von Heribert Illig (aus Zeitensprünge 1/2004)

Eine Revolution im Maya-Kalender

Wie mir dankenswerterweise Karl-Heinz Lewin, Haar, mitteilte, gibt es erstaunliche Neuigkeiten beim für seine Genauigkeit gerühmten Kalender der Maya. Andreas Fuls [2004, passim] hat Forschungen, die er zusammen mit Brian Wells in den letzten Jahren betrieben hat, in Spektrum der Wissenschaft vorgestellt.

Seit 1927 ist man davon ausgegangen, dass der Startpunkt der ‘Langen Zählung’ des Maya-Kalenders auf dem 8. 9. -3114 gelegen hat – so die Synchronisation mit dem christlichen Kalender. Sie ist aus verschiedenen Komponenten ermittelt worden: aus Sonnenjahren, synodischen Umlaufzeiten der Venus, einschlägigen Korrekturwerten, überlieferten Finsternissen und Frühlingspunktangaben. Gerade wegen der verschiedenen astronomischen Werte wollte keine einheitliche Linie gelingen, so etwa wenn Nancy Owen eine Synchronisation anhand einer Serie von Sonnenfinsternissen versuchte, aber nicht den notwendigen Neumond, sondern den Vollmond traf. Mittlerweile gibt es sechs Korrelationen zur christlichen Zeitrechnung, die auf schriftlichen Quellen (leider vorwiegend spanischen) und mindestens 18 weitere mit astronomischer Begründung.

Nun haben Fuls und Wells das getan, was man eigentlich schon längst als erledigt wähnte: Sie verglichen Rückrechnungen mit Maya-Aufzeichnungen (Dresdner Codex) und mit entsprechenden Stelen-Inschriften, wobei sowohl die Sonnenfinsternisse wie die Monddaten berücksichtigt werden. Damit sind wesentlich präzisere Abgleiche möglich. Erstmals kann man von einer wirklichen archäoastronomischen Prüfung sprechen.

Bei vier Voraussetzungen – Venus erscheint als Morgenstern, es ist Neumond, die Sonne geht durch den Mondknoten und es ist Frühlingsanfang – ergaben sich vier mögliche Konstellationen zwischen 3688 und 3408, dazu noch -2906. Die Forscher entschieden sich aus dem einfachen Grund für die späteste Jahresangabe, weil sie das Ende der klassischen Mayakultur um 208 Jahre von ca. 850 ins 11. Jh. verschiebt. Diese Jahrhunderte waren bislang in der schon gegen 850 aufgegebenen Mittelprovinz [Disselhoff 116] dunkel: ohne Bauten, ohne Lebenszeichen, die südlichen Maya-Städte aufgegeben und dafür solche im Norden gegründet. Eine absolut rätselhafte Umbruchszeit, für die bislang viele Erklärungen gegeben worden sind: von ausgelaugten Böden  über mangelnde Regenmengen, zusammengebrochene Kanalsysteme oder Revolten gegen die Priesterkaste bis hin zum Lebensraumwechsel als Tribut an ein übersteigertes Kalenderwesens. Sie werden nun allesamt Makulatur.

Ein solche Umgruppierung kann eigentlich nur funktionieren, wenn es keine tradierten Datierungen für diese postklassischen Zeiten gibt. Tatsächlich ist das letzte Datum gemäß langer Zählung im bisherigen Jahr 909 (jetzt 1117 n. Chr.) in Stein gehauen worden [Schele/Freidel 655; Disselhoff 125]. Außerdem gilt die Blütezeit der Mittelprovinz explizit als “Zeitalter der langen Rechnung” [Disselhoff 123]. Danach sind offensichtlich – Fuls behandelt diese Problematik ganz ungenügend – nur noch Datierungen verwendet worden, die sich viel rascher wiederholten. (Der Maya-Kalender kennt das gemeinsame Vielfache von 260 und 365 Tagen (Tzolkin und Haab) als Periode von 52 respektive 104 Jahren. In späterer Zeit gab es auch die Katun-Periode von 8.000 Tagen, die nach jeweils 256 ¼ Jahren zu gleichen Tagesbezeichnungen führte).

