entdeckt von Z. A. Müller

Passend zum Jahrtausendwechsel, der jetzt schon wieder Schnee von gestern ist, gab es im Winter 1999/2000 an der FU Berlin eine Ringvorlesung zum Thema: Vom Herrscher zur Dynastie. Vom Wesen kontinuierlicher Zeitrechnung in Antike und Gegenwart, deren Beiträge 2002 (Bremen) unter eben diesem Titel von Harry Falk herausgegeben wurden.
In zwölf Aufsätzen auf 288 Seiten wird gebildet zusammengetragen, was die Lehre – von der Antike bis China um sich greifend – zur Sache sagen kann, wobei die Kontinuität der Zeitrechnung durchaus ernst gemeint im Mittelpunkt steht. Mag das aus Sicht der kritischen Geschichtsforschung und Chronologiekritik eher befremden, so mögen drei Beispiele Anreiz sein zu dieser stellenweise abenteuerlichen Lektüre:

Carsten Colpe bemüht sich, das Hervorgehen einer christlichen Ära aus den älteren Zeitrechnungssystemen zu klären. Schon ein vager Blick auf die Möglichkeiten anstehender Probleme zeigt teils quellende teils quälende Hoffnung:

„Insgesamt sind die Risiken der Fehlerhaftigkeit oder Ungenauigkeit sowie die Spannen der Unsicherheit in der absoluten Chronologie [„diejenige, die mittels astronomischer Daten oder zur Aufstellung derselben berechnet wird…“] bzw. bei Berechnungen, die mit Hilfe derselben angestellt werden, viel geringer, als das Entsprechende bei der relativen Chronologie der Fall ist.“
„Aber man kann die relativen Chronologien an einer Stelle oder an mehreren Stellen mit einem absoluten Datum versehen, wenn unsere Geschichtsquellen ausreichend eindeutig von einem auffälligen Ereignis berichten, von dem man ausgehen kann: einem Erdbeben, einer Sonnenfinsternis, einer besonders seltenen Konstellation von Gestirnen, der Erscheinung eines Kometen.“ [155]

Zu starken Aussagen kommt es, wenn klar ist, was datiert ist und was nicht:

„Die Sonnenwendbräuche um das christliche Johannesfest sind vermutlich heidnischen Ursprungs. Sicher ist das für Weihnachten, dessen unchristlicher Charakter noch von Bonifatius beklagt wurde. Die Urgemeinde hat den Geburtstag des Herrn nicht gefeiert; er ist in der Bibel ja nicht datiert, anders als die Kreuzigung.“ [Demandt, Zeit in der Antike – Vergangenes und Gebliebenes 149]

Und schon vor sieben Jahren hat sich jemand Gedanken darüber gemacht, was das Gegenteil einer Zeit-Erdichtung ist:

„Als vor kurzem ein Millenium zu Ende ging, da waren auch Spekulationen über chronologische Manipulationen en vogue. Was eine abenteuerliche moderne Theorie dem an der Wende des ersten zum zweiten Jahrtausend herrschenden Kaiser Otto III. und dann Friedrich Barbarossa vorwirft: drei Jahrhunderte, die dunkle Periode der abendländischen Geschichte von 614 bis 911, erdichtet zu haben, mit allen Personen und Ereignissen jener Zeit, Karl den Großen nicht ausgenommen, dessen Gegenteil ist in der Geschichte des Iran wirklich geschehen.“ [Sundermanns Schlusswort zu Ären im alten Iran, 75]

Immerhin wird von Sundermann Illigs Buch Das erfundene Mittelalter (1999) in der Literatur angeführt. Für das thematisch passendere, ebenfalls 1999 erschienene Buch Wer hat an der Uhr gedreht reichte der akademische Bildungswille – oder schlicht die Verknappung der Zeit? – nicht mehr. Dass die Chronologiekritik hier nur einmal und verzerrt, und nur zeitverkürzt erwähnt wird, liegt daran, dass sämtliche Autoren von einer Kritik an der Chronologie des Altertums und der Antike noch gar nichts wissen.