Subjektives von Gerhard Anwander

(geringfügig gekürzte Version aus Zeitensprünge 2/2010)

Sendung vom 26. Februar 2009 [im wdr]

Karl der Große – Ein Kaiser und sein Riesenreich

Karl der Große, der erste Kaiser des Mittelalters, schuf ein Reich, das von der Nordsee bis nach Mittelitalien, von den Pyrenäen bis ins heutige Ungarn reichte. Planet Wissen macht sich mit seinen beiden Gästen: der Romanautorin Martina Kempff und dem Historiker Johannes Fried, auf die Spuren des Frankenkönigs. Außerdem wird geklärt, was die beiden weißen Pferde in den Flaggen von Nord-Rhein-Westfalen und Niedersachsen, die Nationalhymne von Andorra und der erste Präsident der USA, George Washington, eigentlich mit Karl dem Großen zu tun haben.

Es gibt eine Fernsehserie namens Planet Wissen, die der WDR herstellt und die des öfteren recht interessant klingt. Eine ganze Stunde wird einem Thema gewidmet, meist mit einem Hauptgast. Derartige Sendungen schätzt man aber nur so lange, bis ein Thema kommt, in dem man sich selber gut auskennt, nicht zuletzt dank der Zeitensprünge. Danach denkt man weniger günstig über Planet Wissen, weil sich der Verdacht aufdrängt, dass in anderen Fachgebieten ähnlich (schlecht) verfahren wird. So geschehen bei einer Sendung am 26. 2. 2009, von der hier berichtet sei.

Einleitend verkündet Moderator (Dennis Wilms), flankiert von Moderatorin (Birgit Klaus) u.a., dass sich Andorra, der Zwergstaat in den Pyrenäen, auf Karl den Großen beruft. Sollten die sich mit einem Zeitensprünge-Heft [2/2006, 268] vorbereitet haben, wo es um das letzte verbliebene Rudiment des Reichs von El Gran Carlemany und seine karlophile Nationalhymne ging? Hinweis gar auf eine phantomzeitlich unterwanderte Karlssendung?

Moderatorin spricht von Karl und davon, dass er uns nach 1.200 Jahren so massiv beeinflusst, weil er „unglaublich viele Spuren noch hinterlassen“ hat, auch da, wo man es gar nicht glaubt. Hierzu hält uns Moderator einen 1-$-Schein vor Augen mit dem Porträt von George Washington, und – ich weiß nicht, ob Sie’s schon wussten – dieser ist in der Tat ein Karolinger, jaja, ein Nachfahre unseres Superkarls! Was wäre aus Amerika ohne Karl geworden? Und was aus Europa, dessen gesamter Hochadel sich von IHm herleitet? Moderatorin leitet über zum ersten Gast [Zitat hier und im Folgenden: WDR]:

„Martina Kempff [= MK] arbeitet heute als Schriftstellerin und Übersetzerin in der Eifel. […] Im Zentrum ihrer historischen Romane stehen starke und interessante Frauenfiguren, die sie sich jeweils durch historisches Faktenwissen und Detailkenntnis erarbeitet.“

So bekommen wir als Karlsspezialistin eine Poetin präsentiert und dürfen gespannt auf neue Karlsevolutionen sein, denn auch diese Frau hat sich tief in das erotische Leben Karls eingefühlt. Sie reiht sich damit ein zwischen Schauspielerinnen, die sich im Traum von IHm umarmen ließen und Frau Fischer-Holz, die uns das Buch Die Frauen Karls des Großen gegönnt hat. Kempff kennt besonders Karls starke Mutter gut und weiß auch schon, warum Karl später seine Töchter quasi eingesperrt hat: Er selbst wurde nämlich von seinem Papa Pippin vernachlässigt, weil dieser dauernd zu Pferde unterwegs war. Karl war zwar auch dauernd unterwegs, mindestens 20 Jahre lang, aber er löste eben dieses Vernachlässigungsproblem seines Nachwuchses feinsinnig durch Einsperren desselben. Ein wahrhaft vorbildlicher Vater Europas! Dabei hatten wir doch bislang fest geglaubt, er habe sie auf allen Umritten mitgenommen! [Illig 1996, 49]

