von Heribert Illig  (aus Zeitensprünge 2/2007)

Dr. Ralf Molkenthin, ein freier Mitarbeiter des Ruhrmuseums Essen, ist den Lesern von Das erfundene Mittelalter gut bekannt. Im aktualisierenden Nachwort von 1998 [402-406] musste ich mich einer Attacke von ihm erwehren (er behauptete grundlos, in Bezug auf die Fossa Carolina zeigen zu können „wie inkompetent der Autor und wie indiskutabel seine These ist“ [ebd., 402 f.]).

Nun hat Molkenthin in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, immerhin ein „Fachorgan für Historiker, Geschichtslehrer, Archivare, Studierende und Interessenten an Geschichte und verwandten Disziplinen wie Völkerkunde, Politische Wissenschaft, Altertumswissenschaften, Kunstgeschichte u. a.“ [Impressum], in deren Heft 7/8 eine größere Rückschau publiziert: Phantomzeit und Mediävistik. Oder: Zwölf Jahre ‚Mittelalterdebatte‘ – und was davon zu halten ist [= M.].

„Gute zwölf Jahre ist es nun her“, dass ich die Öffentlichkeit mit meiner These überraschte – und weil ich das 10-jährige Jubiläum der These gebührend gefeiert hätte, trägt mein Kritiker nun „noch einmal einige der mediävistischen Argumente“ zusammen [M. 589]. Seltsame Rechnung: Im Heft 3/2005 habe ich Johannes Frieds gedacht, der 10 Jahre zuvor erstmals als Professor detailliert vor großem Publikum – Historisches Kolleg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Historische Zeitschrift – gegen die These gesprochen hatte. Seitdem sind gute 11 Jahre vergangen. Allerdings ist die Öffentlichkeit bereits früher ‘provoziert’ worden – aus Anlass der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals, am 25. 9. 1992. Damals erschien Karl der Fiktive, genannt Karl der Große, damals ging die These erstmals über den Äther und durch einige Zeitungen, damals äußerte sich als erster Mediävist Dieter Lohrmann aus Aachen zu ihr. Nehmen wir also gleich ein 15-Jahres-Jubiläum, um Molkenthin verspätet-verfrüht in sein Jubiläumsrecht zu setzen. Meine Replik folgt in der Nummerierung seinem Artikel, dem es allerdings nicht um die Mittelalterdebatte, sondern um die Phantomzeitthese geht.

I

Der Kritiker stößt direkt zum Kernpunkt vor, zur Fundleere oder Fundarmut, die er natürlich nicht gelten lässt, vielleicht weil er als Museumsmitarbeiter den Handschriften ferner steht als den Artefakten. Also keine Fundleere, sondern nur eine für die Zeit verständliche Fundarmut. Nicht verstanden hat er den Umstand, dass auch eine Fundarmut im Widerspruch zu den in dieser Hinsicht so ergiebigen Quellen steht. Forsch unterstellt er mir:

„Alle Dokumente, deren Inhalt sich nicht durch gegenständliche Überreste verifizieren lasse, seien folglich als gefälscht zu betrachten“ [M. 590].

Das ist ein verkürzender Schluss von ihm, nicht von mir, denn mir ist allemal bekannt, dass es Urkunden geben kann, deren Inhalt sich materiell nicht niederschlägt. Allerdings weiß man, dass Urkunden üblicherweise in umbauten Räumen geschrieben werden – und solche sollte es zum Zeitpunkt der Abfassung gegeben haben. Als Beispiel für seine, mir unterstellte Einschätzung fügt er in einer Fußnote an:

„So genügt Illig zum Beispiel einzig die Beobachtung, dass der Landkreis Erding keine materiellen Zeugnisse aus karolingischer Zeit bieten könne, als Beweis dafür, dass die 134 dort zu verortenden Urkundennennungen allesamt gefälscht seien. Quellenkritische Untersuchungen oder gar paläographische Analysen kann er zu Untermauerung nicht aufbieten“ [M. 590].

Nebenbei bemerkt: Dem ‘Prüfer’ ist entgangen, dass Bayern und die Phantomzeit zwei Autoren hat. Wie liest sich dort unsere entsprechende Passage?

„Aber nicht nur der Freisinger Domberg bietet sich fundlos: Der gesamte Landkreis Freising – mit 145 phantomzeitlichen Urkundennennungen bayernweit Spitzenreiter – bietet Max [ein fiktiver Verteidiger Karls d. Gr.] kein Objekt für seine Begierden […]. Dass auch der benachbarte Landkreis Erding mit seinen 134 Urkundennennungen überhaupt kein materielles Zeugnis bieten kann, lässt sich nur mit Fälschungen in großem Stil erklären“ [Illig/Anwander 325].

Es ist hier noch nicht bewiesen, dass alle Urkunden gefälscht sind, wie die Argumentationsfolge des Buches zeigt: Es werden alle Urkundennennungen allen greifbaren archäologischen Grabungsbefunden aus Ansiedlungen gegenübergestellt und das Resultat aus 967 argumentreichen Buchseiten, keineswegs der Halbsatz über Erding, ist dann: Urkundenbestand und archäologischer Befund berühren sich in agilolfingischer und karolingischer Zeit nicht, auch nicht im Erdinger Landkreis. Das lässt aber die Mediävistik kalt, weil sie unbeirrt dem Primat der Schriften vertraut. Ihr ist der Gedanke fremd, dass eine Urkunde oder Chronik durch materielles Substrat in Frage gestellt werden könnte. Wir hatten im Fall von Bayern eine mehr als kritische Masse von Diskrepanzen bei „karolingischen“ Überresten zusammengestellt, doch kein Mediävist nahm sie zur Kenntnis. Dabei sollten die Diplomatiker, die mit täglich neuen Fälschungsnachweisen ihre Basis permanent schwächen müssen, längst den Archäologen gleichrangig neben sich dulden.

