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Karl als konturenloser Krieger

Karl der Große im ZDF

Die zweite Staffel der erfolgreichen Sendereihe Die Deutschen beginnt mit einem guten Bekannten: Karl der Große und die Sachsen. Prof. Dr. Guido Knopp persönlich weist darauf hin, dass es ihm 20 Jahre nach der Wiedervereinigung um Ankerpunkte in der deutschen Geschichte gehe, die mit größtmöglicher Authentizität ins Bild gesetzt worden seien.

De facto ist es die übliche Docu-soap geworden, mittlerweile auch Histotainment genannt: Grimmige Franken überfallen wehrlose Sachsendörfer, also viel Wald, viele Kettenhemden, drei brennende Hütten; die Sachsen sprechen altsächsisch, die Franken hochdeutsch. Widukind schwört Rache und lässt sich schließlich doch taufen, worauf Karl die Aachener Pfalz baut und in Rom gekrönt wird, während die Sachsenkriege weitergehen.

Dieser Karl tritt nicht als Überkaiser auf, sondern als Ersatzmann seiner selbst, mittelgroß und unscheinbar, Barttracht und fehlende Mimik wie bei Chuck Norris; er gibt lediglich von sich, dass er die Sachsen massakrieren muss, weil sie wortbrüchig seien, und dass auf einem Pergamentblatt alles übersichtlich sein müsse.

Die Professoren Stefan Weinfurter, Bernd Schneidmüller und Matthias Becher steuern nichts Neues, sondern Altes bei: Da fällt der verpönte Ausdruck „karolingische Renaissance“, da wird noch von der Aachener „Pfalzkapelle“ geredet (sonst Marienkapelle, Stiftskirche), da werden in Verden mehr als 1.000 Sachsen niedergemetzelt und die 4.500 Findlinge gezeigt, die ab 1934 von der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe zur Erinnerung gesetzt worden sind. Da wird von Sachsenmissionierung geredet, als wäre es der erste Kreuzzug nach Osten gewesen, und wie selbstverständlich von der Zwangsumsiedlung aller Sachsen von jenseits der Elbe. Es war makaber, diese Sendung ausgerechnet am Volkstrauertag zu bringen, der dem Gedenken an Kriegsopfer, Vertreibung und Gewaltherrschaft dienen soll, die hier durch Karls Christianisierung gerechtfertigt werden, also durch brutales Handeln des „ersten Europäers“  – so der Film.

Kein Wort davon, warum dieser Herzog Widukind anschließend aus der Geschichte fällt; aber die vermutete Grabeskirche in Enger wird gezeigt (mit dem frühestens aus dem 11. Jh. stammenden Grabrelief). Kein Wort zu Einhards Behauptung [Das Leben Karls des Gr.; letzter Satz von 7.], dass nach dem 32-jährigen Krieg die Sachsen, „mit den Franken vereinigt, Ein Volk mit ihnen bildeten“, als wäre nichts Prägend-Trennendes vorangegangen.

Und die Authentizität? Der alte Petersdom, größte Kirche des Abendlandes, wird durch eine viel zu kleine romanische Kirche ersetzt, fürs karolingische St-Denis steht das hochgotische Kirchenschiff; einmal sitzt Karl in einer Art Kreuzgang mit Zimmerpalme, er trägt fast immer eine Kettenhaube wie im 14. Jh., die Mönche im Skriptorium müssen stehen (obwohl immer sitzend dargestellt), Widukind deklamiert „Freiheit oder Tod“, als wäre er einer von Schillers Räubern, der kleine Karl begrüßt Seine Heiligkeit stotternd mit „Herr Papst“. Die karolingische Renaissance samt Bildungsreform wird nicht vertieft, alle sonstigen ‘Karlspremieren’ werden übergangen.

Schließlich kündet der um 1200 fertiggestellte Karlsschrein von seinem Tod, Otto der Gr. reitet auf dem Lechfeld über sterbende Ungarn, und das Fazit lautet: Karl hatte die Leitidee eines Friedensreiches, eines Friedensraumes, auch wenn er fast immer Krieg geführt hat.

Das war mäßige Unterhaltung ohne Bildungswert, Karl als Null ohne Charisma, dessen Existenz auch ohne unsere grundlegenden Zweifel versickert. Was für ein Ankerpunkt in den Untiefen der TV-Welt.