen neuen Kalender geschaffen, sondern durch die Einführung der neuen Ära ‚nach Christi Geburt‘ den Abstand zwischen sich und Augustus um ca. 300 Jahre verlängert – so die These Illigs“ [Birken 2006, 749, 753].

Wäre das meine These gewesen, hätte ich auf die Doppelführung im Osten und Westen verzichten können. Und woher kam plötzlich die christliche Zeitrechnung für Byzanz, das nach der Seleukidenära mit verschiedenen Schöpfungsären gerechnet hat? Birken verwies mich bei dieser Frage auf den Chronisten Theophanes, der die Anno Domini-Rechnung benutzt hätte. Dieser war zu befragen.

Nach einer Beamtenlaufbahn bis zum Spatharios und einer Josefsehe gründete der um die Mitte des 8. Jhs. wohl in Konstantinopel geborene Theophanes mehrere Klöster und wurde Abt. Schrieb er sonst nur theologische Bücher ab, so versprach er seinem Freund Georgios Synkellos auf dem Totenbett, dessen unvollendete Weltchronik fortzusetzen, was er dann für die Jahre von 284–813 leistete. Dafür hatte er nur die Jahre zwischen 810/11 (Tod des Synkellos) und seiner Einkerkerung (814/15). Er ist 817 oder 818 gestorben. Sein Werk bildet einen ähnlichen Solitär wie im Westen das des Fredegars:

„Da Theophanes vornehmlich zur Belehrung seiner Klosterbrüder schrieb, dürfen wir weder höhere historische Kritik noch genaue Quellenangaben erwarten. Die Ereignisse sind jahresmäßig oft bunt zusammengestellt, mitunter sehr knapp geschildert, nur die letzte Zeit, wo er aus eigener Erinnerung, vielleicht auch aus einer nicht erhaltenen Stadtchronik schöpfte, ist ausführlicher behandelt. Der Wert seiner Chronik ist trotz der erwähnten Mängel unschätzbar, da er verlorene Quellen ausschreibt und für die Zeit von 769 bis 813 überhaupt die einzige erhaltene ausführlichere Quelle der byzantinischen Geschichte darstellt, auf die alle späteren Nachrichten über diesen Zeitraum zurückgehen“ [Breyer 16].

Wikipedia hebt hervor:

„Der Stil der Chronik orientierte sich offenbar gewollt an der Volkssprache, obwohl Theophanes selbst hochgebildet war. Er datiert dabei nicht nach der christlichen Ära, sondern zählt die Jahre nach der angeblichen Erschaffung der Welt (A. M.). Die Angaben zu den Regierungszeiten diverser Herrscher, die den Einträgen vorangehen, sind oft sehr ungenau oder schlicht falsch. Dies gilt auch für die übrigen Datierungen von Ereignissen, die stets nur mit Vorsicht übernommen werden sollten.“

4a) Das Datierungssystem Theophanes’

Also mangelnde Präzision bei großem Bemühen. Denn Theophanes baut ein Netz von Synchronismen auf, „das bei keinem anderen mitelalterlichen Chronisten so ausführlich und ausgeprägt ist. Er stellt den einzelnen Jahresab schnitten chronologische Tabellen voran“, für die als Muster das des Jahres 717 (!) n. Chr. stehen soll:

„Weltjahr: Seit der Mensch-
werdung Christi:
Kaiser der Byzantiner:
6209 709 [!] Leon der Isaurier
1. Regierungsjahr
Regierungszeit: 24 Jahre
Kalif der
Araber;
Bischof von
Konstantinopel:
Bischof von
Jerusalem:
Suleiman Germanos Johannes
2. Regierungsjahr 3. Amtsjahr 12. Amtsjahr
Regierungszeit: Amtszeit: Amtszeit:
3 Jahre 15 Jahre 30 Jahre“ [Breyer 21].

Fortgesetzt wurde Theophanes durch einige anonyme Chronisten, die als „Theophanes continuatus“ zusammengefasst werden und bis 961 gearbeitet haben. Georgios Monachos führte seinerseits die Chronik bis 842 fort. 60 Jahre nach Abschluss soll Anastasius eine Übersetzung ins Lateinische für das Abendland angefertigt haben, auf die Landolfus Sagax (975–1000) und Gotifredus Viterbiensis (1196) zurückgegriffen haben [Breyer 19].

Diese durchgängige Synchronisierung steht damals ohne Vorbild. „Zur Zeit des Theophanes existierte in der byzantinischen Welt keine allgemein akzeptierte Form absoluten Datierens“ [Mango/Scott lxiv]. Die üblichste Art war die Indiktionszahl, die Theophanes zusätzlich im Text bringen kann, der aber nicht zu entnehmen war, auf welchen 15-Jahres-Zyklus sie sich bezog. Selten benutzt wurden die beiden konkurierenden Rechnungen ab Weltschöpfung (AM = Annus mundi):

Alexandrinische Rechnung (Ära des Annianus) ab 25. 3. -5492
Byzantinische oder römische Rechnung ab -5508, präziser ab 1. 9. -5509.

Theophanes hat sich für die alexandrinische Rechnung entschieden. Beide Methoden haben die Menschwerdung Christi 5500 nach AM, doch die erste geht unserer christlichen Zählung 8 Jahre voraus, letztere dagegen 8 Jahre nach [ebd.; vgl. Illig 1999, 128 f.]. Die Entscheidung für AM 5500 als Christi Geburtsjahr lag damals schon weit zurück, geht sie doch auf Africanus und seine Rechnung von 203 zurück. Im Abendland hat Eusebius diese Rechnung ein Jahrhundert später umgestellt, worin ihm der hl. Hieronymus folgte, nach dem diese Zählung häufig benannt wird [B. 781]. So wurde das fabelhafte Krönungsjahr Karls d. Gr. als taggenauer Beginn des 7. und letzten Jahrtausends vorgegeben [vgl. Illig 1999, 134-139].

Bislang wurde von uns nicht berücksichtigt, dass gerade diese Umstellung um 300 Jahre der Ursprung von drei Jahrhunderten Phantomzeit gewesen sein könnte, zumal die jeweilige ‘Restlaufzeit’ der Welt von 297 (203–500) auf 497 (303–800) Jahre verlängert worden ist !

Byzanz hat diese Umstellung nicht mitgemacht. Insofern brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Diskrepanz von ± 8 Jahren zur westlichen Rechnung nie bereinigt worden ist, wie Byzanz auch die Rechnung des Eusebius nie übernommen hat. Überhaupt scheint dort das römische Christentum nicht interessiert zu haben, anders lässt sich die Liste der letzten Päpste bei Theophanes nicht interpretieren [Mango/Scott lxxi]:

Papst Jahre konventionelle Daten
„Gregor III. 9 dicht bei 11 (731–41)
Zachariaus 21 nahe 10 (741–52)
Stephan II. u. III. (752–7) von der Liste gestrichen
Paul I. 7 10 (757–67)
Konstantin 5 1 (767–68)
Stephan IV. 3 korrekt (768–72)
Hadrian I. 27 dicht bei 24 (772–95)
Leo III. 8 (?) 20 Jahre 6 Monate (795–816)“

Für Cyrill Mango und Roger Scott ist der Schluss zwingend: „Hoffnungslose Ungenauigkeit dieser Daten“ [ebd.]. Ein Abt Theophanes, der bis 813/14 geschrieben haben soll und wegen seiner romfreundlichen Position im Bilderstreit die Päpste besonders gut kennen sollte, hätte gerade die Amtsinhaber seiner eigenen Zeit nur ganz unzureichend gekannt, um so besser dafür die islamische Geschichte? Hier erwächst der zwingende Verdacht, dass diese Chronik nicht aus dem frühen 9. Jh., sondern aus einer späterer Zeit stammt, in der bereits mit Synchronismen gearbeitet wurde, in der aber die Papstliste für die Phantomzeit noch nicht fixiert oder zumindest noch nicht hinreichend in Byzanz bekannt war. (Das gilt ebenso für die Chronik des Hydatius aus dem 5. Jh., der sich als iberischer Bischof an Byzanz orientiert und sich deshalb bei Papsterhebungen zu seiner eigenen Lebenszeit um bis zu 7 Jahren irrt, während er Sonnenfinsternisse stundengenau berichtet [vgl. Illig 2001, 515]).