Gleichwohl gibt es auch später noch ‘lange’ Daten. In dem Kultzentrum Chichén Itzá ist mehr als ein Jahrhundert, 867 bis 998, mit Kalenderdaten belegt, die in der Wells-Fuls-Korrelation der Zeit 1075–1206 entsprechen. Die Verschiebung bestätigt sich dadurch, dass in Chichén Itza toltekische Einflüsse nachzuweisen sind, obwohl das Toltekenreich erst zwischen 1000 und 1200 geblüht haben soll. Aber die nach 900 niedergeschriebenen Daten müssen modifiziert werden. Deshalb postulieren Wells und Fuls eine Kalenderreform, für die einige, wenn auch nicht sonderlich harte Argumente genannt werden [Fuls 54 f.].

Es geht uns im Moment aber nicht um die Rätsel der Maya-Datierungen, sondern um den formalen Lösungsansatz: Die Zeitachse wird um 208 Jahre gekürzt, eine Phantomzeit von 208 Jahren aus der Geschichte gestrichen und eine Kalenderreform postuliert und niemand heult auf!

Man kann sich nur wundern: Genau diese wesentlichen Elemente sind für die Phantomzeit in der Alten Welt genannt worden: Es sind sogar drei Kalenderreformen in Byzanz, bei den westlichen Christen und bei den Juden nachgewiesen – doch da hat dieselbe Redaktion nur Spott und Hohn übrig gehabt. Ihr Mitglied Christoph Pöppe bezeichnete diese These als “Unfug”, über den er “nie ernsthaft” nachgedacht habe [10/2003]. Jetzt, von Archäoastronomen vorgetragen, wird der Ansatz von Spektrum der Wissenschaft mit Freude präsentiert. Die Haltung ist insofern verständlich, als bei den Mayas dank unseres Nichtwissen keine Geschichte zu Fabelgeschichten herabgestuft werden muss, weil kein berühmter Mensch zum Phantom wird.

Still sind die C14-Spezialisten, wird doch nun auch in Zentralamerika demonstriert, dass sie ihre Messungen brav nach der geglaubten Zeitskala  kalibriert und deshalb die überflüssige Zeit nicht bemerkt haben. Das ist ein weiterer, substanzieller Nachweis ihrer angemaßten Wichtigkeit, die in Wirklichkeit allenfalls eine dienende Funktion beanspruchen könnte. Still sind bislang auch andere Archäoastronomen, denn ihnen ist demonstriert worden, dass sie ihre Synchronisationen in den letzten 75 Jahren nicht hinreichend präzise untermauert haben.

Bislang stand der Maya-Kalender in keinem Zusammenhang mit der Phantomzeitthese, gab es doch keine geschichtlichen Abgleichsmöglichkeiten zwischen Alter und Neuer Welt vor 1492. Nunmehr liegt ein ernsthafter Versuch vor, anhand rückrechenbarer Himmelsereignisse die tatsächliche Verbindung zur christlichen Zeitrechnung zu schlagen. Dabei ist aber die Altweltchronologie mitsamt der Phantomzeit als Stütze benutzt worden. Wird die hiesige Phantomzeit von der Zeitachse gestrichen, hat dies nunmehr Auswirkungen auf die transatlantische Kalkulationen. Es wäre zwar verführerisch, das oben genannte Datum -3408 festzuhalten, weil es 294 Jahre vor -3114 liegt und damit bis auf drei Jahre die östlich des Atlantik präferierte Zeitspanne bestätigen würde. Doch die Rechnung geht anders (vgl. Graphik):

Maya-Kalender

Das Datum 3114 v. Chr. wird durch 2908 v. Chr. ersetzt. Ab da läuft die Chronologie der Mayas, in Stein festgehalten auf Stelen und Bauwerken, wobei erwähnt sein will, dass derartige Daten erst seit dem -4./3. Jh. aufgezeichnet worden sind. Doch es wird nicht die gesamte Zeit der Mayas um diese 208 Jahre verjüngt. Denn alle Daten nach 1116 n. Chr. bleiben unverändert. Tatsächlich verjüngt sich das letzte auf Stelen genannte Datum der langen Zählung (908 n. Chr.) um 208 Jahre, wird also zu 1116 n. Chr. Dieses Jahr ist noch nicht sicher, weil niemand weiß, ob nicht unmittelbar nach 908 oder doch erst einige Jahre später diese Datierungsweise aufgegeben und durch eine wesentlich kürzer zurückreichende Darstellung ersetzt worden ist. Aber wir bleiben zunächst bei der Identität 908 = 1116.