Auch Molkenthin kann an dieser Stelle keinem einzigen unserer Befunde widersprechen, sondern flüchtet nach Xanten, wo es einen sicheren Karolingerbau geben soll. Das klingt so wie einst auf der Internet-Seite des Hauses der bayerischen Geschichte: Die Phantomzeitthese trage in China nicht – über die Situation in Bayern verlor man hingegen kein Wort. Nunmehr erhält Molkenthiens Steckenpferd, der Karlsgraben, eine schöne Passage [M. 591]:

„Dass es sich bei den genannten Überresten wirklich um die der Fossa Carolina handelt, folgt schon allein daraus, dass die Quellen sie genau an der Stelle verorten, an der sie tatsächlich zu finden sind, nämlich zwischen den Flüssen Rezat und Altmühl. Illig hatte seinerzeit die Kanalreste bei Weißenburg in das hohe Mittelalter datiert und weiterhin behauptet, dass die Ruine nicht mit der Fossa Carolina identifiziert werden könne.“

Um was geht es ihm? Selbstverständlich leugnet niemand das merkwürdige Erdwerk, selbstverständlich haben sich um diesen riesigen Doppelwall Legenden gebildet, die dann angesichts der Größe des Unternehmens einem ebenbürtig großen Kaiser zugeschrieben worden sind. So passen Schloss und Schlüssel zusammen – kein echter Erkenntnisgewinn. Zentral ist vielmehr, dass in Europa um 800 ein Scheitelkanal – ob mit oder ohne Stufen oder gar Schleusen – einen krassen Anachronismus darstellen würde; das habe ich hinreichend erörtert, aber Molkenthin hat es nicht wahrgenommen. Nachdem derartige Kanäle erst Jahrhunderte später in Europa auftreten und bislang auch keine archäologischen Funde für die Karolinger sprechen – Molkenthin [M. 591] fordert erst noch vorzunehmende gründliche Ausgrabungen, als ob es ringsum nicht Lesefunde genug gäbe, aber nur aus anderen Zeiten –, habe ich geschlossen, dass es niemals eine karolingische Fossa Carolina gegeben hat. Trotz der Bemühungen des Kontrahenten ist es ein „Rätselgraben“ geblieben – eine Bezeichnung, die er gerne missen würde.

Als drittes Beispiel bringt er ein Argument von Horst Fuhrmann, das seit ca. 1996 nicht besser geworden ist: die Grabplatte für Papst Hadrian I., veranlasst von Karl dem Großen, angebracht in der Vorhalle von St. Peter zu Rom.

„Die Platte hätte man vielleicht sogar fälschen können, wie aber hätten die Fälscher diese Ehrenbezeugung eines erfundenen Kaisers für einen ebenso erfundenen Papst in Rom anbringen sollen, ohne dass sich jemand gewundert hätte, woher sie plötzlich gekommen sei?“ [M. 591]

Der alte Petersdom, in dem Karl gekrönt worden sein soll, steht nicht mehr. Der Neubau begann 1452 und lief im Wesentlichen bis 1612, wobei in der Baustelle noch Teile der alten Kirche aufrecht standen. Die Vorhalle ist erst im frühen 17. Jh. gebaut worden. Es ist gar nicht leicht vorzustellen, wie man die mindestens 700 Jahre alte Platte aus dem alten Bau gebrochen, lange Jahrzehnte in der Dombauhütte verwahrt und dann neu angebracht habe. Im Gewirr der ewigen Baustelle – zum Ruhme von Papst und Kirche – eine Platte anzufertigen und in die Stirnwand einzulassen, hätte niemanden gewundert, zumal dort auch ein barocker Karl d. Gr. als Reiter posiert.

Molkenthin rennt nun eine offene Tür ein, wenn er sagt, dass jede materielle Überlieferung eine zufällige ist und dass die Fundmenge schwanken kann, gerade am Übergang zwischen Antike und Mittelalter. Das würde ich für diese Zeit mittragen, wenn uns Quellen und Mediävistik nicht einstimmig versichern würden, dass unter Karl ein großartiger Renaissance-Impuls Europa befruchtete und Mitteleuropa mit mehreren Hundert schönster Bauten versah (die Zahl von 313 Pfalzen, Klöstern und Kirchen aus Karls Regierungszeit, die Zahl von 417 Klöstern aus der Zeit zwischen 768 und 855 hat A. Mann aus den Quellen ermittelt; s. S. 100). Seltsamerweise vollzog sich dasselbe, nur in kleinerem Ausmaß, nach dem Jahre 1000, als es laut Raoul Glaber schien,

„daß die Erde, nachdem sie ihre Gewänder geprüft und alle alten Dinge verworfen hatte, sich überall mit dem weißen Gewand neuer Kirchen schmückte“ [Cardini 163].

‘Dummerweise‘ haben sich diese wenigen ottonischen Bauten ungleich häufiger nachweisen lassen als die „karolingischen“ Bauten. Diese sind fast zur Gänze spurlos verschwunden, obwohl ein paar von ihnen mit dem viel besseren Ziegelsplittmörtel errichtet worden wären [Illig 2007b, 114]. Diese Vergleiche und meine daraus gewonnenen Resultate führt Molkenthin als „methodische Fragwürdigkeiten“ an [M. 592].