So eingestimmt in einen ersten psychischen Abgrund des großen Karl erfahren wir – dem Kenner natürlich längst vertraut –, dass er ein „Frauenheld erster Güte war“. Erstmals erfahren wir hier die Gründe: Nicht primär der Triebdruck an sich war es, der unseren Karl zum Drüsensklaven werden ließ, sondern der Druck des Reiches und seiner Probleme. Stress also! Damals gab’s die gute alte (Männer-)Zeit: Ein bisschen Druck auf einen Mächtigen und schon durfte sich dieser als allerchristlichster Herrscher einen Harem halten. Helas, die Zeiten sind vorbei, liebe Männer.

Moderator wird ob des Themas gleich selbst etwas gamsig (bayer. für triebgesteuert) und fragt sichtlich interessiert, ob ER all die Konkubinen gleichzeitig oder anstandshalber nacheinander gehabt hätte. MK weiß es natürlich genau: gleichzeitig! Wow! Neid! So ein Hund, dieser Karl! Was war doch Bill Clinton dagegen für ein armer Hund – eben kein Karolinger.

Moderatorin hingegen ist – wie es sich gehört – etwas pikiert und fragt nach, ob es sich Karl nicht nur von der Macht, sondern auch vom Äußeren her habe leisten können. Nun, MK weiß genau, dass die Frauen ihn liebten, und das aufgrund des Skelettes, das man in Aachen von IHm fand: „1,93 m, für die damalige Zeit sensationell groß.“ Wie sagte doch ein Gutachter irgendwann einmal zu diesem Skelett: Es spricht nichts dagegen, dass das Skelett von KdG stammt, wohlweislich die Fortsetzung unterdrückend, die da lautet: Aber es spricht auch nichts dafür, dass es seines ist! Die letzte Untersuchung hat übrigens 1,82 m ergeben, also einen ‘Kurzfranken’ [Illig 1996, 46].

Weitere wichtige Befunde durch MK: Sein Hals war kurz und seine Stimme piepsig, wie die von Boris Becker beim Fehlschlag. Insgesamt über ragte er mit seiner Stattlichkeit aber Helmut den Großen, also Kohl. Nun wissen wir auch das!

Vollweib MK strahlt vor Begeisterung, wenn sie von ihrem Superkarl berichtet. Moderatorin – offensichtlich gut durchgegendert – meint nun aber, dass es doch eher Macht und Geld gewesen sein müssen, womit ER die Frauen gefügig gemacht habe.

Diesem Steilabstieg ins Triviale sieht äußerlich gelassen ein Professor für Geschichte des Mittelalters zu. Ab und zu sortiert er seine Beine unter dem Tisch neu, ansonsten zeigt er professorales Pokerface. Deshalb will ich mich im Gedankenlesen versuchen, analog zu den Ferndiagnosen der MK über Superkarl; so könnte ich mir vorstellen, dass er vielleicht Folgendes denkt:

»Ist das, was diese Tussi verzapft, nicht zum Davonlaufen? Würde ich diese nicht sofort aus jedem Proseminar schmeißen mit ihrem schwülstigen Karlsgetue? Was wäre, wenn sie wenigstens selber einigermaßen nach was… ach, lassen wir das. Wird sie endlich aufhören mit dem Stuss? Irgendwie positive Phantasie, aber doch wohl Stuss? Nur gut, dass ich mir diesen Illig verbeten habe, diesen gefährlichen Karlsleugner! Der redet keinen solchen Stuss. Was wäre gewesen, wenn ich selbst da draufgekommen wäre? Wäre das nicht toll? — Soll ich dazwischenfahren oder ist es sinnvoller, ruhig zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen? Wann kommst Du endlich dran, Johannes?«