Die Zählung nach Christi Geburt ist nicht typisch für den Osten, sondern ein späteres, aber um 8 Jahre daneben liegendes Zugeständnis an den Westen.

Umdatierung verlangt der Inhalt der Theophanes-Chronik ohnehin, da sie im frühen 9. Jh. die erst später fixierte Geschichte des Islam bereits in der uns vertrauten Form kennt. (Es geht also auch darum, ob die Werke des konv. 923 verstorbenen at-Tabarī so früh geschrieben worden sind, wie Birken [2002, 493 ff.] gegen Weissgerber [2000] vertreten hat.) Theophanes kennt auch Karl den Großen und gönnt ihm anlässlich seiner Krönung eine besonders schöne Stilblüte:

„In diesem Jahr wurde am 25. Dezember, Indiktion 9, Karoulos, König der Franken, von Papst Leo gekrönt. Er beabsichtigte einen Schiffsüberfall gegen Sizilien, besann sich aber eines anderen und beschloss, stattdessen Irene zu heiraten“ [Mango/Scott 653; Übers. HI].

‘Sicherheitshalber’ berichtet Theophanes die Krönung vier Jahre vorher ein erstes Mal, wobei er hier bereits von der Rebellion gegen Papst Leo, dessen Blendung samt Wiederfindung seiner Sehkraft erzählen kann [ebd., 649].

So wir die Phantomzeitthese für richtig erachten, kommen diese Details zu früh für einen Konstantin VII., der ab 948, nur 37 Jahre nach Ende der Phantomzeit, unumschränkt regieren konnte.

5. Ostertafeln – ein Mängelbericht

Noch ein Aspekt ist zu bedenken: die großen Osterzyklen. Der älteste auf der Statue des Hippolytus umfasst 2 x 56 = 112 Jahre [vgl. Voigt 2006].

Victorius von Aquitanien rechnet nach 457 einen 532-jährigen und für beide Kirchen gleichermaßen annehmbaren Osterzyklus von 28–559, der damals 102 Jahre in die Zukunft reicht, dem jedoch Rom bereits für die Osterfeste von 501 und 520 nicht folgte [B. 329 f.; Bautz].

Dionysius Exiguus wagt sich 525 nur an 95 Jahre: 532–626. Seltsam sein Bezugspunkt:

„Als Angelpunkt zur Berechnung des Osterfestes wählte Dionysius immerhin ein durch Fachliteratur bestätigtes astronomisches Datum, die Tagundnachtgleiche im Frühling. Sie fand nach modernen alexandrinischen Berechnungen am 21. März statt, vier Tage früher, als Columella und Plinius nach antiquierten Quellen angenommen hatten“ [B. 1998, 78].

So hätte hier Dionysius vom 25.3. auf den 21.3. umgestellt, was Beda rückgängig gemacht hätte, nur um dann neuerlich korrigiert zu werden – eine überaus seltsame Abfolge. Da sich Dionysius allein auf das Konzil von Nicäa beruft [ebd., 77], an dem der 21.3. fixiert worden sein soll, kann 200 Jahre später, zu seiner Zeit, die astronomisch beobachtbare Tagundnachtgleiche nicht mehr auf dem 21.3. gelegen haben, sondern auf dem 20.3. oder sogar 19.3.; bei Bezug auf Caesars Reform ergeben sich sogar 17. oder 16.3. Dionysius weist immerhin darauf hin, der erste Osterzyklus habe im Jahr 1 v. Chr. begonnen [B. 1059].

Es folgt der obskure Felix Cyrillitanus mit weiteren 95 Jahren bis 721. Isidor von Sevilla wagt gleichfalls nur eine Tafel für 95 Jahre, ein Konglomerat verschiedener Teiltafeln ohne Jahreszahlen (s.u.).

Beda Venerabilis rechnet nicht nur den 532er-Zyklus von 532–1063, sondern auch den vorigen, wie dann auch die Aachener Enzyklopädie [B. 1059].

Die erste karolingische Ostertafel, die sich verräterischer Weise selbst auf 722 n. Chr. datiert (s.o.), umfasst ganz unpassende 198 Jahre, von 722–919 [B. 333].

Abbo von Fleury errechnet den Zyklus von 1064–1595, aber auch zurück bis Christi Geburt [B. 1989, 65].

Beda leistete die vollständige Berechnung von 532–1063. So er entsprechend obiger Betrachtung nach der Phantomzeit gelebt hat, konnte er sie in seiner Berechnung berücksichtigen, wobei er zur Sicherheit auch noch den ersten Osterzyklus (1 v. Chr. – 531 nachrechnend verbesserte [B. 1107]. Hier bleibt die Frage: Entweder hat er bereits vor Otto III., zu Zeiten von Konstantin VII. von der Phantomzeit gewusst, oder seine Ostertafel gehört gleichwohl ins 11. Jh.

Ein Kölner Codex („Ko“), auf 798/805 datiert, erhält von Borst ein Sonderlob: „Die Kontroversen des 5. und 6. Jahrhunderts über die Osterberechnung werden nirgends so systematisch gesammelt wie hier“ [B. 237]. Eine gemeinsame Basis zu finden, erwies sich über Jahrhunderte hinweg als unmöglich:

„Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts bemühten sich die römischen Päpste um einheitliche Antwort in Gestalt einer schriftlich ausgearbeiteten Ostertafel, nach der sich die gesamte Christenheit künftig richten sollte. Aber eben darüber entzweiten sich Ost und West von neuem: Der ‚lateinischen‘ Ostertafel, die Victorius von Aquitanien im Jahr 457 aufstellte (Victorius Cycl.), widersprach die ‚griechische‘ des Dionysius Exiguus aus dem Jahr 525 (Dionysius Lib.), nicht nur in den wichtigsten Einzeldaten der Zeitbestimmung, sondern auch in der Gesamtbewertung΄ [B. 329].

Beim Abgleich zwischen den Ostertafeln von Dionysius und Victorius klafften die Ostersonntage [öfters] um eine ganze Woche auseinander“ [B. 330]. Isidor brachte in seiner Enzyklopädie

„eine Ostertafel für 95 Jahre, jedoch ohne Jahreszahlen; nur Kenner bemerkten, daß sie nicht, wie zu erwarten, den Zeitraum von 627 bis 721 kontinuierlich umfaßte, sondern zuerst den jüngsten Teilzyklus von 627 bis 645 und danach vier ältere von 551 bis 626 brachte. Äußerlich sah diese Ostertafel einigermaßen dionysianisch aus“ [B. 330].

Die älteste durch Borst edierte Ostertafel (von 721) versuchte, Victorius und Dionysius gleichermaßen gerecht zu werden und war folglich ungerecht gegenüber beiden. Sie umfasste 198 Jahre, was weder Dionysius (95 Jahre) noch Victorius (532 Jahre) entspricht und „alles andere als einen einleuchtenden Zyklus“ darstellt [B. 333]. Die Aachener Enzyklopädie von 809 (Lib. calc.) bringt übrigens die Osterdaten rückwirkend auch für den ersten großen Zyklus bis 532: „Die Daten des 1. Großzyklus hier sichtlich neu und unrichtig errechnet […] Variiert und teilweise entstellt von Lib. calc.“ [B. 1224].