Dann wird uns eine weitere methodische Fragwürdigkeit unterstellt: Die Untersuchung des möglichen Pfalzgeländes Altötting hat keineswegs „nur unzureichende Funde archäologisch nachgewiesen“ [M. 592], sondern gar nichts Karolingisches erbracht, so man nicht Vermutungen als Fakten nimmt [Illig/Anwander 108]. Als Gegenstück haben wir eine ottonische Pfalz (Werla) mit Funden bis in siebenstelliger Zahl als Beispiel für reale Pfalzen genannt [ebd., 110]. Molkenthin, der in Altötting auch keinen einschlägigen Fund vorweisen kann, flüchtet wiederum, diesmal nach Paderborn und zur dortigen Pfalzgrabung, um zu bemängeln, dass diese Pfalz nach den selben Grabungskriterien wie Werla ausgegraben worden sei, doch hier die Auswertung von mir bestritten werde. Wo ich das getan hätte, verrät er nicht. Nun habe ich zum Paderborner Jahrhundert-Ereignis die Ausstellungen besprochen [Illig 1999], doch zur Pfalz hat sich Michael Bohrer [1999] geäußert, der über die Architektur und den Anschluss des Pfalzgebäudes an die Kirche argumentiert hat, also ganz speziell auf diese Pfalz bezogen. Der Molkenthin-Satz: „In dem einen Fall argumentiert Illig also auf einer Grundlage, die er in einem anderen Fall als unzuverlässig einschätzt“ [M. 592 f.] ist Resultat seiner Vorurteile, keine meinem Denken entstammende Fragwürdigkeit. Molkenthin will mich mit Zirkelschlüssen vorführen [M. 593], dazu mit Hinweisen auf schlechtes Zitieren [M. 599] und auf veraltete Quellen [M. 599; Illig 1998, 402 f.] – das Standardrepertoire mediävistischer Kritik, bevor ihr Substantielles einfällt.

Auch das Schlagwort „Stilistischer Vergleich“ kommt erneut zum Einsatz. Es leitet sich von Diethard Sawicki [2001, 89 f.] und dem mir von ihm unterstellten „Gesetz der architektonischen Evolution“ her. Dieser bezeichnete es als meine Entdeckung, dass nach Verlust handwerklicher Kenntnisse diese erst über mehrere Generationen hinweg wieder erlernt werden müssen. Mit Ablehnung dieser simplen Tatsache hat sich Sawicki selbst als kunstgeschichtlicher Ignorant vorgestellt [s. M. 593]. Nun spricht Molkenthin von meiner Vorliebe für den „stilistischen Vergleich“. Er legt mir allerdings die Weisheit in den Mund, kulturelle Entwicklungen unterlägen immer einer stringenten, sich vorwärts entwickelnden Evolution, die er als eines meiner „zentralen Argumente“ bezeichnet.

„Die Möglichkeit, dass eine Erfindung zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten und von unterschiedlichen Menschen unabhängig voneinander gemacht werden kann, lehnt Illig offensichtlich ab“ [M. 594 unter Hinweis auf das Buch von Heinsohn/Illig: Wann lebten die Pharaonen?].

Dort steht es allerdings etwas anders: Wenn eine weit fortgeschrittene Entwicklung abbricht und nach Jahrhunderten sich nicht neu und Schritt für Schritt entwickelt, sondern aus dem Stand heraus auf der früheren Höhe weitergeht, dann und nur dann ist an den Einschub einer Phantomzeit zu denken.

Aber alles, was die Kunsthistoriker, Architekturhistoriker, Vorgeschichtler und Archäologen seit 150 Jahren an feinsten typologischen Reihen herausgefunden haben, interessiert Mediävisten nicht: „Im Übrigen mag der stilistische Vergleich in der Kunstgeschichte tatsächlich ein probates Mittel der Datierung sein“, aber die Geschichtswissenschaft wertet „alle zur Verfügung stehenden Quellen und Überreste“ aus – als täte dies die Kunstgeschichte nicht! – und bedient sich deshalb „in ihren Methoden eines viel feineren Instrumentariums“ [M. 593]. Die Kunsthistoriker werden sich bedanken.

II

Nach diesem ‘Problemkreis’ wendet sich Molkenthin meinen angeblichen Übertragungen heutiger Erfahrungen und Einschätzungen auf die Vergangenheit zu. Dagegen ist sicher niemand gefeit, kursierte doch der Witz, dass die Vorgeschichtler immer mit der Gegenwart wetteifern: Haben wir Umweltprobleme mit Abfall, werden prähistorische Abfallgruben und -haufen interessant; startet Europa in den 60er-Jahren seine Grillwelle, werden überall alte Drehspieße gefunden etc.

Molkenthin hat drei Beispiele ausgewählt. Er wirft mir (eigentlich uns!) im ersten vor, für den schwäbischen Ort Asch binnen 300 Jahren ein derartiges Bevölkerungswachstum anzunehmen, dass eine Folgekirche größer ausgefallen sein müsste als der lediglich 6 m messende Holzbau. Wir räumen gerne ein, nicht untersucht zu haben, ob „sich die Bevölkerungsdichte im Ort Asch im Laufe des Mittelalters signifikant verändert hätte“ [M. 594]. Statt dessen haben wir uns auf die kurante Mediävisten-Sicht verlassen, dass Europas Bevölkerung ab ca. 1000 so stark gewachsen ist, dass selbst in Asch im 12. Jh. ein wohnzimmergroßes Häuschen nicht mehr für die Sonntagsmesse ausgereicht hätte – ganz abgesehen von dem Bedürfnis nach repräsentativem Steinbau, das nicht einmal für Asch auszuschließen ist. Außerdem haben wir für die dortige Kirche auch mit den dortigen Stuckfragmenten argumentiert, die Molkenthin übergeht.