Während die zur Rechnung benutzte Zeitskala mit ihren rückgerechneten Sonnenfinsternissen und anderen Himmelsereignissen gültig bleibt, müsste aber nun noch die Phantomzeit zwischen 614 und 911 n. Chr., also die Identität der beiden Jahre berücksichtigt werden. Damit würde sich das Startjahr der Maya-Rechnung rein zahlenmäßig von 2908 v. Chr. auf 3205 v. Chr. verschieben, sofern wir die leeren Jahre ersatzlos streichen. Allerdings hat es sich zumindest für die Zeit ab der relativ gut belegten Antike, also ab dem archaischen Griechenland als sinnvoller erwiesen, die Leerjahre als Jahreszahlen ohne geschichtlichen Inhalt zu belassen.

Postskriptum: Thomas Frenz hat bei seinem Plädoyer für Apokalypsen und gegen die Phantomzeit (s. S. 93 ff.) auch auf den Maya-Kalender verwiesen, obwohl er eigentlich nicht unter die von ihm vorgestellten “mittelalterlichen Berechnungen” fällt. Er war ihm in dem Zusammenhang mit apokalyptischen Vorstellung wichtig, weil die Mayas in zyklischen Weltuntergängen dachten. Ihre fünfte Welt sollte gemäß Frenz [117] im Jahr 2007 oder 2008 untergehen. Die Rechnungen von Fuls zeigen, dass derartige Kalkulationen, wie noch 2003 von Frenz vorgetragen, schnell veralten können. So erledigt sich die Angst vor dem allerdings sehr dezent geschürten Weltuntergang: Auch bei 2007/8 müssen bei jetzigem Stand 208 Jahre hinzugerechnet werden, so dass die derzeit Lebenden beim erwarteten Kataklysmus weitgehend unbeeinträchtigt bleiben sollten.

Islamische und christliche Astrolabien

Bei der Suche nach islamischen Hinweise auf die Phantomzeit begegnete mir eine Textstelle, die eine Sensation hätte sein können. Sie steht in einem großformatigen Werk Francesco Gabrielis über islamische Einflüsse in Europa:

“Das flache Astrolab ist das wichtigste Instrument der älteren Astronomie. Die Muslime vervollkommneten es, auch wenn es offensichtlich – zumindest theoretisch – schon früher bekannt war (Beispiele haben sich aber nicht erhalten). Die Bezeichnungen Asturlab bzw. Usturlab sind vom griechischen astrolábos bzw. astrolábon órganon abgeleitet. Bei dem von Ptolemaeus in seinem Almagest unter diesem Namen erwähnten und  beschriebenen Instrument handelt es sich jedenfalls nicht um ein flaches Astrolab, sondern um eine Armillarsphäre. Das flache Astrolab gründet auf der Theorie der stereographischen Projektion, die sich bis auf den Griechen Hipparch (um 150 v. Chr.) zurückführen läßt. Das älteste bisher bekannte datierte stammt von 927/28. Eines der ältesten Beispiele scheint das aus dem Museum für Geschichte der Naturwissenschaften in Florenz zu sein – falls es wirklich im 11. Jahrhundert angefertigt wurde. Es ist freilich in einem Behälter aufbewahrt, der eine lateinische Inschrift trägt, nach der »es aus Spanien gebracht und angefertigt wurde, als die Frühjahrstagundnachtgleiche auf den 15. März fiel, d.h. im Jahre 1252«. Es besteht ein offensichtlicher Widerspruch zwischen dieser Jahreszahl und den astronomischen Angaben auf dem Instrument, das heißt der ekliptikalen Länge der Sterne. Der Stern Regulus steht hier bei 15° im Tierkreiszeichen Löwe, heute würde er bei 30° stehen. Wegen der Präzession (Vorrückung der Tagundnachtgleichen), welche die Längenwerte alle 72 Jahre um etwa einen Grad verschiebt, kommt ein Zeitpunkt vor mehr als 1000 Jahren in Frage (die Araber rechneten allerdings mit 1° in 66 Jahren, das ergäbe Ptolemaeus = 138 n. Chr. + 825 Jahre = 963, also grob annähernd die Mitte des 10. Jahrhunderts).” [Gabrieli 162]

Wir erfahren hier von einem ungelösten Rätsel. Der Stern Regulus (α leo) ist eine markante Himmelserscheinung direkt auf der Ekliptik, so dass bei seiner Positionsbeschreibung keine Höhenangabe nötig ist und damit Beobachtungsfehler vermieden werden. Für Regulus gibt es nun drei Werte: 2,5° zu Zeiten von Ptolemaios, zumindest für ‘seine’ Zeit um 150 n. Chr. – dann 15° zu Zeiten der Astrolaberstellung – und ca. 30° in der Gegenwart. Daraus lässt sich Folgendes errechnen:

1) Wir nehmen die Vermutung auf, dass der Hersteller sich an die Tafeln des Ptolemäus gehalten hat. Wenn diese 138 n. Chr. entstanden oder auf dieses Jahr hin berechnet worden sind, hätte das Vorrücken von Regulus für das Astrolab berechnet werden können. Die Araber gingen wie Ptolemäus davon aus, dass die Sterne der Ekliptik wegen der Präzession binnen 66 Jahren um 1° vorrücken, und auch von seinem Wert 2,5° für Regulus. Dann erhalten wir

(15° – 2,5°) x 66 [Jahre] + 138 = 963 n. Chr.

So steht es – siehe oben – bei Gabrieli, der jedoch die Diskrepanz zur Schatullenbeschriftung nicht erklären kann. Addieren wir aber die 297 Jahre Phantomzeit hinzu, so ergibt 963 + 297 = 1260 [n. Chr.].

Das ist die einzige mögliche Rechnung, die Geräteangabe und Begleittext zusammenbringt, denn ihr Ergebnis liegt dicht bei der Vorgabe von 1253 n. Chr. Weil sie bislang nie angestellt worden ist, ließ sich mit der Geräteangabe wenig anfangen. So wäre immerhin klargestellt, dass es sich keineswegs um eines der ältesten Instrumente handelt, sondern um eines aus dem 13. Jh.

Astrolab
So genanntes Karolingisches Astrolab (Vorderseite), datiert auf 980,
möglicherweise auch Fälschung [Stautz 1999, 68]

Doch was wie der lang gesuchte, positive Beweis für die Phantomzeitthese aussieht, ist beliebig relativierbar: Wir führen zunächst zwei weitere Kalkulationen durch:

2) Von der Gegenwart zurückgerechnet – Gabrielis Buch wurde 1982 erstmals publiziert – ergeben sich aus 30° – 15° = 15° x 72 [Jahre] = 1080 [Jahre]. Wir haben für die Retrokalkulation mit 72 Jahren jene Zeit eingesetzt, die tatsächlich verstreicht, bis die Präzession um ein Grad vorgerückt ist. Die 1080 von 1982 in Abzug gebracht, ergibt sich das Herstellungsjahr 902. So wäre das Astrolab 350 Jahre älter, als auf der Schatulle angegeben. Bei Abzug der Phantomzeit ergäbe sich statt 902 das Jahr 605 n. Chr.

3) Die Angabe der Frühlingstagundnachtgleiche für den 15. März lässt ebenfalls eine Kalkulation zu. Da der Fehler des Julianischen Kalenders binnen 128 Jahren zu einem zusätzlichen Tag aufläuft, haben wir eine Abdrift von 6 x 128 = 768 Jahren. Herkömmlich wird das Konzil von Nicäa (325) als Bezugspunkt verstanden, so dass sich 768 + 325 = 1093 n. Chr. ergäbe. Nach der Phantomzeitthese liegt der Bezugspunkt bei Cäsars Kalenderreform (-45), also 370 Jahre früher; doch da 297 Jahre in Abzug kommen, ergäbe sich ein Wert im selben Jahrhundert:

(768 – 45) + 297 = 1020 n. Chr.

Nach diesen Abschätzungen wäre das Astrolab 230 bzw. 159 Jahre älter als angegeben. So lassen sich bei diesem Gerät drei Altersbestimmungen durchführen, bei der nur eine zum Ziel führt.

Der Astrolabienkenner und -bauer Martin Brunold hat mir dankenswerterweise die Reguluswerte (α Leo) von 21 arabischen Astrolabien übermittelt, so dass wir eine breitere Prüfbasis bekommen:

Nr. Bezeichng. α Leo Datierg. ab Pt/+PhZ re 2000
1 Al-Khatif 13-14 9. Jh. 876/1173 812/515
2 Bastulus 13-14 927/8 876/1173 812/515
3 Djafar 15 950 c. 975/1272 920
4 Al-Isfahani 18 984 1173 1136
5 Al-Khujandi 15 985 975/1272 920
6 “Karolingisch” 14 990 909/1206 848/551
7 “Silvester” 15 990 975/1272 920
8 Al-Mustim 15 10./11. 975/1272 920
9 Toledo 18 1029 1173 1136
10 Al-Sahli 20 1067 1305 1280
11 Al-Sahli II 18 1068 1173 1136
12 Al-Isfahani 18 1119 1173 1136
13 Al-Isfahani II 18 1152 1173 1136
14 Abu Bekr 19 1208 1239 1208
15 Mondmech. 18 1223 1173 1136
16 Foutouh 21 1224 1371 1352
17 Sultan Moosa 22 1227 1437 1424
18 Al-Karim 20 1235 1305 1280
19 Adler Chicago 20 1250 c. 1305 1280
20 Spanien 22 14. Jh. 1437 1424
21 Fusoris 21 1400 c. 1371 1352