„Daß die frühmittelalterliche Komputistik den modernen Anforderungen nicht mehr genügt, lehren gegen Ende des Bandes [vor 937] zwei Nachträge, ein Stück aus Abbo Comp. und eine anonyme, nach 1095 verfaßte Neuberechnung von Christi Geburtsjahr; sie kreidet, wie die Schrift Hezelos von Cluny (Pg), Dionysius Exiguus und seinen Anhängern grundlegende Irrtümer an“ [B. 270].

Da muss es einmal mehr verwundern, wie Voigt [2005, 445] davon sprechen kann, dass alle Ostertafeln im schönsten Einklang stünden:

„Eine Vielzahl von Ostertafeln der Spätantike lässt sich aus schriftlichen Quellen erschließen, Tafeln unterschiedlicher Länge, unterschiedlicher Kopfjahre und unterschiedlicher Konstruktion. Aber alle hängen sie eng zusammen und bilden insgesamt ein stimmiges Geflecht. Keine einzige Tafel ist etwa isoliert und unverständlich.“

Bei Borst heißt es, durchaus gegenteilig, über einen Schreiber aus der Zeit um 800: „Er stand aber ratlos vor dem Chaos der Ostertafeln, das sich seit einem halben Jahrtausend angehäuft hatte“ [B. 88].

6. Isidor von Sevilla

So Beda sein Werk frühestens in der Mitte des 10. Jhs. geschaffen hat, dann will geprüft sein, ob die Abfolge Beda zu Isidor von Sevilla gewahrt wird. Denn schon das früheste Werk des Briten eiferte dem „isidorischen Vorbild“ nach [B. 1998, 182].

Isidor von Sevilla (um 560–636) ist ein Vertreter jener Menschen, die in realen Zeiten geboren wurden, aber in der Phantomzeit starben. Doch sein „meditatives Naturkundebuch“ De natura rerum schrieb er 612 für den westgotischen König Sisebut, um es 613 um ein weiteres geographisches Kapitel zu ergänzen [B. 1998, 179]. So kann es seine Zeitstellung behalten. Dagegen rückt seine Enzyklopädie Etymologiae, die er zwischen 620 und 636 geschrieben und in ihrer ersten Fassung 623 publiziert haben soll, ins frühe 10. Jh., bei simpler Umrechnung auf 917 / 920 / 933. Wenn Beda in seinem Werk von 725962 Isidor „rücksichtslos“ kritisierte [B. 1998, 184], so steht dem die Umdatierung nicht im Wege.

Ein Problem stellt sich neu. 1999 habe ich Anachronismen bei Beda aufgelistet: Sein Wissen um mit Mörtel gemauerten großen Steinkirchen, das Wort „nullam“, Bedas Wissen um die Mondbahn, dazu die Einschätzung durch Olaf Pedersen [58], dass „kein wissenschaftliches Werk vergleichbaren Wertes in der lateinisch schreibenden Welt vor Beginn des 13. Jahrhunderts erschienen ist“ – das ließ mich schlussfolgern, dass wesentliche Schriften von ihm ins 12. Jh. gehören dürften [Illig 1999, 125 ff.]; Renate Laszlo [2006, 690] hat ihn dem 11. Jh. zugeordnet. Das ist nun zu überdenken. Aber es ergäbe sich zugleich eine zwanglose Lösung: Der erste Propagator der Jahreszählung „n. Chr. Geburt“ stünde nun vor der Ausbreitung der christlichen Zeitrechnung ab 1000, was bei einem Beda-Werk aus dem 12. Jh. nicht mehr passen würde. So bliebe ihm hier seine Rolle als Vorreiter erhalten, noch dazu in besserer Position. Denn ab da bleibt uns die christliche Zeitrechnung erhalten, während sie in den Urkunden nach 800 zunehmend ausdünnt. Frieds nachfolgende Ansicht wird von Borst nicht gedeckt, sicher auch nicht gebilligt: Erst

„durch Beda Venerabilis im frühen 8. Jahrhundert wurde sie hoffähig und dauerhaft den Franken vermittelt. Seit damals, genauer seit Karl dem Großen, galt sie allgemein als verbindlich. Dieser gewaltige Kaiser zeichnet somit tatsächlich mit seinen Gelehrten noch für unsere heutige Orientierung in der Zeit, für unseren Kalender verantwortlich“ [Fried 2006].

Überdacht muss werden, wie weit der „karolingische Reichskalender“ tatsächlich dem Aufschwung des 12. Jhs. entsprach. Wenn Borst in seiner Affinität zum Karolingischen seine Tabellenform mit dem Anlegen eines hochscholastischen Werks gleichsetzte, so hat er vielleicht dem Kalender zu viel Ehre angetan. Kurz vor dem Neuanfang unter Abbo von Fleury scheint er besser aufgehoben zu sein.

7. Weitere Unschärfen

„Den ältesten der hier edierten Texte, die aquitanische Ostertafel von 721 (Prol. Aquit. [Nr. 1]), kennen wir allein aus einer nicht sonderlich getreuen Kopie, die mehr als dreihundert Jahre später in Nordspanien angelegt wurde“ [B. 139].

Was der Sinn gewesen wäre, derart alte, überholte Schriften zu kopieren, findet bei Borst keine Antwort. Für uns handelt es sich um eine Kopie, die dem Original sehr viel dichter gefolgt ist (s.o.). Borst denkt sich auch nichts dabei, wenn er eine Sammlung komputistischer Dichtungen erwähnt,

„darunter das wohl um 800 verfaßte Lehrgedicht (Vers. Tur.) in der Spätfassung von etwa 1040, die anderswo (Lv) schon vorbereitet worden war und hier ausgereift erscheint“ [B. 223].

Die Vorbereitung fand in einem Manuskript statt, das bald nach 1004 geschrieben worden ist. Wer mag auf die Idee gekommen sein, ein überholtes Lehrgedicht nach über 200 Jahren zu überarbeiten? Erschwerend kommt hinzu, dass der Codex „Lv“ (nach 1004) seltsame Umdatierungen enthält: Mal belässt er einer Schrift von Helperich das Entstehungsjahr 903, dann werden Anweisungen zur Zeitrechnung auf 932 umdatiert, obwohl sie aus dem späten 8. Jh. stammen [B. 246]. Abbo v. Fleury hat demselben Helperich-Text 978 eine eigene Fassung gegeben [B. 277]. Im Codex „Di“ (um 1052) wurden die gleichen Helperich-Glossen „auf das Jahr 930“ umgerechnet [B. 224]; im Codex „Lu“ wird das Abfassungsjahr Helperichs von 903 „um sechs Generationen auf 1075“ verschoben“ [B. 246].

Ebenso betont der wohl um 813 tätige Schreiber von Codex „Pa“ „eigens, daß er die älteren Argumente auf das gegenwärtige Jahr umgestellt habe“ [B. 265]. Im Codex „Kp“ fügten die Kopisten in ihre Exzerpte von bald nach 810 „gerne ältere Formeln und Daten ein, mit den angeblich gegenwärtigen Inkarnationsjahren 689, 703, 764, 775“ [B. 238].

Damit wird nachdrücklich bewiesen, wie wenige Probleme die damaligen Schreiber damit hatten, einen Text rechnerisch so zu ‘frisieren’, dass er in eine nachträglich gewünschte Zeit passte.