Als Zweites wirft er mir vor, ich würde mir die karolingische Bischofsstadt Hamburg zu groß vorstellen, und entstellt meine Äußerungen kräftig, um sein Zerrbild „Illig“ besonders schön hervortreten zu lassen:

„Ähnlich ist seine [Illigs] Ansicht zu bewerten, nach der eine frühmittelalterliche Bischofsstadt wie Hamburg, kein ‚Moorkaff‘ bestehend aus „200–300 einstöckigen Lehmhütten“ gewesen sein könne, als welches es die Quellen ausgäben. Auch hier scheinen seine Vorstellungen und vor allem seine Erwartungen an einen frühmittelalterlichen Bischofssitz wohl allzusehr von heutigen Eindrücken geleitet zu sein“ [M. 594].

Was habe ich tatsächlich geschrieben? Papst Benedikt V. starb 964 in dem Verbannungsort Hamburg an Verzweiflung,

„denn Hamburg war damals noch eine Ansiedlung von vielleicht 200 bis 300 einstöckigen Lehmhütten [Franz 2005a]. Wie soll dieses Moorkaff 150 Jahre früher ausgesehen haben?“ [Illig 2005, 690]

Am Hamburg von 964, das auch die Archäologie kennt, habe ich nicht gezweifelt, vielmehr Zweifel geäußert, dass die Keimzelle dieses Moorkaffs 150 Jahre früher bereits den Status einer Bischofsstadt erreicht hätte (mitsamt der von einem Karl d. Gr. geforderten Voraussetzung einer civitas)! Molkenthin liest heraus, was er braucht, schafft sich ‘seinen’ Illig und täuscht mit ihm seine Leser.

Zum dritten kämpft Molkenthin verzweifelt darum, dass mittelalterlichen Chronisten und Notaren beim Schreiben die tatsächliche Jahreszahl „eben nicht immer unzweifelhaft präsent gewesen“ ist [M. 595]. Ich bleibe dabei, dass es mittelalterlichen Schreibern nicht egal war, ob sie z.B. 857 oder 875 geschrieben haben. Die Paläographen gehen als von Molkenthin unbezweifelte Spezialisten jedem einzelnen Buchstaben auf seinen Sinngehalt nach, doch bei Zahlen würde sich das erübrigen? Übrigens ist längst geklärt, dass die Fähigkeiten der Chronisten nicht bei allen Zahlen gleich gut oder schlecht waren: Bei Jahreszahlen traten größere Fehler auf als bei Tages- und Monatsangaben [R.R. Newton lt. Illig 1999, 225]. Also hätten die Chronisten nur Jahreszahlen „nicht immer unzweifelhaft präsent“ gehabt, eher jedoch Tages- und Monatsdaten? Vielleicht eine tagesspezifische Demenz der Chronisten? Eine ernsthafte Erklärung habe ich a.a.O. gegeben, doch welcher Molkenthin liest sie und was käme dabei heraus?

III

Indem er zum Diplomatiker mutiert, rudert er zum sicheren Ufer aller Mediävisten, also zu den Urkunden. Molkenthin führt des Längeren aus, dass es mehr als einen Fall gebe, in dem eine gefälschte Urkunde gleichwohl „zumindest teilweise authentische Rechtsverhältnisse“ wiedergibt“ [M. 596], um schließlich zu behaupten, dass einzelne gefälschte oder verfälschte Urkunden

„nicht den pauschalen Schluss [rechtfertigen], alle karolingischen Schriftstücke und Texte seien entweder frei erfunden oder von der Wissenschaft der karolingischen Epoche fälschlich zugeordnet worden“ [M. 596].

Ein Taschenspielertrick, mit dem er den „pauschalen Schluss“ nicht verhindern kann, weil ich zum wenigsten mit Urkunden, sondern mit Archäologie argumentiere. Ich hebe mich auch von dem zugleich ins Spiel gebrachten Kammeier deutlich ab, schließe ich doch nicht von Fehlern und Fälschungen auf eine Große Aktion, sondern führe die geballte Wucht an Ergebnissen, von mittlerweile über 50 Jahre praktizierter Stadt- und Siedlungsarchäologie in Europa, gegen die Urkunden ins Gefecht. Doch die Vorstellung, dass diese Befunde die vergleichsweise wenigen schriftlichen Belege längst widerlegen, ist einem übers Pergament gebeugten Mediävisten leider nicht zu vermitteln, sonst hätte er es nach Lektüre von Bayern und der Phantomzeit begriffen.

IV

Weil er das Ausmaß der Funde der Mittelalterarchäologie dramatisch unterschätzt, kommen Molkenthin die 1.800 Handschriften aus dem 8. Jh. und die gut 7.000 Urkunden aus dem 9. Jh. [Illig 2007, 174] „keinesfalls gering“ vor [M. 597]. Freilich nennt er nicht die konkreten Zahlen von Lowe und Bischoff, sondern sieht „ein Feld von enormer Größe“ [M. 596], was sich besser macht.

