Wie König Artus Karl den Großen übertrumpfte, und der Buchdrucker Caxton sich aus einer Affäre zog, und was dies für die aktuelle Chronologiekritik ausmacht

von Jens Kemper

William Caxton, der erste Buchdrucker im englischen Königreich, hat in seinem Vorwort zu einem von ihm gedruckten und verlegten Werk eine interessante Spur zur Rezeption von Geschichte und Geschichten im ausgehenden Mittelalter hinterlassen. Viele edle Männer des Königreiches, so schreibt er, waren auf ihn zugekommen und hatten ihn bedrängt, doch eine Lebensbeschreibung des berühmtesten, ersten und Haupt der drei vorzüglichsten Könige der Christenheit zu veröffentlichen. Dieses vorzügliche Haupt, dieser König der Könige war: Karl der Große? Mitnichten. Es handelt sich, was bei einer englischen Einschätzung nicht zu sehr verwundert, um König Artus.

Immerhin machen Karl und Gottfried von Boullion die Plätze zwei und drei unter sich aus. Daneben gibt es in Caxtons royalem Ranking je drei jüdische und heidnische Exzellenzkönige. Nachzulesen im Vorwort von “Le Morte Darthur” von Sir Thomas Malory, Hrsg. Caxton, London 1485. Hier fand die Ausgabe von Lippincott and Co., London 1868, Betrachtung (1).

Das schon im ausgehenden 15. Jahrhundert dünne Eis der Faktizität von König Artus war Caxton bewusst. Und die Tatsache, dass er im Vorwort explizit erwähnt, wie er den noblen Initiatoren entgegenhält, dass es berechtigte Zweifel an der Existenz des König Artus gäbe, deutet auf ein Nebeneinander von Glauben und Skepsis in jener Zeit.

Caxton lässt sich überzeugen. Denn die edlen Herren fahren nur allzu bekannte Geschütze auf. Zunächst die Beleidigung: Wer Zweifel an König Artus hat ist verrückt und mit Blindheit geschlagen. Dann die Beweise: Glastonbury mit der Begräbnisstätte, Textquellen, wie das Polychronicon oder etwas handfester auf dem St.-Edward-Schrein in der Westminster Abbey das Siegel “Patricius Arthurus Britannic, Gallie, Germanie, Dacie, Imperator” bis hin zu Sir Garwains Schädel im Castle of Dover.

Aufgrund dieser Fakten kann Caxton nun nur noch zustimmen, dass es den grandiosen König Artus wirklich gegeben hat, und bringt den Text von Malory heraus. Wer hier aber zwischen den Zeilen liest, kommt um die Einschätzung nicht herum, dass Caxton sich ein Hinterscheunentor als Artusleugner offen gelassen hat. Auch wenn er es nicht offen sagen konnte, wäre ihm mit diesem Vorwort doch der Verweis darauf geblieben, dass er persönlich an die Existenz Artus nicht geglaubt hatte. Seine Ansicht kommt nicht direkt zur Sprache; aber alleine die Erwähnung der Zweifel deutet auf eine damals aktuelle Debatte hin, denn schließlich hätte das Buch auch ohne diese Problematisierung erscheinen können.

Hier lächelt der moderne Leser milde: Artus, der Patricius und Imperator einer höchst eigenartigen Provinzenansammlung, fragwürdigste und viel zu späte Belege und Quellen. Allenfalls ein Gestocher im Nebel nach dem historischen Vorbild für die Legenden wird ernst genommen.

Und der moderne Karlsbezweifler? Der sieht nach der Lektüre von Illig (2) die Angelegenheiten vor Parallelitäten geradezu bersten. Nicht nur unter dem Aspekt des zusammengefälschten, großen altvorderen Herrschers sondern auch die Reaktion auf kritische Betrachtungen der allzu fadenscheinigen Ikone kommt einem bekannt vor.

Immerhin kann man in einer Karlsdebatte nun dieses schöne Beispiel anbringen und darauf hinweisen, dass wir es beim Erfälschen großer Ahnherren mit einer Struktur zu tun haben. Bei Artus, bei Karl, Jesus, Mohammed und bei sonstwem. Eine Struktur, die über den Akt der Erschaffung und/oder Ausstaffierung hinausgeht und durch Generationen die Verteidigung des Identitätsstifters gegen Ketzer einbezieht. Denn der Anhänger – in welcher Rolle auch immer er später auftritt – ist Passagier dieser Identität. Und, nachdem man in unserer fiktiven Debatte die ganzen hanebüchenen Unwahrscheinlichkeiten aus der Karlsüberlieferung genannt hat, kann man schließen, dass wir Heutigen, ob als Empfänger oder Protagonisten, nicht erhaben und unberührbar gegenüber dieser Struktur sind.

Wenn dann noch immer jemand an Karl festhalten will, so möge ihm oder ihr der König-Artus-Preis für besondere Leistungen verliehen werden.

Quellen:

(1) Morte Darthur: Sir Thomas Malory’s book of King Arthur and his noble knights of the Round table – von Thomas Malory, William Caxton, Edward Strachey / Edition: 2 / Veröffentlicht von J. B. Lippincott and Co., 1868

(2) Illig, “Das Erfundene Mittelalter”, ECON 1998

[Der Beitrag erschien erstmals am 2. Juni 2009 im Forum, jb]