Die Reihung ergibt sich aus den gefundenen Datierungen, die in der vierten Spalte vermerkt sind. Davor steht jeweils der Gradwert für Regulus, danach die Rechnung ab Ptolemäus mit seinem zu kleinen Wert von 66 Jahren/Grad für die Präzession. Für die vermeintlich ältesten Instrumente ist auch die Jahreszahl angegeben, die sich bei Akzeptanz der Phantomzeit ergibt. Bei den Instrumenten ab Nr. 9 macht das keinen Sinn mehr, weil sie signifikant zu spät liegen würden. Bei ihnen ist die Phantomzeit auf jeden Fall einkalkuliert, so wie bei dem Instrument aus Florenz errechnet.

Eine erste, wichtige Prüfung zielt darauf ab, dass die ‘Hoch’-Rechnungen ab Ptolemäus und die Rückrechnungen von heute verglichen werden, also die Werte der 5. und 6. Spalte. Hier zeigt sich eine befriedigende Übereinstimmung bis zum Jahr 1000. Davor liegen die Werte schon 55 und mehr Jahre auseinander, wir nähern uns dem Unterschied von 1°, sprich den 72 Jahren/ Grad. In drei Fällen führt die Retrokalkulation in die Phantomzeit, weshalb auch das zugehörige Realjahr angegeben wird.

Viel gravierender sind die Diskrepanzen zwischen Gerätedatierung und Alterskalkulationen. Nehmen wir mit Nr. 2, Bastulus, das älteste datierte Astrolab (auf 927/28) [Borst 24], für das die ‘Hoch’-Rechnung’ (876) und die Rückrechnung (812) viel zu alte Werte ergeben. Sonst ergeben die Kalkulationen deutlich jüngere Werte als die Datierungen. Das gilt insbesondere für Nr. 17, Sultan Moosa, mit Differenzen von 230 Jahren und für Nr. 10, Al-Sahli, mit 220 Jahren. Eine befriedigende Übereinstimmung ergibt sich nur bei den Nrn. 3, 5, 7, 8 (ohnehin vage datiert), 12, 13, 14 und 21.

Nun ist ein Astrolab ein in Metall gefertigtes Präzisionsinstrument, das eine ganze Reihe von Gravuren und metallenen Zeigern enthält, die Rückschlüsse auf die Fertigungszeit ermöglichen müssten. Anzuführen sind auf jeden Fall folgende Möglichkeiten, die wir der Reihe nach betrachten:

a) ekliptiknahe Sterne wie Regulus

b) Ekliptikschiefe,

c) Äquinoktien [ebd., 17, 94],

d) Perihel (ebd. nicht weiter vertieft).

a) Sternpositionen

Dies haben wir am Beispiel Regulus bereits behandelt. Die generelle Diskussion zeigt laut Stautz [1997, 16-28], dass Sternpositionen allenfalls mit großen Schwierigkeiten zur Datierung der Instrumente herangezogen werden können. Sie werden nur zur Bestätigung vorgegebener Datierungen benutzt. Generell sind Astrolabien zu klein für präzise Angaben, und die Sternpositionen sind nicht mit Zahlenwerten, sondern mit Nomogrammen festgehalten, die erst entschlüsselt werden müssen. Wegen der verzerrenden Projektion der Himmelskugel auf die Äquatorebene wirken sich Ablesefehler bei Sternen nahe dem ekliptikalen Pol stärker aus. Wegen der möglichen Ablesefehler dürfen nur ekliptiknahe Sterne zur Bestätigung einer Datierung eines Astrolabs herangezogen werden [ebd., 27].

Im Falle des oben besprochenen Gerätes müssten sämtliche ekliptiknahe Sterne auf das Herstellungsdatum verweisen, doch werden darüber keine weitere Angaben gemacht. Man muss aber davon ausgehen, dass sie widersprüchlich ausfallen, sonst hätte sie Gabrieli wohl beigefügt. Derartige Widersprüche sind fast der Regelfall.