„Schon allein die hohe Zahl der schriftlichen Überlieferungen spricht somit vehement gegen die Phantomzeitthese“ [M. 598].
„Wer hätte da also das Fälschen ganzer Serien von Urkunden, Büchern und sonstiger Schriftstücke bezahlen sollen?“ [M. 598]

Da staunt der Nicht-Mediävist: Kosten-/Nutzen-Betrachtungen für Skriptorien, in denen die Mönche für Stunden- oder Akkordlohn, nicht für Gottes Lohn geschrieben hätten? Der Enthüller skriptorialer Geheimnisse trägt den größten Teil dieses Pergamentberges aber gleich wieder ab [M. 598]:

„Ein mittelalterlicher Fälscher hätte – wenn überhaupt – Chroniken und Annalen gefälscht, um ein erfundenes Geschichtsbild zu untermauern, aber mit Sicherheit nicht die Urkunden, denn diese waren praktische Gebrauchtexte, als Quelle für die Geschichtsschreibung und damit als Beweismittel für historiografische Theorien wurden sie nicht gesehen.“

Sicher ging es bei den Urkunden in den meisten Fällen um Rechtstitel, für deren Fälschung aber genügend Gründe vorstellbar sind. Einen zentralen hat Hans Constantin Faußner mit den veränderten Konditionen ab dem Wormser Konkordat, 1122, genannt. Diese These eines Rechtshistorikers ist Molkenthin seine längste Fußnote wert, aus der ich zitiere:

„Gerhard Anwander lobte in der Zeitschrift ‚Zeitensprünge‘ die Arbeiten Konstantin Faußners über das Werk Wibalds von Stablo. Das Ergebnis dieser Untersuchungen […] ist schon alleine deshalb höchst fragwürdig, weil der Rechtshistoriker Faußner in seiner Erörterung ganz unbekümmert Begriffe wie ‚Staatlichkeit‘, ‚Staatsland‘ und ‚Staatsvermögen‘ auf das Mittelalter anwendet, die für diese Zeit aber völlig unangebracht sind, weil es derartige Vorstellungen von einer uns geläufigen Staatlichkeit überhaupt nicht gab“ [M. 600].

Damit ist freilich nicht die kuriose Argumentation Schieffers aus der Welt, der eine hier von Molkenthin verteidigte Urkunde Ottos III. wegen des „zittrigen Duktus“ beim Bestätigungsstrich (2,5 cm Länge !) für original und echt hält [vgl. Faußner 34 f.]. Faußners umstritten Begriffswahl ändert nichts daran, dass beim Wormser Konkordat Bedingungen für Grundbesitz festgelegt worden sind, die nun rückwirkende Fälschungen nötig machten – auch wenn meine Zustimmung erneut meine Inkompetenz bewiese [M. 601].

V

Es sei ein „Lieblingsargument“ von mir, den Umstand zu betonen, dass meine diversen Ko-Autoren und ich keine Historiker sind. Sicherheitshalber gibt Molkenthin [M. 598] keine Belegstelle an, denn ich vergesse selten, dass zum Kreis der Zeitensprünge-Autoren Historiker gehören, darunter mit Andreas Birken und Klaus Weissgerber auch promovierte. Aber da ich mir nicht einmal einen ungeschützten Titel wie „Historiker“ anmaße, weise ich korrekterweise auf mein Außenseitertum hin, betone allerdings, dass der Blick von außen oft leichter ist als der von innerhalb einer Zunft, noch dazu, wenn diese so wandlungsresistent ist, wie sie Johannes Fried beschrieben hat [1996; vgl. Illig 1997, 279-283]. Molkenthin prüft nun meine (Rest-)Kompetenz an drei Beispielen:

Zum Karlsgraben schrieben wir: „Weil die alten Quellen – mit Ausnahme des Karlsbiographen Einhard – anschaulich schildern, wie die Franken bis zur Resignation im Dauerregen graben…“ [Illig/Anwander 65]. Molkenthin pocht darauf, dass von dieser ‘Regenschlacht’ „nur in einer einzigen [Quelle] erzählt“ wird [M. 599]. Das ist allerdings ein reines Abgrenzungsproblem: Wann endigen Molkenthins alte Quellen? Härter geht er zur Sache, wenn er Folgendes zu Papier bringt:

„Das berühmte ‚Book of Kells‘ könne gar nicht im frühen Mittelalter entstanden sein, so Illig, da man die dort verwendeten Farbstoffe afghanischer Provenienz wegen des fehlenden Fernhandels im Europa des 9. Jahrhunderts gar nicht habe bekommen können. Fernhandel ist allerdings sehr wohl für die Zeit des frühen Mittelalters nachgewiesen. Diese Aussagen Illigs sind schlicht falsch und sprechen nicht gerade für die Kompetenz der Außenseiter“ [M. 599].

Also hätte ich nichts von Fernhandel im frühen Mittelalter gewusst und würde Falsches verbreiten? Molkenthin bezieht sich nur auf eine einzige Buchseite [Illig 1999, 324]; hätte er umgeblättert, handelte er sich jetzt nicht den Vorwurf willkürlicher Selektion ein. Dort steht [ebd., 326]:

„Während es um 800, ohne Fernhandel und mit einer arabischen Blockade des Mittelmeers, unmöglich war, diesen Halbedelstein aus Afghanistan zu importieren, gab es diese Möglichkeit später durchaus, wie Doris Oltrogge und Robert Fuchs mittels Farbspektrometern bewiesen. »So konnten die Forscher nachweisen, dass es zur ottonischen Zeit offenbar einen florierenden Import von Lapislazuli aus dem Orient gab. Mit den Kreuzzügen reißt die Verwendung des kostbaren Edelsteins für Blaufarben fast völlig ab, und Indigo tritt, wie im früheren Mittelalter, wieder an seine Stelle [Schümer 1993]. Aus anderen Beobachtungen wissen wir, daß ab ca. 960 fernöstliche Gewürze auf den Inlandsmärkten auftauchen [Fried 1991, 48].“

So spricht der Außenseiter viel präziser als der selbsternannte Fernhandelsspezialist Molkenthin: Fernhandel ab ca. 960, also im frühen Mittelalter, bis ca. 1100, davor kein Fernhandel. Die Mittelmeerblockade zu Karls Zeiten habe nicht ich mir ausgedacht, sondern Molkenthins Ko-Spezialisten. Sie begründeten mit ihr bei der ‘Elefanten-Ausstellung’ in Aachen (2003) den Fußmarsch des Rüsseltiers bis Tripolis, der bei einer Einschiffung an der Levante-Küste um ca. 3.500 km kürzer hätte ausfallen können [vgl. Illig 2003]. So erzielt Molkenthin seinen Nachweis meiner angeblichen Inkompetenz und meiner angeblichen Falschaussagen durch verkürztes Lesen und Verzerren – kein wirklich gutes Zeugnis für einen Forscher, der Texte über alles stellt.