Es ist in der Tat Prof. Johannes Fried (= JF) leibhaftig, der hier daneben sitzend leiden muss. Endlich wird auch er gefragt und soll in seiner Eigenschaft als vollakademischer Historiker die wichtige, um nicht zu sagen: entscheidend wichtige Frage beantworten, wie viel denn dieser stattliche Karl normalerweise verzehrt habe. Nun, JF, ob der Komplexität der Fragestellung sich etwas verhaspelnd, vermeldet, ein gewisser Einhard hätte, analog zur Augustusbiografie des Sueton, geschrieben, ER habe sich im Gegensatz zu Augustus, dem drei Gänge pro Mittagessen genügten, vier (!!) Gänge gegönnt und wäre damit der Schlemmerei verfallen. Als wären vier Gänge für den Deckhengst Europas zu viel!

Das Niveau der Sendung ist trotz der professoralen Intervention noch nicht sonderlich gestiegen, da knallt der Moderator endlich die kulturelle 50.000 €-Frage auf den Tisch: Hat ER, der Große, überhaupt lesen können?! Endlich darf JF warmlaufen: „Ja, doch, er konnte wohl Latein und er konnte wohl auch Lesen“, aber die Feinmotorik des Schreibens war für die schwertgewohnte Eisenfaust unseres Karls nicht zu erreichen. Ist das möglich? Darf JF diesen unsäglichen Unsinn immer noch von sich geben, elf Jahre nach dem ersten Mal [14. 8. 1999; vgl. Martin 2000a, 100]? Hat ihm immer noch kein Schmied mit dem Hammer auf die Finger geklopft?

Immerhin wissen wir – das sei von uns hinzugefügt – doch aus anderen reinen Quellen historischer Erkenntnis, dass er die Neumen erfunden hat, eine  frühe Notenschrift zum Festhalten von Musik und Gesang. Für einen des Schreibens Unfähigen doch eine hervorzuhebende Leistung, geradezu ein Karlswunder, dessen Glanz in dieser Sendung nicht hervorgehoben wird.

Dafür wird es politisch brisant: War Karl ein Deutscher oder was war er? So lautet die Frage. Fried blüht weiter auf: Deutsche, Franzosen entstanden erst nach SEinem Tod. Nun darf MK dank Moderatorin weiterreden und das mit Karl Martell, Pippin und den putschenden Hausmeiern erklären. Das wäre doch des Professors Part gewesen. Aber eben Frauen unter sich! Wahrscheinlich war die MK dabei, so genau weiß sie all diese Dinge. Wer die Macht hat, hat die Macht zu Recht. Das hat die EU-Kommission von ihrem eigentlichen Gründungsmitglied übernommen.

Damals wäre beinahe auch alles schon gut gewesen, aber die Sachsen wehren sich 30 Jahre lang gegen unseren allerchristlichsten Missionar und Schürzenjäger, was in der Sendung mit einem Film (natürlich mit Originalaufnahmen aus der damaligen Zeit) illustriert wird. Darin wabert und brütet es wie in einer frühen Inszenierung der Götterdämmerung zu Bayreuth. Eingeblendet findet sich die goldglänzende Karlsbüste aus dem 14. Jh. – fürs glotzende Volk sogar (Fastoriginal-)Porträts. Planet UnWissen!

Immerhin bekommt der Zuschauer mal was anderes zu sehen als nur diese MK und den feinsinnig parlierenden Professor. Unvermeidlich bei solchen Filmen scheint das penetrante Einspielen gregorianischen Gesanges, wenn irgendwo eine Mönchskutte oder ein Kirchenschiff auftaucht. Das muss im Curriculum der Filmschulen festgeschrieben sein: Mönch oder vorbarocke Kirche: Gregorianik; barocke Kirche: Bachtrompete oder Mozartmesse; Paris: Musette; Anden: Pustepanflöte usw. Oh Filmemacherelend!

Corona wendet sich nun Paderborn zu, dem Anti-Sachsen-Mahnmal des Großen Karl; Moderator verweist aufs Internet, wo die karolingischen Pfalzreste zu bewundern sein sollen. Was es nicht alles geben soll!