Das lässt sich exemplarisch mit dem so genannten “karolingischen” Instrument zeigen. Es ist ein Rätsel für sich, dem Brunold [116-121] ein eigenes Kapitel gewidmet hat. Denn die 20 durch Metallzeiger fixierten Sternpositionen liegen so weit wie nur möglich auseinander: Rückrechnungen führen je nach Stern zum Himmel von 110, 790, 980, aber auch von 1660 n. Chr. Diese riesige Fehlerspannbreite kann allenfalls so interpretiert werden, dass die Sternzeiger erst später zu den richtigen Positionen gebogen werden sollten. Die Bezeichnung des Entdeckers Marcel Destombes als “karolingisches Astrolabium” (erst 1962 ediert) ist hinfällig, denn ein solches ist bislang unbekannt. Die Mehrzahl der Spezialisten hat sich auf Ende 10. Jh. und auf katalanischen Ursprung geeinigt [Stautz 1999, 66, 73]. Brunold lässt weiterhin die Möglichkeit einer Fälschung offen, weil andere

“astronomische Gravuren erstaunlich exakt [sind], zu exakt für ein Instrument der lateinisch-europäischen Pionierzeit” [Brunold 121].

b) Schiefe der Ekliptik

Die Schiefe der Ekliptik ändert sich in Abhängigkeit der Zeit, doch bewegt sich die Veränderung in winzigen Dimensionen. Zwischen 2. und konvent. 15. Jh. ging der Winkel ε von 23:51,20° auf 23:30,17° zurück. Dafür gilt lapidar:

“Die Ablese- und Konstruktionsfehler sind zu groß, als daß sich aus den Instrumenten relevante Aussagen über die zu grunde liegende Ekliptikschiefe ablesen ließen” [Stautz 1997, 31].

Auch eine Überprüfung anhand eingravierter Ortsbreiten “kann die Berechnung nicht zu genauen Werten für ε führen” [ebd.]. Hinzu kommt, dass offenbar die Verfertiger der Astrolabien nicht immer mit dem aktuellen Wert der Ekliptikschiefe gerechnet haben. So wurde von westislamischen Konstrukteuren die Stunden des längsten Tages mit einem ε von 23:33° gerechnet, obwohl der zu ihrer Zeit aktuelle Wert 23:51° betrug [ebd., 55 f.].

c) Äquinoktien

Viele Astrolabien tragen auf ihrer Rückseite die Darstellung einer Kalenderskala, also einen Jahreskreis in einem Ekliptikkreis. Der Laie könnte hier annehmen, dass die Gravur des Frühlingsäquinoktiums in dieser Skala viele Unsicherheiten beheben könnte. Stautz schildert die Probleme – Ablesefehler, das Rückführen des Datums durch die eingeschobenen Schalttage u. a. – und zitiert H. Michel: “Das Datum des Frühlingspunktes erlaubt keineswegs die Festlegung des Konstruktionsjahres” [Stautz, 1997, 35; Übers. H.I.]. Stautz fasst seine Untersuchungen so zusammen:

“Nur durch die Betrachtung der Lage des Frühlingsäquinoktium in der Kalenderskala kann eine Datierung eines Instruments nicht vorgenommen werden.” [Stautz, 17]

Hier muss ein weiteres Scheitern der Archäoastronomie hingenommen werden [vgl. Illig 2003]: Sie ist leider nicht in der Lage, das Alter der Astrolabien hinreichend zu bestimmen, obwohl die Voraussetzungen günstig schienen. Immerhin gehören die Astrolabien zu den ausgeklügelsten Mechanismen und repräsentieren praktisch den ‘Computer’ vor dem Computer. Möglicherweise – doch dies nur als Mutmaßung – ist gerade das Mitführen der Phantomzeit im Kalender eine Ursache für die zum Teil unerklärlichen Widersprüche.

Zur Geschichte

Der planisphärische “Sterngreifer”, also das Astrolab, unterscheidet sich von der Armillarsphäre dadurch, dass seiner Konstruktion eine Projektion vom Südpol her auf eine Fläche zugrunde liegt, die mannigfaltige Berechnungen voraussetzt und dementsprechend schwierig ist. Dafür lassen sich mit ihm zahlreiche Beobachtungen anstellen, die hier nicht aufgelistet werden können [vgl. Saunders 10-27].