Seltsame Widersprüche enthalten die alten Schriften. Einige ihrer Schreiber können die schwierigsten Himmelsereignisse berechnen, doch andere wissen noch fast gar nichts. So kennt der Schreiber der zweiten fränkischen Schrift zur Komputistik, dem burgundischen Lehrgespräch (727), noch nicht die Jahreslänge, spricht er doch von 365 Tagen und „jenen drei Stunden“ (illae tres horae), denen leider weitere drei Stunden abgehen [B. 366], andererseits kennt er alle Feinheiten des Mondsprungs. Der Text von 764 erwägt sogar eine 8-Tage-Woche [B. 489].

Die Geschichtsereignisse des Frankenreichs warfen besondere Schwierigkeiten auf:

„Von ihnen berichtete keine Universalchronik, bloß eine Vielzahl mehr oder weniger lokaler Klosterannalen mit verwirrendem, wenigstens unbegründetem Datengerüst. Wie sollte die Konfusion so heterogener Aussagen einen bedächtigen Zeitgenossen davon überzeugen, daß er derzeit wirklich im Jahr 807 nach Christ Geburt lebte?“ [B. 953]

Der Verfasser der Ostfränkischen Ahnentafel von 807 hatte spezielle Probleme, obwohl seine Schrift zum Ausgangspunkt für die beiden karolingischen Enzyklopädien von 809 und 818 geworden ist [B. 960].

„Gelassen nahm er auch arithmetische Fehler im einzelnen hin, kleinere schon bei den biblischen Zeugungsaltern, größere bei den antiken Herrscherjahren, die gravierendsten bei der Addition der nachchristlichen Jahre. Sie gelangte sogar für das letzte fränkische Jahrhundert nicht zum geforderten Endergebnis, zur exakten Bestätigung der momentan üblichen Jahreszählung“ [B. 959].

814 teilte Claudius, Verfasser der aquitanischen Weltjahresberechnung,

„dem Leser bloß das schockierende Endergebnis mit: Aus Listen römischer Kaiser und fränkischer Herrscher ist keine zuverlässige Jahresreihe zu gewinnen. Für die Jahreszählung in neueren Epochen berichtet uns kein Geschichtsschreiber die unverformte Wahrheit, keiner von den alten, aber auch nicht der jüngste und beste, Beda“ [B. 1338].

Nach dem Jahr 800/01 zogen damalige Kopisten keine Zwischensumme. „Sie ergäbe nämlich jetzt, im Inkarnationsjahr 807, nur 795 Jahre, 12 Jahre zu wenig“ [B. 1007]. Der Fehler rührte daher, dass alle Kopisten für die Kaiser Galerius und Konstantin nur 32 statt 43 Jahre wie bei Bedas Chron. führten (heute wieder 32 Jahre, konv. 305–337).

„Die Minderung um 11 Jahre war ein gemeinsamer Fehler aller Kopien und wurde in keiner zutreffend verbessert; erst wer diese 11 Jahre addierte, kam annähernd auf die angestrebten 807 Jahre“ [B. 998].

Die Salzburger Enzyklopädie von 818 baute auf Zählung der Weltjahre von Adam bis Karl d. Gr. und bis zum Inkarnationsjahr 809 der Aachener Enzyklopädie auf. „Die Weiterzählung bis 818 gelang nicht ganz“ [B. 1388]. So stellte ausgerechnet das letzte Jahrzehnt ein unüberwindliches Hindernis für die Chronologie dar – sicheres Indiz dafür, dass all diese Schriften nicht in den Jahren geschrieben worden sind, auf die sie sich selbst datieren oder vom Mainstream datiert werden, sondern spätere retrokalkulatorische Abfassungen sind, die einem neuen Rahmen entsprechen sollten.

Zudem grübelten die Alten, ob die biblischen Sonnen- und Mondwunder für Josua, Achaz und Christi Tod den Ablauf der Zeit und die Jahreszählung verändert haben. Indem Augustinus diese Frage gegen 400 bejahte [B. 937], erklärte er alle über Christi Passion hinausgehenden Rückrechnungen für hinfällig.

8. Bischoffs Paläographie

Hier ist auf die Schriftsituation einzugehen. Bedas Hauptwerk De Temporum ratione ist noch in mehr als 100 Manuskripten erhalten, von denen gut 40 in die Zeit vor 900 datiert werden [Pedersen 58]. Wie steht es mit diesen Datierungen aus paläographischer Sicht?

Für Arno Borst lag die Sache auf der Hand. Er hält Bernhard Bischoff für den bedeutendsten Paläographen des späten 20. Jhs. [B. 1998, 160 f.], der obendrein früh mit der Gattung „Kalender“ und ihren editorischen Problemen befasst war [B. 21]. Bereits 1952 verfolgte dieser exzeptionelle Urkundenkenner die Schichtungen eines Textes aus dem späten 9. Jh. durch die Jahrzehnte und die Regionen des karolingischen Reiches. (Ähnliches leistete Baudouin de Gaiffier ab 1959). Bei den drei jüngsten Bänden Borsts ist Bischoff der am häufigsten zitierte Wissenschaftler. Doch Borst ist zutiefst davon getroffen, wie schlecht dieses für ihn unschätzbare Erbe verwaltet worden ist:

„Man möchte an der Wissenschaft vom Mittelalter verzweifeln, wenn man nach dem Widerhall der wegweisenden Funde und Verfahren von Bischoff und de Gaiffier sucht“ [B. 1998, 162].

Bischoffs 100. Geburtstag (1906–1991) war am 20.12. Anlass für Würdigungen, die der Einschätzung durch Borst rundweg entsprachen. Der Gefeierte gilt als Begründer der Münchner Schule mittellateinischer Philologie.

„Die ‚Handschrift‘ war für diese Forscher das Herzstück einer, wie man heute sagen würde, interdisziplinären Kulturwissenschaft, mit der sich die folgenreiche Bildungsgeschichte der Zeit zwischen Antike und Mittelalter rekonstruieren ließ“ [Jostmann].

Dabei wurde allerdings auch Bischoffs ganz eigene Methode erläutert, die so nicht fortgesetzt werden konnte. Die Kritik stammt von dem promovierten Mediävisten Christian Jostmann:

„Mit einem einzigartigen visuellen Gedächtnis ausgestattet, konnte er schließlich Tausende Handschriften aufgrund ihrer Schriftform unterscheiden und allein durch die Besonderheit einzelner Buchstaben – die Krümmung eines ‚d‘, das Häkchen an einem ‚c‘ – zeitlich und räumlich einordnen. Nach dem Krieg wurde Bischoff, inzwischen als Professor in München zu Amt und Würden gelangt, daher zur ersten Adresse für Anfragen aus aller Welt. ‚Immer, wenn es ein Problem mit Handschriften gab‘, erinnert sich Karl Brunner, Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung in Wien, ‚hieß es: Da müssen wir Bischoff fragen.‘

Dabei waren seine Antworten mitunter unbequem.