Es wird über Sinn und Unsinn von Guerrillakriegen gerechtet, wobei JF betont, dass ein christlicher König der Nächstenliebe natürlich Nicht-Christen bekämpfen muss. „Karl d. Gr. wollte ein für allemal Frieden schaffen.“ Und die Sachsen gingen unter, weil sie in sich uneins waren und einem großen Taktiker und Militärstrategen gegenüberstanden. Klar.

Das Karolingerreich wird auf der Karte gezeigt, und MK behauptet, dass dieses eigentlich so groß gewesen sei, wie vorher nur das Römerreich. JF interveniert nicht, als sei ihm entfallen, dass die römischen Adler bis Persien, Assuan und Tripolis getragen worden sind.

Wie Karl denn dieses Reich beherrscht habe, wird gefragt. Wieder redet sich MK heiß und der arme JF muss zuschauen: Tausend Familien mit Grafen, über das Reich verstreut, habe Karl auf seiner Seite gehabt, aber letztlich wäre dann die doch Korruption aufgeblüht zum Schaden des Ganzen.  Diese Frau sollte der Professor ausführlich konsultieren; sie verfügt offensichtlich über ihm unbekannte Quellen. So könnten auch Professoren der Geschichte von Trivial-TV profitieren und die lahmende frühmittelalterliche Geschichtswissenschaft wieder vorwärts bringen!

Nun ist aber doch wieder der Professor dran; er darf – aber bitte kurz – erläutern, wie es zur Kaiserkrönung kam. Also: Es sei verraten, dass es Papst Leo war. Der uralte Streit, ob nun Karl verabredet nach Rom kam oder dort heimlich und hinterrücks der Krönung verfiel, wie es die zwei sich widersprechenden Quellen vermelden, ist dem Emeritus nur eine Randbemerkung wert. Moderator ist auch bemüht, den Zuschauer nicht zu überfordern. Er zeigt das Krönungsbild Karls als Stich nach dem Gemälde Kaulbachs von 1861 [Taschenbuchtitel Illig, 1998] und fragt, ob man sich die Sache so vorstellen könne. JF weicht aus, es gäbe nur wenige und widersprüchliche Berichte.

JF: „So wie dieses Bild aussieht, wird’s sicher nicht gewesen sein.“

Moderator: „Sondern?“

JF: „Fragen Sie mich was Leichteres.“

Gab es schon Reichsinsignien, fragt Moderator? Nein, sagt JF, die entstanden erst im hohen Mittelalter. Trotzdem wird die wunderschöne achteckige Reichskrone (heute in Wien) eingeblendet, die Faußner – von der Zunft schrittchenweise bestätigt [vgl. Illig 1996, 188] – im 12. Jh. sieht, angefertigt für Konrad III. Sie passt somit eher weniger zu dem, was Fried dann doch noch über die Krönung Karls sagt. Für TV-taugliche Visualierung genügt auch ein 300 Jahre jüngeres Exemplar. Planet UnWissen eben. Ein Tipp für die nächste Sendung mit JF: Rückgriff auf die Krone Karls zu Pferde, auf jene Statuette, die ihn doch zu Lebzeiten porträtieren soll!

Erneut ist die geschichtsmächtige MK an der Reihe. Bei ihren Lesungen gehe ein Raunen durchs Publikum, wenn sie erwähnt, dass KdG nicht zu Aachen, sondern in Rom gekrönt worden sei. Sie weiß sogar, dass Karl als Krönungsort Aachen bevorzugt hätte, mit einem koketten Seitenblick zu JF. Dessen Reaktion wird nicht gezeigt.

Nun endlich jäh und unerwartet: Karls Kapelle zu Aachen. Der eingeblendete Trailer entbehrt des Chorals und bietet ein akustisches Lohengrinthannhäusergemenge samt Edvardgriegsoße; der Tonmeister war wohl auf einer Auslandsschule. Die Kamera nähert sich irgendwann dem, wie es heißt, fast schon archaisch zu nennenden Karlsthron. Immerhin leise Zweifel im Unterton beim Filmkommentar: „Dass Karl, der erste deutsche Kaiser noch vor seinem Tod 814 hier gesessen hat, daran glaubt man fest!“ Genau, eine Glaubensfrage also; dennoch wurde lange Jahre darauf gesessen; ein Napoleon-Flitscherl holte sich auf dem kalten Marmor eine Erkältung, Göring konnte sich kaum hineinzwängen und „amerikanische Soldaten spielten mit der Reichskrone!”