Das flache Astrolabium scheint etwa um 400 in Alexandria bekannt und gegen 530 den Byzantinern vertraut gewesen zu sein, denn wir kennen aus dieser Zeit eine Gebrauchsanweisung von Johannes Philoponos [Borst 19] .

(Weil ich daraus Ptolemaios’ Behauptung, mit einem Astrolab gearbeitet zu haben, als falsch hervorhob [Illig 1999, 147], hat Krojer [157-162] ein Kapitel chen lang einen ‘Schleiertanz’ aufgeführt. Er verwies darauf, dass laut van der Waerden Ptolemaois eine Armillarsphäre benutzt habe, die jedoch ebenfalls Astrolab genannt worden sei. Nach dieser von Krojer ins Spiel gebracht Unschärfe führt er alles mögliche gegen mich an, zum Schluss allen Ernstes Borst selbst, der immer von einem flachen Astrolab gesprochen hat. Doch auch er war sich nicht schlüssig, von welchem Instrument Ptolemaios überhaupt gesprochen habe:

“Auch moderne Forscher könnten dann leichter angeben, welches Gerät Ptolemaios in der Hand oder im Sinn hatte.

Daß er selbst das planisphärische Astrolab erfand, wird seit tausend Jahren immer wieder behauptet. Es wird aber immer unwahrscheinlicher, je gründlicher die Forschung neben seinen überlieferten Aussagen deren Textgeschichte bedenkt” [Borst 17 f.].

Es steht also für Borst fest, dass Ptolemaios kein flaches Astrolab gekannt hat und – analaog zu meinem Gewährsmann R.R. Newton – auch dort gerechnet habe, “wo er beteuerte, er habe genau beobachtet” [Borst 18]. Nichts anderes habe ich vertreten. Es hätte genügt, darauf hinzuweisen, dass für Borst erst Autoren des 10. Jhs. den größten Astronomen des Altertums mit dem Astrolab in Verbindung gebracht haben dürften, obwohl er zugleich von älteren islamischen Bemerkungen spricht [Borst 17, Fn. 18]. Wenn Dritte es für nützlich erachten, auch Armillarsphären als Astrolab zu bezeichnen, mögen sie ihr Verwirrspiel genießen, aber nicht ihre Mitwelt behelligen.)

Zurück zu Byzanz. Neben der Baubeschreibung aus dem 6. Jh. fehlen die Geräte; das älteste bis heute erhaltene Astrolab aus Konstantinopel wurde erst 1062 gebaut [Borst 20]. Deswegen weist Borst [22] auch Lynn White jr. zurück:

“Aus der Luft gegriffen ist die Vermutung […], daß sich der Gebrauch antiker Astrolabien im westlichen Frühmittelalter ohne Unterbrechung erhalten habe.”

Das hätte Karl den Großen als ebenso großen Astronomen nicht hindern müssen, das Gerät nach Aachen zu bringen. Doch:

“Man ignorierte es sogar am Hof Karls des Großen, der doch sonst Konstantinopel und Bagdad nicht aus den Augen verlor” [Borst 22].

Das Ignorieren lässt sich natürlich ganz anders motivieren. Hätte ein Karl – ganz abgesehen von der Phantomzeit – überhaupt ein Astrolab bekommen können? Das älteste datierte arabische Astrolab ist unsere Nr. 2, Nastulus Bastulus, dessen astronomische Angaben jedoch die Datierung auf 927/28 nicht bestätigen. Erst ab 950 häufen sich Exemplare aus dem persischen, syrischen und ägyptischen Raum [Borst 24]. Nach Spanien kam das Wissen um dieses Instrument etwa 960 [ebd., 25], wie uns Gebrauchsanweisungen bestäti gen. Insgesamt sind etwa 700 islamische Astrolabien erhalten [Stautz 1999, 11]. Selbstverständlich kennt die arabische Tradition viel ältere eigene Wurzeln, nämlich aus dem 8. Jh. [ebd., 14]. Sie ist insbesondere durch Ibn al-Nadim mit seinem Werk Al-Fihrist vertreten, der auch Nastulus Bastulus als zeitgenössischen Instrumentenbauer nennt, der jedoch für diese Zeit mit zu alten Sternwerten gearbeitet hat (s.o.). Die ältesten Astrolabien (konvent. ab 770) werden an Hand von datierten Beschreibungen und über Genealogien von Instrumentenbauern datiert [Stautz 1997 81; 1999, 14, 65].