Zum Beispiel konnte ein Forscher aufgrund des Inhalts zu der These gelangen, eine bestimmte Handschrift sei im 10. Jahrhundert in Salzburg entstanden. Wenn er dann bei Bischoff Bestätigung suchte, dieser jedoch aufgrund des Schriftvergleichs zu dem Ergebnis kam: ‚Nordwestfrankreich, 3. Viertel des 9. Jahrhunderts‘, dann hatte der Forscher ein Problem: Im Zweifel wog Bischoffs Autorität schwerer, obwohl eigentlich kaum jemand sein Urteil nachprüfen konnte. [… Einen] echten Nachfolger […] hat der ‚Magier‘ nicht gefunden.΄

Dies führt zum Kern heutiger Diplomatik und Paläographie. Ein ‘Magier’ hat hier ein gewaltiges Pergamentreich errichtet, das er, aber auch nur er überblickte. Als junger Mann arbeitete er ab 1933 für Elias Avery Lowe (Loew), der für die Zeit bis 800 den Gesamtfundus von ungefähr 1.800 Handschriften dokumentiert hat. Bischoffs Neuansatz „resultiert aus der immanenten Schwierigkeit des Projektes von Lowe, für die Grenzziehung um 800 paläographische Datierungskriterien zu entwickeln“ [Michael]. Von Bischoff stammt die Gesamtzahl von über 7.000 Schriftzeugen aus dem 9. Jh. [ebd.]. Doch seine Forschungsmethode war nicht nur nach dem Urteil Jostmanns keine wissenschaftliche, sondern eine intuitive:

„Mit technischen Mitteln, bemerkt Bischoff in der Spätphase seines Werks, sei die Paläographie, die eine Kunst des Sehens und der Einfühlung ist, auf dem Wege, eine Kunst des Messens zu werden. Aus Wortlaut und Kontext dieses Zitats wird nicht ganz klar, ob hier Melancholie mitschwingt“ [Gumbrecht].

Seine Zuordnungskriterien waren einfühlsam, aber schwer reproduzierbar. Insofern kann sein Urteil nicht nachvollzogen, sondern nur ‘geglaubt’ werden. Damit erweist sich sein Werk als Sperrbalken für seine Disziplin: Weil ein Kenner im unkritischen Vertrauen auf das karolingische Zeitgerüst die Urkunden auf ihm verteilte, bleibt der von ihm gestaltete Raster für seine Epigonen unantastbar. Insofern fehlt der Handschriftenkunde, die doch ihre Prüflinge auf zehn Jahre genau datieren zu können glaubt und sich der C14-Methode bei weitem überlegen hält, die wissenschaftliche Basis!

9. Anhang

Indem die „karolingischen“ Kalenderschriften aus dem 8./9. ins 10. Jh. rücken, bleibt Borsts Werk als Steinbruch liegen, der selbstverständlich wertvolles Material birgt. Ich werte es in dem Bewusstsein aus, dass Borst im Gegensatz zu 1998 [15] mich der Damnatio memoriae unterworfen hat; diesmal darf Alexander Kluge [214 f.] die Phantomzeitthese mit einer kleinen Erzählung von einer guten Seite Länge vertreten [B. 116]. Borst hielt sich aber nicht wirklich an die Nichtung des Häretikers, trug er doch als Herausgeber auf jeder Seite Sorge für lateinische Vokabeln wie ille, illis, illo, illos, illud, illius oder gar illic…

9A) Zeiteinheiten

Schon auf der ersten Textseite erfahren wir bei Borst, dass das Frühmittelalter keineswegs nur schwankende Zeitmessungen grober Art besaß, sondern theoretisch 14 Teile der Zeit kannte:

„das Atom, den Moment, die Minute, den Punkt, die Stunde, den Vierteltag, den Tag, die Woche, den Monat, die Jahreszeit, das Jahr, das Jahrtausend (saeculum), das Zeitalter, die Welt“ [B. 1 laut Computus Hibernicus],

wobei 15 Atome 1 Moment ausmachen, 194.918.400 Atome 1 Jahr [B. 759]. Wir müssen uns also weniger wundern, wenn Martin Kerner in seiner jüngsten Publikation [2006, 355] bereits in der Bronzezeit und bei den alten Ägyptern eine Zeiteinheit von knapp 4 Minuten findet. Und das Gedicht des Leo von Vercelli, das Hans-E. Korth als Kronzeugen für Ottos III. Griff zum Uhrzeiger aufgespürt hat, spricht gerade davon, dass der Papst unter der Macht des Kaisers die „saecula“ gereinigt habe. Wenn saeculum nicht nur für Jahrhundert oder Menschenleben steht [Korth 414], sondern gerade in computistischer Sicht für ein Jahrtausend [dito B. 374], dann wird noch klarer, dass Otto das zweite Jahrtausend nach Christi Geburt beginnen wollte.

9b) Zur Festlegung der Jahreseckpunkte

Die Missionierung der Angelsachsen begann im späten 6. Jh. Doch schon als Heiden begingen sie als „Mutternacht“ den 25. Dezember, also den Tag, an dem Beda Venerabilis Weihnachten feierte [B. 43]. So wird noch plausibler, dass die Christen ihr Weihnachtsfest auf ein älteres heidnisches Fest, ob Mithrasgeburt und/oder keltisch, aufgepropft haben.

Der Regensburger Protestbrief von 809→979 wählte als Datum des Frühlingsäquinoktiums nicht den 25.3. der Lateiner und von Beda, sondern den 21.3. wie die Griechen und Dionysius Exiguus. Dazu musste sogar der Schöpfungsbeginn vom 18.3., wie ihn Beda gefordert hatte, auf den 21.3. [B. 1024] verschoben werden. Doch ein Nachtrag in der Aachener Enzyklopädie von 809 brachte dann neuerlich den 25.3., zusammen mit 24.6., 24.9. und 25.12. [B. 1104]. Die Salzburger Enzyklopädie hat 818→988 die Jahreseckpunkte genauso festgelegt [B. 1433]. War damals die Ostertafel des Dionysius bereits geschrieben?

9c) Der Wirrwarr um den 21./25. März

Seit Jahren weisen wir darauf hin, dass der Gregorianische Kalender auf den 21.3. von Caesar, nicht des Konzils von Nicäa zurückgreift. Nicäa bleibt wider besseres Wissen der wirklichen Kenner aus dem Umkreis der vatikanischen Sternwarte (Specola Vaticana) wie auch von Borst sakrosankt, selbst wenn gezeigt wird, dass man um 1582 herum ein astronomisch wahres und dazu ein politisch-kirchliches Frühlingsäquinox kannte [vgl. Frank 2005, 9].

Die Schwierigkeiten stammen aber auch noch aus anderen Ursachen. Die christlichen Komputisten legten gerade auf diese Zeit des Jahres viele für sie relevanten Ereignisse, und dies im Wechselspiel zwischen 21.3. und 25.3. – auch wenn Voigt [2005, 429] meint: „der 21. märz ist nämlich kein Datum mit einer eigenen kultischen, mystischen oder kalendertechnischen Bedeutung“.

21.3. Frühlingsäquinox, griechisch gerechnet [B. 356]
1. Schöpfungstag nach dem aquitanischen Vorwort [B. 354]
Erschaffung des Vollmonds [B. 943]
Mondsprung, von Beda empfohlen [B. 1211]
Todestag des hl. Benedikt (s.u.)
22.3. untere Ostergrenze
Kreuzigung Christi, Variante [B. 1041]
Mondsprung, von Dionysius empfohlen [B. 407, 813]
Sonnenschalttag nach Comp. Hib. [B. 411]
1. Schöpfungstag nach Pseudo-Athanasius [B. 344]
23.3. Adams Erschaffung nach Claudius und Ado v. Vienne [B. 1337, 1341]
Kreuzigung Christi nach Claudius und Ado [B. 1337, 1341]
25.3. Frühlingsäquinox, römisch gerechnet bzw. nach Beda [B. 356]
1. Schöpfungstag gemäß Victorius [B. 344, 908]
Empfängnis Christi (Verkündung des Herrn) [B. 422, 936]
Kreuzigung Christi, Variante [B. 1127].
9d) Wann war das Jahr von Christi Geburt?

