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Zweifel. Gab es Karl den Großen wirklich?

Ein Buchhinweis von Heribert Illig (aus Zeitensprünge 3/2010)

Mit Detlef Suhr [= S.] unterstützt ein geschichtskundiger Arzt aus Gotha, der gar nicht unserem Kreis angehört, die These vom erfundenen Mittelalter: Zweifel. Gab es Karl den Großen wirklich? 2010, Jena, 193 S., 17 Farbabb.

Nachdem Suhr die Leser in seiner locker-saloppen Weise eingestimmt hat, stellt er die These anhand der Zweifel vor, die sich mit all den vorgetragenen Argumenten verbinden [S. 29-35]. Weil er auf ein breiteres Publikum zielt, verzichtet er auf exakte Quellenangaben; bevor er seine Leser mit Kalenderproblemen vergrault, „ziehen wir eilig das Fazit: Unsere Zeit(rechnung) ist relativ. Sie wurde von Menschen gemacht und von Menschen immer wieder verändert“ [S. 35]. Ab da beschränkt er sich auf Karl, seine Leiden und seine Leiche. Einhards in sich widersprüchliche Angaben zu Krankheit (Pleuritis) und Sterben bringen den Arzt zu dem Schluss:

„Wenn die Schilderung der Todesumstände nicht stimmt, wenn die Diagnose nicht stimmt, was stimmt dann überhaupt? Dann braucht man auch allen anderen Details der Karlsgeschichte ebenso wenig Glauben zu schenken. Dann bewegen wir uns auf dem Münchhausen-Niveau.“ [S. 126]

Einhard [30] verwendet den griechischen Fachbegriff pleuresin (Pleuritis, Brustfellentzündung), der in Franken damals unbekannt gewesen sein dürfte. Dafür kennt Suhr mit Michael Psellos (1018–1078) einen Arzt, der sie bei den Kaisern Konstantin IX. und X. diagnostizierte, laut Suhr [123] wohl die Lieblingsdiagnose des Arztes. Das wäre ein Hinweis darauf, dass Einhards Text nach Psellos’ Diagnosen, nach 1055 geschrieben worden ist, mit der Absicht, Karl an einer kaiserlichen Krankheit sterben zu lassen.

Einhard kennt im Übrigen keinen Leibarzt Karls; der Schilderung nach stirbt dieser ohne ärztlichen Beistand [S. 108] und ohne Rückgriff auf die von ihm so propagierten Heilkräuter aus dem Apothekergarten [S. 115, 124]. In der Vita von Abt Sturmi wird Karls Leibarzt Wintar erwähnt. Doch der scheint nur ein simples Wortspiel mit dem Winter zu sein, in dem Karl starb [S. 107 f.].

Solcherart meldet Suhr aus Sicht des Arztes seine Zweifel an Karl an. Und so bleiben ihm von Karl dem Großen: „Nichts als vernünftige und begründete Zweifel“ [S. 181]. Meine These ist hiermit approbiert, gebilligt!

Korrekt merkt Suhr in seinem Schlusswort an, dass er vieles schuldig bleiben musste. Sein „Buch ist bestenfalls ein Mosaiksteinchen im großen Puzzle“ [S. 179]. aber dort wird das erfundene Mittelalter einmal ganz anders präsentiert, begleitet von zahlreichen Ausflügen zu Schillers Schädel, Virchow, Hitler, frühen Reliquienkult oder zu den Gebeinen der Hl. Drei Könige, die genauso wenig für die Könige bürgen wie die Knochen aus dem Karlsschrein für den Kaiser [S. 157].