In Spanien, genauer in Katalonien, wurden ab 975 Instrumente anders beschriftet: in Latein, mit dem Sonnenkalender und dem Tierkreis, aufgeteilt in zwölf Häuser zu 30°. Die christliche Traditionslinie ist offenkundig sehr schwierig darzustellen. Zwischen dem 10. Jh. und etwa 1450 bleibt alles im Ungefähren: Nur vier von etwa 130 Astrolabien sind datiert, nur wenige weitere Stücke tragen eine Inschrift [Stautz 1999, 65].

Arno Borst [46, 55, 69] hat gleichwohl eine Linie entwickelt: Gerbert, also der spätere Papst Silvester II., begegnet 967 in Katalonien dem Astrolab; die zugehörige Theorie wird um 980 bekannt. Nach 989 setzt im Abendland praktisches Hantieren ein. 995 verfasst Konstantin von Fleury das erste lateinische Lehrbuch, gefolgt um 1000 von dem Reichenauer Fragment. Auf lothringische Schriften folgt Hermann der Lahme um 1050. Spätere Geräte wirken oft so, als ob sie von arabischen Vorbilder, aber ohne großes Verständnis kopiert worden seien. Die Kontinuität der Theorie reißt ab:

“Erst 200 Jahre nach Hermannus Contractus’ Arbeit über das Astrolab scheint eine neue Arbeit, diesmal von Helmold von Hildesheim, über das Astrolab erschienen zu sein” [Stautz 1999, 89],

die sich gleichwohl an die viel ältere Arbeit von der Reichenau anlehnt. Hier werden sich weitere Forschungen lohnen.

Fazit

Die zahlreichen Beobachtungen der Mayas, in der Mehrzahl in den harten Stein ihrer Stelen gemeißelt, haben eine wesentlich höhere Qualität als die eher zufälligen Beobachtungen im antiken und spätantiken Abendland. Deshalb brachten Wells und Fuls einen rechnerischen Abgleich der zahllosen Maya-Daten mit der christlichen Zeitrechung zu Stande. Ob es dereinst einem Archäoastronom gelingen wird, den antiken Himmel überm Abendland mit dem heutigen stringent zu verbinden, steht noch in den Sternen. Obwohl hier seit über hundert Jahren der archäoastronomische Abgleich versucht wird, erwiesen sich die erhaltenen (und immer fälschungsbedrohten) Daten als zu widersprüchlich.

Literatur

Beaufort, Jan (2003): Die Fälschung des Almagest und ihre Verdrängung durch Krojer; in: ZS 15 (1) 508-515

Borst, Arno (1989): Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende; Heidelberg

Brunold, Martin (2001): Der Messing-Himmel. Eine Anleitung zum Astrolabium; Abtwil

Disselhoff, Hans Dietrich (1967): Geschichte der altamerikanischen Kulturen; München · Wien

Frenz, Thomas (2003): Wann geht die Welt unter? Mittelalterliche Berechnungen des Termins von Weltende und Weltgericht; in: Gaisbauer, Gustav (Hg.): Weltendämmerungen. Endzeitvisionen und Apokalypsevorstellungen in der Literatur. Fünfter Kongress der Phantasie (2000 in Passau); Passau, 113-122

Fuls, Andreas (2004): Das Rätsel des Mayakalenders; in: Spektrum der Wissenschaft, 1/2004, 52-59

Gabrieli, Francesco (1997): Mohammed in Europa. 1300 Geschichte, Kunst, Kultur; Augsburg (ital. 1982)

Illig, Heribert (2003): “Das Scheitern der Archäoastronomie. Rückweisung der bislang gewichtigsten Kritik an der Phantomzeitthese”; in: ZS 15 (3) 478-507

– (1999): Wer hat an der Uhr gedreht?; München

Krojer, Franz (2003): Die Präzision der Präzession; München

Pöppe, Christoph (2003): “Absurdes” [Krojer-Rezension]; in: Spektrum der Wissenschaft, Heft 10, 96

Saunders, Harold N. (1984): All the astrolabes; Oxford/England

Schele, Linda / Friedel, David (1995): Die unbekannte Welt der Maya; Augsburg (11990)

Stautz, Burkhard (1997): Untersuchungen von mathematisch-astronomischen Darstellungen auf mittelalterlichen Astrolabien islamischer und europäischer Herkunft; Bassum (Dissertation)

– (1999): Die Astrolabiensammlungen des Deutschen Museums und des Bayerischen Nationalmuseums; München