Wie zu zeigen war, ließ sich bis zum Jahr 1800 der Abstand zwischen Cäsars Kalenderreform und Christi Geburt schwer präzisieren [Illig 2006c, 550]. Diesmal verweise ich – wiederum dank Peter Hahn – auf ein Buch von 1792 mit dem eher barocken als aufklärerischen Titel:

„Periodisch-synchronistische Tabellen zur Universal-Geschichte, eingerichtet nach des Herrn Joh. Matth. Schröck fürtrefl. Lehrbuch der allgemeinen Weltgeschichte, nebst einem kurzen Abriß der Geschichte, zum Gebrauch für die Jugend. Von Wilhelm Friederich Gerken, Königl. Etats- Prediger und Pastor an St. Wilhadi in Stade; Hamburg.“

Es bringt auf S. 24 den Hinweis:

„So erbarmte sich Gott des menschlichen Geschlechtes, und erfüllte seine Verheissungen von der Erscheinung des Erlösers der Welt, Jesu Christi, 754 Jahr nach der Erbauung von Rom“

mit der Marginalie „3983. [Jahr der Welt]“.

Dies ist innerhalb der Schöpfungsrechnung eine Abweichung von 40 Jahren zu Beda, von 11 Jahren zu Ussher. Ein Franz Wagner spricht dagegen vor 1749 in seiner Einführung in die Universalgeschichte [88] von der Eroberung Ägyptens durch Augustus:

„im 4023sten der Welt, vor Christi Geburt im 30sten, von Erbauung Roms in dem 723sten, und von dannen werden die Jahre deren Kaysern gezehlet“.

Hier liegt Christi Geburt im 4.053 Jahr AM und damit exakt 100 Jahre später als bei Beda – so fließend waren noch im 18. Jh. die Datierungen.

Auf S. 166 wird hervorgehoben, dass die beiden byzantinischen Schöpfungsären die Geburt entweder auf 8 vor oder auf 8 nach Chr. gelegt haben. Borst belehrt uns, dass ein spätere Bischof von Turin, Claudius, es 814 wagte, für die Auferstehung das Jahr 31 n. Chr. und nicht 33 zu nennen, „weder Tag noch Jahr stimmten zu den Lehren der Aachener Enzyklopädisten“ [B. 62], die gerade erst 5 Jahre niedergelegt waren. Auch damals herrschte Unsicherheit.

Ebenso große Unsicherheiten bestehen in Großbritannien, was die Datierung der Historia Brittonum angeht. Wie uns Renate Laszlo in diesem Heft (S. 99 ff) mitteilt, ist bis zum 10. Jh. nichts über diese Chronik bekannt. Doch die Selbstdatierungen ihrer Manuskripte sprechen von 796, 800, 816, 831, 879, 912 und 976 Jahren nach Geburt oder Kreuzigung Christi. Dieser Wirr warr kann am Rückfälschen in fiktive Zeiten liegen, aber auch daran, dass die Zeit ab dem Leben und Sterben Christi damals schwer zu beziffern war.

Benedikt von Nursia, als zweiter Vater des Abendlandes ebenfalls der Fiktionalität überführt [vgl. Illig 1994], machte mit seinem Todestag am 21.3., einem Karsamstag, enorme Probleme. Der Benediktiner Abbo von Fleury sah um 980, dass laut Bedas Ostertafel allenfalls der 21.3. 509 als Todestag in Frage kam; doch Benedikt hatte Montecassino erst 529 gegründet und sollte, laut damals noch nicht vorliegendem Brockhaus, „549 (?)“ gestorben sein. Isidor v. Sevilla sah Benedikts Leben noch unter Kaiser Justinian, Beda dagegen unter Kaiser Justin [B. 92]. Daraus lässt sich schließen, dass der für das Leben Benedikts ‘zuständige’, da ganz allein über ihn berichtende Pseudo-Gregor seine einschlägigen Dialogi noch nicht geschrieben hatte – das steht im Einklang mit meiner Umdatierung dieses lange unerkannt gebliebenen Schreibers von der Zeit um 600 respektive 700 in die Zeit von 1150–1190 [Illig 1994, 33].

„Somit mußte [kurz vor 1000] aufgrund dieses einen lebenszeitlichen Datums die gesamte dionysianisch-bedanische Zeitskala der Inkarnationsjahre um 21 Jahre verschoben werden“ [B. 97].

Abbos Vorwurf war: „Beda hatte die Kalenderjahre zwar richtig abgezählt, aber falschen historischen Daten zugeteilt“ [B. 1990, 47]. Sigebert von Gembloux überarbeitete 1092 das Kalkül Hermanns des Lahmen und stellte fest:

„Dionysius Exiguus und Beda Venerabilis hatten den Ursprung der Welt und die Geburt Jesu Christi falsch aufeinander bezogen; die bedanische Weltära war um 8, die dionysianische Inkarnationsära sogar um 21 Jahre zu korrigieren“ [B. 102].

Nach 1095 gab es eine anonyme Neuberechnung von Christi Geburtsjahr; „sie kreidet, wie die Schrift Hezelos von Cluny (Pg), Dionysius Exiguus und seinen Anhängern grundlegende Irrtümer an“ [B. 270]. Der Stiftsgeistliche Heimo von Bamberg ging 1134 noch weiter. Aus seiner Sicht verwechselte die Komputistik

„seit Dionysius Exiguus das Geburtsjahr Christi mit seinem Kreuzigungsjahr 33 Jahre danach; deshalb zählten die Geschichtsschreiber in den ersten 5 Jahrhunderten alle Jahreszahlen verkehrt“ [B. 102].

Heimo datierte die Geburt Christi noch 33 Jahre früher als Abbo von Fleury.

„Die neue komputistische Quellenkritik übte zugleich fundamentale Selbstkritik; sie erschütterte nicht nur die Glaubwürdigkeit der karolingischen, ja, der gesamten lateinischen Überlieferung, sondern auch das Vertrauen auf künftige Fortschritte der christlichen Wissenschaft“ [B. 103]

Reiner von Magdeburg errechnete in seinem Computus emendatus den Fehler im metonischen Zyklus (1 Tag in 228 Jahren); er konnte 1171

„der dionysianisch-bedanischen Komputistik erhebliche Fehler nachweisen, die sich in je 315 Jahren zu einem Tag summierten. Aus dieser negativen Kritik, die schon Abbo von Fleury vorgebracht hatte, sollten nun endlich positive Folgerungen gezogen werden“ [B. 103].

Die Komputisten waren also Ende de 12. Jhs., wenn nicht sogar schon Anfang des 11. Jhs. (Abbo) so weit, präzise alle Oster- und Finsternisdaten zu retrokalkulieren. Nachdem die Ostertafeln nur Chaos verbreiteten, nachdem aus den Herrscherlisten keine zuverlässige Jahresreihe von Christus bis ins Mittelalter hinein zu gewinnen war und vor allem die Einpassung der vermeintlich eigenen Zeit im frühen 9. Jh. nicht gelang (vgl. S. 173), wird der Verdacht dringend, dass erst ab der ersten Jahrtausendwende, ab Gerbert von Aurillac und Abbo von Fleury der genaue Abstand zu Christi Geburt über Rückrechnungen des Osterzyklus festgelegt worden ist.