Das dritte Beispiel für meine angebliche Inkompetenz leitet Molkenthin mit einem erstaunlich klaren Beweis eigener Unfähigkeit ein. Es geht um Otto III., Papst Silvester II. und den von mir unterstellten Zeiteinschub:

„Und um die Erfindung dieser 300 Jahre nicht zu offensichtlich werden zu lassen, habe man sie nicht in die eigene Lebenszeit eingefügt, sondern stattdessen in die karolingische Epoche, die zu Ottos Zeit immerhin schon fast 150 Jahre zurücklag“ [M. 599].

Hat dieser Mann irgendetwas von meinen Darlegungen verstanden? Die 300 Jahre seien in die karolingische Epoche eingefügt worden, in eine Epoche, die schon fast 150 Jahre zurückgelegen habe? Also hätte Otto die karolingische Epoche, bislang im Osten von 750 bis 911, um 300 Jahre verlängert; und der Abstand zwischen 911 und 999 als Zeitpunkt für Ottos Handeln betrüge fast 150 Jahre? Wehe der Wissenschaft, die solche Kritiker hervorbringt.

Zurück zu seinem dritten Beispiel. Da weiß er besser als ich, was in Otto III. vorgegangen sein dürfte, ob er als Endzeitkaiser für Christus das letzte Millennium einläutete. Wie sagt der Gegner meiner Ausführungen, der Kenner von Ottos Innerstem: „Dem Mediävisten ist dies alles klar, dem Außenseiter offensichtlich nicht“ [M. 600]. Der ‘Beichtvater’ Ottos fährt fort:

„Es finden sich in der Illigschen Argumentation nicht nur falsche, sondern auch falsch verstandene oder schlecht recherchierte Informationen“ [M. 601].

Warum hätte nur Molkenthin das Privileg auf Fehler, falsches Verstehen und schlechtes Recherchieren? Das bekannte Beispiel über Radierungen bei ottonischen Jahreszahlen dient ihm dazu, noch einmal den Namen Wilhelm Kammeier ins Spiel zu bringen. Was habe ich über ihn geschrieben? Einmal meine Einschätzung seiner These von der Großen Aktion [Illig 1998, 339 ff.]: Sie

„beruhte auf richtigen Beobachtungen und berechtigtem Mißtrauen, war aber zu kurzschlüssig und zu einseitig“ [ebd. 340].
„Zielte auch Kammeiers These viel zu weit, war sie auch durchsetzt und getragen von einem germanophilen Minderwertigkeitsgefühl, hat er doch zahllose Ungereimtheiten im Mittelalter (auf)gespürt und auch – anhand von anerkannter Fachliteratur – klar gezeigt, daß mittelalterliche Dokumente zu oft falsche oder veränderte Datierungen tragen, als daß dies nur auf das mangelnde kleine Einmaleins der Notare geschoben werden könnte“ [ebd., 340 f.].

Wie meine Arbeiten durchgehend ausweisen, habe ich außer seiner Urkundenkritik, die sich bei Lektüre von Harry Bresslau unmittelbar bestätigt, nichts, aber auch gar nichts übernommen – auch wenn mir Molkenthin dreist unterstellt, ich hätte von Kammeier unterstellte schwankende Jahreszählungen „nahtlos übernommen“, was er natürlich nicht nachweist [M. 603, Fn 41]. Im zweiten Buch setzte ich an diesem Punkt noch einmal an.

„Die Diplomatiker, also die Urkundenforscher, wissen das längst, Standardwerke wie jenes von Harry Bresslau berichten seit vielen Jahrzehnten, daß die damaligen Notare größte Mühe mit dem kleinen Einmaleins und mit der aktuellen Jahreszahl gehabt haben müssen. Als das ein Außenseiter, Wilhelm Kammeier, hervorhob und zur Basis einer Verschwörungsaktion der Kirche gegen das deutsche Kaisertum machte, war erst die Verunsicherung und später die Empörung der Fachleute groß. Seitdem behilft sich die Fachwelt so: Wer unsere Urkunden derart bezweifelt, wird als rechtsnational eingestuft“ [Illig 1999, 241].

Diese Einstufung bezog sich, wie das „seitdem“ und die zugehörige Fußnote (Hinweise auf J. Fried und zugehörige Zitationen) unmissverständlich ausweisen, auf mich, den Fried und andere in der rechten Ecke ansiedeln wollten. Und was hat Molkenthin verstanden, wenn er schon den höflich-dezenten Hinweis auf verleumderische Kollegen nicht bemerkt hat?

„In seinem Buch ‚Wer hat an der Uhr gedreht?‘ […] meinte Illig, Kammeier in Schutz nehmen zu müssen. Dabei nannte er die Verurteilung Kammeiers durch die Mediävistik, die seine These ablehnte und ihn als rechtsnationalen Nazisympathisanten entlarvte, eine reine Diffamierung, die man nur vorgebracht habe, da man gegen seine These nichts Inhaltliches habe vorbringen können“ [M. 602].