JF greift in letzter Not ein und kritisiert, dass im Film die Rede vom deutschen Kaiser gewesen sei und dass mit der Reichskrone in Nürnberg gespielt worden sei. Daraufhin ist Moderatorin ganz begeistert und meint, dass einige der sich beim Bildschirmvolk eingeschlichen habenden fehlerhaften Details im Geschichtsbild durch diese Sendung Gott sei Dank aufklären würden.

JF – schon leicht unwirsch – betont noch einmal: „Es gab [zu Karls Zeiten] weder Deutsche noch die [gezeigte] Krone.“ Die Moderatoren bitten daraufhin MK, doch darüber zu berichten, wie Karl die Krönung zu Rom aufgenommen hätte: Ja, meint sie, ER wäre doch überrascht worden von dieser Krönung und hätte sich lieber in Aachen krönen lassen, dieser Ansicht sei sie nun mal – wieder koketter Seitenblick zu JF –; aber letztlich war Karl zufrieden, er habe mit der Krönung das Sahnehäubchen seiner Macht serviert bekommen.

Der Leser möge sich vor Augen halten, unterstellt, den Großen Karl hätte es wirklich gegeben: Wie sollte es angehen, dass ein allermächtigster fränkisch-langobardischer König, dem die Weiber mindestens so wichtig sind wie Papst und Kirche, einen gerade halbtot geschlagenen und wundersam genesenen Papst nach Paderborn einbestellt, um die Krönungsmodalitäten zu besprechen – so 1999 in der Paderborner Ausstellung behauptet –, und dann gegen seinen Willen gekrönt worden wäre? Aber von Steuergeldern wohlversorgte Professoren samt akademischem Unterbau pflegen sich offensichtlich mit derartigen Absurditäten die Zeit zu vertreiben – angesichts drohender Finanzcrashs wohl nicht mehr allzu lange! Da lobe ich mir letztlich doch MK, die dermaßen über ihren Karl drauflos fabuliert, bis ein paar Zuschauern klar wird: Das muss alles reine Fantasie sein.

Nach kaum 30 Minuten darf endlich JF seinen Karl würdigen: Reorganisation der Kirche! Re-Organisation? Als wäre um 800 die fränkische Kirche schon kirchlich organisiert gewesen! Und vor allem Karls kulturelle Leistungen: Bildungsreform, Rezeption antiker Schriften, „Wiedereinüben“ des klassischen Lateins, entscheidend wichtig für Literatur, Dichtung und Wissenschaft. Fürwitzige, fast schon freche Frage der Moderatorin (die würde gleich aus dem Seminar des JF fliegen), etwas spitz vorgetragen: „Was hat man denn vorher gesprochen?“ Antwort JF, fast in Rage:

„Ein barbarisches Latein, ein verwässertes Latein … das Latein entwickelt sich ja zu den romanischen Volkssprachen hin … ein schreckliches Latein, was eben zu den Volkssprachen hinführt und das hat Karl der Große verhindern lassen!“

Hier wölkt professoraler Unsinn: Wer im – fiktiven – fränkisch-germanischen Bauernvolk soll ein barbarisches, verwässertes, schreckliches Latein gesprochen haben? Haben die leibeigenen Bauern, ansonsten halbverhungert, im Bildungsrausch beim Rübenhacken ein schlechtes Latein benutzt und einfach  Pickel statt Celtis gesagt? Oder wurden Karls zartbesaitete Lateinohren vom nichtvorhandenen Bürgertum mit falscher Pluralbildung gequält, wenn es um Internas ging? Oder haben die adeligen Schlagetots Dativ und Ablativ gar während der Schlacht verwechselt und so den Zorn Karls hervorgerufen, der wegen derartiger Vexation wieder eine Schlacht gegen die Saxen verlor? Bildung für ein Volk von Analphabeten? Wie JF dann weiter ausführt, war das Sache der Klöster. Dort hat man auf Karls Veranlassung „Latein gelernt, noch mal Latein gelernt und nochmal Latein gelernt und abgeschrieben, eine Handschrift nach der anderen.“ Er muss dabeigewesen sein!