Wenn heutige Computerprogramme und Voigts Rückrechnung [2005] sauber zu 525, zu Dionysius Exiguus, zum (freilich gar nicht datierten) Kalenderstein von Ravenna und zum Stein des Hippolyt führen, dann ist das mit Sicherheit nicht einer stets zahlentreuen Tradierung über die Jahrhunderte gedankt, keiner peniblen Aneinanderreihung von Kalenderskalen und stetig verbesserten Ostertafeln, schon gar keiner päpstlichen Regentenliste, sondern Rückrechnungen nach der Phantomzeit. Damals ließ sich der Ostermond und Ostern so retrokalkulieren, dass frühere Ostertafeln trotz vieler innerer Unstimmigkeiten einigermaßen richtig in die Jahresreihe eingeklinkt werden konnten – wie auch Kaiser, Könige und Päpste. Verstärkt wird dieser Verdacht dadurch, dass die frühen Protagonisten unserer christlichen Zeitrechnung – ob Philocalus, Polemius, Dionysius oder Beda – keineswegs traditionsbildend gewirkt haben, sondern diese Datierung erst nach 1000 zu weiter Verbreitung fand. Die Manuskriptlage (s. Beauforts Filocalus auf S. 152) kann diese Verdachtsmomente keineswegs entkräften.

9e) Zeitrechnung nach Christi Geburt

Borst hebt in seinem Plinius-Buch Furius Philocalus (354) hervor, weil der lange vor Dionysius Exiguus (525) auf Christi Geburt als Bezugspunkt rückgerechnet hat. Nun wird von Borst mit Polemius Silvius ein weiterer Kalkulator genannt (~450), der ebenfalls vor Dionysius den Abstand zu Christi Geburt genannt hat [B. 39, 42]. Keiner von den drei war nach herrschender Lehre irgendwie schulbildend; das Verdienst dafür bleibt bei Beda auch dann, wenn er nun ins 10. Jh. umdatiert wird. Es wird aber zu prüfen sein, in wie weit gerade die ausschließlich sehr späten Kopien des Philocalus – siehe den Hinweis von Jan Beaufort auf S. 152 – für ein 4. Jh. bürgen können.

Auch für Dionysius Exiguus stehen die Zeichen eher auf Gelb. Da Werner Frank und ich uns wechselweise auf Pedersen verweisen, will dessen Bemerkung berücksichtigt werden, dass sich die neue dionysische Ära nur langsam bei Christen und Nicht-Christen durchgesetzt hat:

„Davon hatte Dionysius keine Vorahnung, wie es ihm zum Beispiel auch nicht einfiel, seine eigenen Briefe nach dem neuen Grundsatz zu datieren“ [Pedersen 51].

Selbst sein 532-jähriger Osterzyklus ist keine Übernahme aus der Antike, ungeachtet dessen, dass die Zahl als solche im Pantheon ablesbar ist [Voigt 2005, 453]. Er trat überraschenderweise eher per Zufall ans Licht, wie Olaf Pedersen [1983] als Chefastronom des Vatikans 1982 ausgeführt hat. Victorius stellte anno 457 seine Ostertafel zusammen, indem er von einem Sonntag, dem 25.3. als erstem Schöpfungstag und der Erschaffung des Vollmondes am 28./29.3. ausging. Weil die Passion Christi ins AM 5229 datiert wurde, ließ sich ermitteln, dass Christus im 276. metonischen Zyklus ą 19 Jahre an einem 26.3. gestorben war. Von da aus ließen sich die Osterdaten für die nächsten 430 Jahre bis zu Victorius’ eigener Gegenwart (457) errechnen. Indem er die Daten für die nächsten Jahre festlegte, stellte er fest, dass sich nach 430 + 102 = 532 Jahren die Osterdaten wiederholten.

„Auf diese seltsame Weise wurde der berühmte 532-Jahres-Zyklus entdeckt. Obwohl es uns unglaublich erscheinen mag, doch es gibt keinen Hinweis in Victorius’ Text auf die Tatsache, dass 532 Jahre = 19 (die Periode von Nisan 14) x 4 (Periode des Schaltjahres) x 7 (Periode der Sonntage) oder dass er seine experimentelle Zyklus-Herleitung durch diese einfache Relation untermauert hätte. Daraus müssen wir schließen, dass der erste wahre Osterzyklus fast durch Zufall entdeckt worden ist“ [Pedersen 48].

(Voigt [2006, 744] bestätigt dies indirekt in einer Fußnote.) Der Zyklus des Victorius reichte bis 559. Doch eine Schwäche dieses Zyklus war, dass seine Osterdaten nicht immer innerhalb der traditionellen Ostergrenzen von Rom lagen. Und für 526 fiel das Osterdatum mit dem 14. Nisan der Juden zusammen, was auf keinen Fall sein durfte. Der nun durch den Papst eingeschaltete Dionysius setzte nicht bei Victorius an, sondern bei einer Ostertafel von Cyrill, die (1 x 19) von 512 bis 531 lief. Dionysius rechnete nur 95 Jahre weiter (5 x 19), indem er behauptete, dieser 19-Jahres-Zyklus sei 325 auf dem Konzil von Nicäa festgelegt worden. Er knüpfte aber nicht direkt an Cyrills 531 an, sondern um 1 Jahr versetzt, womit seine ersten 19 Jahre von 532–550 liefen. Als Begründung gab er an, sich nicht wie Cyrill auf Diokletian (284; und auf die Passion Christi im Alter von bereits 30 an einem 25.3.) beziehen zu wollen, sondern auf Christi Geburt, die damals auf AM 5199 lag. Doch für Pedersen, dem hier gefolgt worden ist, ist das alles andere als klar [ebd. 51]. Er vermutete, dass Dionysius in seiner Tafel das Osterfest von 563 am 25.3. (15. Nisan) fand, genauso wie 532 Jahre früher AD 31, woraus sich bei einem unterstellten Lebensalter Christi von 30 Jahren die Geburt AD 1 ergab (Voigt geht hingegen – es soll ja passen – vom Jahr 1 v. Chr. = astron. 0 aus [Voigt 2005, 438]). Pedersen [51] ist sich der Vagheit dieser Überlegungen bewusst:

„Diese Erklärung ist jedoch nur eine Vermutung; es wäre hier ebenso nutzlos, dieser Frage nachzugehen wie dem ewig dauernden Disput über die Unmöglichkeit, die dionysianische Ära mit der Information in den Evangelien über die Zeit von Christi Geburt in Einklang zu bringen“

9f) Christi Tod

Für die Kreuzigung brauchte es Mondalter 15 und Freitag, doch das war in den Inkarnationsjahren 33 oder 34 nicht zur Deckung zu bringen. Dies beschäftigte Beda [B. 1041] und führte später dazu, das astronomische Äquinoktium auf die 12. Kalenden des Aprils vorzuverlegen, also auf den 21.3. [B. 1043], obwohl Beda selbst den 25.3. vertreten hatte. Die aquitanische Weltjahresberechnung des Claudius von 814 legte sowohl Adams Erschaffung wie Christi Kreuzigung auf den 23.3. [B. 1337]. Dasselbe tat dann auch Ado von Vienne um 866 [B. 1341].

9g) Nicäa und die Ostergrenzen

Der Pariser Universitätslehrer Johannes von Sacrobosco warnte seine Zeitgenossen um 1235 davor, am Kalender etwas zu ändern, „denn er sei festgelegt seit 900 Jahren, seit dem Konzil von Nicaea“ [B. 106]. Borst selbst spricht einmal mehr von den „vermeintlichen Osterbeschlüsse[n] des ökumenischen Konzils von Nicaea 325“ [B. 377 f.; vgl. B. 1027], wohl wissend, dass seine karolingischen Pergamente auf das Konzil von Nicäa rekurrieren [B. 1036]. Diesem wurden auch die Ostergrenzen 22.3. und 24.4. respektive 25.4. (ein Streitfall) zugerechnet, wobei es nicht nur den Bezug auf das kleinasiatische Nicäa gab, sondern auch auf ein „concilium Romanorum“ [B. 949].