Also hätte ich die Entlarvung Kammeiers als rechtsnationalen Nazisympathisanten eine reine Diffamierung genannt? Wer solches aus meinem obigen Text herausliest, diffamiert mich vorsätzlich und mit Bedacht, zumal er in rhetorischer Verneinung auch noch seinen Verdacht ausspricht:

„Nun soll hier Illig nicht der Vorwurf gemacht werden, selbst einer rechtslastigen politischen Richtung anzugehören. Seine geistige Verwandtschaft mit Kammeier liegt vielmehr in dessen Methodik und Eigenwahrnehmung“ [M. 603].

VI

Es folgt der Showdown, in dem nochmals die angeblichen Grundmuster meiner Argumentationswege zusammengestellt werden [M. 603 f.].

  • „die für sein Werk fundamentale Annahme, dass sich der Wahrheitsgehalt der schriftlichen Überlieferung an der Zahl der archäologischen Funde verifizieren lassen müsse“,
  • „die unzulässige Übertragung von Maßstäben, Ansichten und Erkenntnissen aus der Gegenwart auf die Vergangenheit“,
  • „im Kolportieren falscher oder falsch verstandener Informationen und Theorien“,
  • sein „rigider Positivismus“.

Punkt 1 leidet wieder unter Molkenthins verzerrender Sicht. Seiner Formulierung nach wäre etwas um so wahrer, je mehr archäologische Funde vorliegen. Das sehe ich nur cum grano salis, liegt es doch nicht an der Zahl, sondern an der Beweiskraft der Stücke. Den Punkt 2 verletzen alle zurückblickenden Forscher immer wieder, ob sie es wollen oder nicht. Molkenthin ist es nicht gelungen, mich hier als Ausnahme hinzustellen. Zum dritten Punkt hat Molkenthin mindestens 2.000 Seiten meiner Arbeiten ausgewertet; trotzdem konnte er mich seltener der Kolportage überführen als ich ihn auf seinen 16 Seiten. Ein ungewolltes Kompliment, das ich dankend annehme.

Es folgt eine Zusammenfassung von Sawickis Gedanken, „die zurzeit wohl beste geschichtsphilosophische Einordnung der Illigschen Werke“ [M. 604]. Ich habe mich mit ihr gründlich in den Zeitensprüngen auseinandergesetzt [Illig 2002]. Molkenthin blieb davon nur das in Erinnerung, was nicht enthalten ist: „dem Heribert Illig außer wüsten Beschimpfungen nichts entgegenzusetzen hatte“ [M. 604]. Wäre er weniger vorurteilsbelastet, hätte er bemerkt, dass Sawicki deutlich aggressiver formuliert und in Rage Sätze produziert, die die „zurzeit wohl beste geschichtsphilosophische“ Darstellung der Lächerlichkeit preisgeben. Ich erinnere nur an den – für wen wohl – vernichtenden Schlusssatz [Sawicki 99]: „Seine [Illigs] Bücher über die ‚Karlslüge‘ bleiben autistisch.“ Diese tiefe Einsicht verrät so manches über den hoffnungsvollen Nachwuchsphilosophen und -psychologen.

So bestätigt sich auch auf der letzten Seite, was schon länger klar ist: Molkenthin fälscht sich seinen Illig so zurecht, bis er den schlimmstmöglichen Vorurteilen innerhalb der Mediävistik entspricht. Er verformt meine Sätze, er verzerrt sie, dreht sie in ihr Gegenteil, diffamiert mich, wenn es ums Rechtsnationale geht, unterschiebt mir Fehler und Falschheiten und stellt meine Zeiteinschubthese bezüglich Otto III. so dar, als ob sie ein Kretin ersonnen hätte. Ich will nicht darüber befinden, ob Molkenthin nicht lesen kann oder nicht das lesen will, was von mir geschrieben worden ist. Es drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass dieser Mann mangels besserer Argumente absichtlich so handelt wie ein Verfälscher. Dieser Verdacht vertieft sich, wenn man bedenkt, dass Molkenthin sehr wohl Sachverhalte richtig wiedergeben kann. So hat er sich in der Zeitschrift Skeptiker mit den Büchern von Roland P. Mayer beschäftigt [Molkenthin 2007], deren krauser Inhalt nun wirklich nicht leicht zu rekapitulieren ist. Doch hier bleibt er objektiv – schließlich geht von diesem verfehlten Geschichtsansatz wirklich keine Gefahr aus.

„Die Mediävistik muss sich jedenfalls vor Außenseitern wie Illig nicht fürchten“ [M. 604] – so Molkenthins Schlusssatz. Wir dürfen ihm entnehmen, dass weiterhin Ängste innerhalb dieser Wissenschaft kursieren. Denn natürlich wissen die klügeren Vertreter unter ihnen, dass der Widerspruch zwischen Bauten, Funden und Schriften nicht dadurch aus der Welt geschafft wird, dass junge Heißsporne wie Sawicki auf mich losgelassen werden oder ein Molkenthin in bewährter Manier – immerhin verdrehte er schon 1998 in gleicher Weise meine Aussagen [vgl. Illig 1998, 402-405] – auf mich losgeht. Da wäre im Übrigen noch die im Titel von Molkenthien formulierte, aber nicht beantwortete Frage: Was ist von der Mittelalterdebatte zu halten? Wenn man Molkenthien liest, hat man den lebhaften Eindruck: Nichts. Eine Wissenschaft, die einfach nicht den Blick von den Pergamenten heben kann, eine Wissenschaft, die offenbar nur ihre eigenen Texte erfassen und werten kann, ist damit überfordert, eine Debatte über eine umstürzende These zu führen. Alles ist auf Abwehr gerichtet, auf bösartige Abwehr – nie ist ein Ansatz zu erkennen, dass sie sich auch nur versuchsweise auf die ihr fremde Argumentation einließe. Ein hoffnungsloser Fall?