Angemerkt werden kann die bislang früheste Nennung des 21.3. als Frühlingsäquinoktie. Sie stammt von Eusebius von Caesarea, der einen Brief von Bischof Dionysius dem Gr. an die mutmaßlichen Suffraganbischöfe Flavius, Domitius und Didymus bestätigt. Demnach war sich Bischof Dionysius des 21.3. bewusst. Da er bereits um 264 gestorben ist [Pedersen 30 f.], hätte sich das Konzil von Nicäa einem älteren, alexandrinischen Brauch angepasst (den wir für Caesar fordern), so es überhaupt eine Entscheidung getroffen hätte.

9h) Weltanfang

Die Frage nach dem Zeitpunkt des Frühlingsbeginns wird durch die Frage nach den Erschaffungstagen der Welt überlagert. Da wurde schon darüber gestritten, ob das Licht am 1. oder am 4. Schöpfungstag erschaffen worden war [B. 1426]. So gab es auch eine Meinung, wonach der Vollmond an einem 21.3. erschaffen worden sei [B. 943]. Weiter kompliziert wurde das Datieren, weil Beda auch den Mondsprung auf den 21.3. gelegt wissen wollte [B. 1211]. Der Mondsprung selbst war ein Riesenproblem, wuchs er doch nach damaligen Berechnungen binnen 6.935 Jahren zu einem ganzen Jahr an [B. 1212].

9i) Weltende

Im burgundischen Lehrgespräch wird festgehalten, dass es sich um Weltjahr 5928 und das Inkarnationsjahr 728 handelt, weshalb bis zur Weltdauer von 6.000 Jahren noch 72 Jahre Frist bleiben. „So wortkarg alle Zeugen blieben, sie nahmen diese Frist nicht so leicht, wie Krusch […] unterstellt“ [B. 374; ähnlich 415]. Es geht hier wieder einmal um das Phänomen, dass fränkische Beobachter sehenden Auges, doch seelenruhig dem Weltende entgegen schritten – erklärbar nur damit, dass sie erst nach dem konstruierten Weltende 800 geschrieben haben. So scheint Alcuin ganz kaltblütig noch 798 dem Weltende bei 800 zuzuneigen [B. 775, 776]. Dagegen gab es auch andere Komputisten, die Christi Geburt auf AM 5470 setzten und somit das dräuende Weltende schon erfolgreich hinter sich gebracht hatten [B. 793 f.].

Direkt nach 800 schreiben die Chronisten ungerührt weiter, als hätte niemals die Welt untergehen können, etwa die Verfasser der Lorscher Annalen von 803 oder der Kölner Komputist, 805. Sie wussten, dass die von Eusebius und von Hieronymus bei AM 5200 fixierte Geburt Christi und das dadurch fixierte Jahrtausendende bei 800 überschritten war, zogen aber keine Konsequenz daraus. Sie wandten sich nicht einmal der bedanischen Rechnung zu, die Christi Geburt ins Jahr AM 3952 legte [B. 952]. Einhards Karlsvita von ca. 840 zählte die Jahre weder nach Schöpfung noch nach Christi Geburt [B. 953].

9j) Frühlingsäquinoktie

Borst stellt wiederholt klar, dass nach griechischer Ansicht dieser Tag auf den 21.3. fiel, nach römischer Art auf den 25.3., [auch B. 393], auch die Merkregel: Jahreseckpunkte immer an den 12. Kalenden für die Griechen, an den 8. Kalenden für die Römer [B. 449; vgl. Illig 2006b, 199]. Erstaunlicherweise gab es auch wundersame Naturphänomene, die den 21.3. bestätigten. So wächst oder schwindet der Schimmer des persischen Mondsteines je nach Mondstand – eine Plinius-Fehlinterpretation – und bestätigte erstaunlicherweise die nicaeanischen Osterfristen. Dasselbe leistete das Quellwunder von Melitana („Illic perparva …“), während spanische Quellwunder noch die Ostertafel des Victorius bestätigt hatten [B. 399]. Solches berichtet das neustrische Streitgespräch von 737. Gregor von Tours erkannte aus zwei solchen Quellwundern von 577 und 590, dass er Ostern richtig angesetzt hatte [B. 110, 28]. Bislang kannten wir nur das neapolitanische Blutwunder (Nach der Gregorianischen Kalenderreform „fügte sich das Blut gelehrig in die neue Ordnung“ [Illig 2006d, 775]). Demnach ist nicht nur Blut „ein ganz besonderer Saft“, sondern auch Wasser.

Liste von Borsts Editionen mit den von ihm stammenden Benennungen

[B. 2006; dazu im Jahr 1998 die Edition von 789]:

konventionelles Entstehungsjahr (~ = ‘ungefähr’), Borsts Benennung, Zahl der Handschriften, Jahre von Schöpfung bis Christi Geburt, wichtige Vorläufer (anschließend aufgeschlüsselt)

721 Aquitanisches Vorwort zur Ostertafel 1 H. 5199, V D Ie
727 Burgundisches Lehrgespräch 1 H. 5199, V Ie S H
737 Neustrisches Streitgespräch 1 H. 5199, Ie. S G H
750~ Langobardisches Zwiegespräch 2 H. 5509, S. H. 727
764 Austrasische Abhandlung 1 H. 5199, G 737
780~ Langobardische Abhandlung 3 H. -, S G H P 750
789 Prototyp des karol. Reichskalenders 59 H. 5199, Br
792 Rheinische Anleitung (ab 760) 58 H. 5199, 3952, D G Br 737
793 Veroneser Jahrbüchlein 81 H. 5199, Pl Ie G Br P
798 Kölner Chronikanhänge 1 H. 5199, Gr Ic, gegen Br
800~ Tourer Lehrgedicht 24 H. -, A
802~ Predigt Arns von Salzburg 1 H. -, In Ie
805 Kölner Lehrbuch 1 H. 5199, V G H I Br 737 792
807 Ostfränkische Ahnentafel 27 H. 5199, 3952, Ie B
809a Nordwestfränkische Weltjahreszählung 9 H. 5199,
809b Regensburger Protestbrief 2 H. -, 805
809c Aachener Verhör 5 H. -, 805 809b, pro B
809d Aachener Enzyklopädie 205 H. 3952, Pl V Bn Br
814 Aquitan. Weltjahresberechn. Claudius’ 3 H. 3952, Br 809c
816 Aachener Vorbehalt 4 H. -,
818 Salzburger Enzyklopädie 37 H. 3952, Br 809c
A Alkuin, Schriften, vor 800
Bn Beda, De natura rerum, 703
Br Beda, De Tempore ratione, 725
D Dionysius, Libellus de cyclo magno Paschae, 524
G Computus Graecorum, ab 703
Gr Gregor von Tours, Frankengeschichte, 594
H Computus Hibernensis, Irischer Comp., 719
Ic Isidor, Chronik, 615 ?
Ie Isidor, Etymologiae, 620/36
In Isidor, Naturgeschichte, 612/13
P Pseudo-Beda, Sententiae, um 775
Pl Plinius, Historiae, 1. Jh.
S Scottus, De ratione conputandi, ~650
V Victorius, Cyclus paschalis, 5. Jh.

Dreistellige Zahlen in der letzten Tabellenspalte beziehen sich auf das Entstehungsjahr der Werke dieser Tabelle.

Literatur

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– (2001): Vom Rütteln (an) der Wahrheit. Zur weiteren Diskussion der Phantomzeitthese; in: ZS 13 (3) 513-523
– (2006a): Karlsevolutionen und Karlskuriosa; in: ZS 18 (1) 146-163
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– (2006c): Chronologie aus der Sicht von 1800 – Johann Jahn; in: ZS 18 (3) 547-550
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