Zu suchen ist der Weg, auf dem wir das bislang Unvereinbare – hie Schriftquellen, hie archäologischen Befund – zu einer Synthese bringen. Weil Wissenschaftler wie Molkenthin so kurzsichtig sind, dass sie das Einzige, was sie anerkennen, nämlich Schriften, nicht lesen können, werden sich die Archäologen in die Bresche werfen. Hier im Heft wird von mir darauf hingewiesen (S. 341), wie eine Dorothea Hochkirchen, wie ein Sven Schütte mit Hochdruck daran arbeiten, fast mit Gewalt Architekturüberreste und Steinfragmente zu karolingisieren, während die Streichung eines Begriffs wie „karolingisches Westwerk“ durch Dagmar von Schönfeld de Reyes (S. 344) ignoriert wird. Das wird sich fortsetzen, jedoch das Problem nur zuschütten, nicht lösen. Immerhin hat sich eines verändert: 1999 verhängte Michael Borgolte die ‘damnatio memoriae’ über mich, eine vielleicht eher unbedachte Äußerung in einem Interview [Bach], die lediglich explizit klarstellte, dass damals längst – es wurde gerade der Katalog für die Paderborner Ausstellung zusammengestellt – ausgemacht war, dass die 1.500 prachtvollen Seiten zwar meine Thesen ad absurdum führen müssen (Verlagsmotto: „Prachtvoller können Illigs Thesen nicht widerlegt werden“), aber um keinen Preis These oder Urheber nennen dürfen. Molkenthin beschreibt diese Ächtung auf seine Weise:

„Die Mediävistik hat sich kurz und heftig mit dieser These auseinandergesetzt, es dann aber vorgezogen, ihre Zeit wieder den wichtigen Dingen in ihrem Forschungsfeld zuzuwenden und Illig nicht weiter zu beachten“ [M. 590].

Nun gehört Michael Borgolte zu den Herausgebern der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, ist also über seinen Schatten gesprungen und verlangt nicht länger mehr das Schweigen über meine Person und über meine These. Immerhin.

Literatur

Bach, Ingo (1999): 2 Interviews (mit Michael Borgolte und HI) + ein Artikel über „Ist das frühe Mittelalter eine Erfindung?“ in Der Tagesspiegel, Berlin, 29. 6.
Bohrer, Michael (1999): Karolingerpfalz in Paderborn? in Zeitensprünge 11 (3) 439-458
Cardini, Franco (1995): Zeitenwende. Europa und die Welt vor tausend Jahren; Darmstadt
Faußner, Hans Constantin (1997): Königsurkunden-Fälschungen Wibalds von Stablo im Bayerisch-Österreichischen Rechtsgebiet aus diplomatischer und rechtshistorischer Sicht. (Studien zur Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Band XVIII); Sigmaringen
Fried, Johannes (1996): Vom Zerfall der Geschichte zur Wiedervereinigung. Der Wandel der Interpretationsmuster; in Otto Gerhard Oexle (Hg.): Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung am Ende des 20. Jahrhunderts; Göttingen, 47-72
Heinsohn, Gunnar / Illig, Heribert (52003): Wann lebten die Pharaonen? Gräfelfing
Illig, Heribert (1997): Von Wenden und schrecklichen Visionen. Die Mittelalter-Debatte wird umfassend; in Zeitensprünge 9 (2) 260-285
– (1998): Das erfundene Mittelalter; München (Zitiert aus der ersten Taschenbuch-Ausgabe, die wie alle späteren das Nachwort enthält)
– (1999): Paderborns prachtvolle Phantomzeit. Ein Rundgang durch die Karolinger-Ausstellungen; in Zeitensprünge 11 (3) 403-438
– (2002): Hinterweltler aller Art. Eine zuweilen widerwärtige Mittelalter-Diskussion; in Zeitensprünge 14 (1) 150-172
– (2003): Dickhäuter und Schweigegeld. Phantomzeitdebatte? in Zeitensprünge 15 (2) 396-405
– (2005): Die Meistersinger von Deutschland. 10 Jahre Karlsverwerfungen und -debatten; in Zeitensprünge 17 (3)
– (2007a): Karolingische Komputistik? Zu Beda und Borst, Bischoff, Theophanes und Isidor; in Zeitensprünge 19 (1) 156-184
– (2007b): St. Pantaleon – vier Rekorde fürs Guinness. Sven Schütte als karolingischer Lückenbüßer; in Zeitensprünge 19 (2) 341-368
Illig, Heribert / Anwander, Gerhard (2002): Bayern und die Phantomzeit. Archäologie widerlegt Urkunden des frühen Mittelalters. Eine systematische Studie; Gräfelfing
Koch, Wilfried (1988): Baustilkunde. Europäische Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart; München
Molkenthin, Ralf (2007a): Großartiges Byzanz oder Das neue Mittelalter des Roland P. Mayer; in Skeptiker 1/07, 26-29
– (2007b): Phantomzeit und Mediävistik. Oder: Zwölf Jahre „Mittelalterdebatte“ und was davon zu halten ist; in Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (7/8) 589-604
Sawicki, Diethard (2001): Lügenkaiser Karl der Große? Ein kritischer Blick auf Heribert Illigs These vom erfundenen Mittelalter; in: Tillmann Bendikowski, Arnd Hoffmann, Diethard Sawicki: Geschichtslügen. Vom Lügen und Fälschen im Umgang mit der Vergangenheit; Münster, 75-104