Nun ist aber von den Karlsklöstern kein Stein zu finden und auch nichts von den Produkten einer schmalen oder gar breiten Bildung; selbst die lateinisch dichtende Hrotsvith von Gandersheim wird erst fürs späte 10. Jh. postuliert. Also alles leeres und aufgeblasenes Geschwätz, was hier dem Fernsehzuschauer zugemutet wird. Dieser denkt wohl, dass JF ein fast so toller Hecht sei wie sein Karl.

JF darf am Stehpult noch die karolingische Minuskel erläutern und die Revolution, die darin bestand, dass man sich diese nicht mehr zwischen zwei, sondern vier Linien geschrieben vorzustellen habe, wie in einem Schulheft für Erstklässler, und über die Humanisten im 15. Jh. kam diese Schrift in den Buchdruck und auf uns heute. Erläutert wird das u.a. an einer der

„schönsten Handschriften aus der Zeit Karls des Großen, der sog. Dagulf-Psalter … in besonderer Weise für den König selbst geschaffen, wir können also sicher sein, das ist ein Zeugnis der karolingischen Bildungsreform.“

Sicher ist hier gar nichts, denn Faußner [2006, I, 421 ff.] behauptet nicht unbegründet, dass dieser Psalter ein Produkt des 12. Jh. aus dem Hause Wibald ist. Wibald lässt Karl den Großen und Gattin Hildegard die Handschrift in Auftrag geben, um sie dann Papst Hadrian zu übereignen, was JF unterschlägt [ebd., 422]:

„Damit hatte der Psalter für Bischof Adalbero eine hochfeine königlich-päpstliche Provenienz und es verblieb nur noch aufzuzeigen, wie er in den Bremer Dom gelangte. Und dazu fand sich für Wibald in Adams von Bremen Bischofsgeschichte der Hamburger Kirche eine gute Gelegenheit….”

Wer immer letztlich recht hat, der Rechtshistoriker Faußner oder die ihn ignorierende Historikerzunft: Man könnte Derartiges in einer Sendung ansprechen unter dem Motto: lebendige Geschichtsforschung – gefälscht oder echt, und würde damit mehr Interessierte gewinnen. Vermutlich ist aber Faußner auch schon dem Bann des Schweigens verfallen – dem ‘Wir von der Zunft wollen an Unseren Karl und seine grandiosen Leistungen glauben, glauben und nochmals glauben und ihn letztlich anbeten’. Die Geschichtswissenschaft des frühen Mittelalters ist damit mehr Sekte denn Wissenschaft und muss zurecht um  den sich anbahnenden Wegfall ihrer Lehrstühle fürchten oder an Nachwuchsmangel zugrunde gehen, wie sich das bei der Monumenta Germaniae Historica anbahnt.

Unser Karl hat noch weitere Verdienste, Verdienste, die in der heutigen Zeit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können, schuf oder reformierte er doch eine Edelmetallwährung. Moderator zeigt hierzu eine Münze von ungefähr 30 g Silber und JF bestätigt: Das ist dieser Pfennig! Das ist er natürlich nicht, denn der Karlspfennig wog vielleicht 1,5 g und war papierdünn. Aber dem Publikum nur das Beste. JF:

„Ja, Karl der Große hat das etwas aus den Fugen geratene Finanzsystem zu ordnen getrachtet, hat eine feste Relation eingeführt; aus einem Pfund Silber – ein Pfund ist damals 380 Gramm – hat er 244 Pfennige schlagen lassen, das ist die einzige Münze, das einzige Geld, das überhaupt existierte, nur der Pfennig.”

Wie kann man von einem aus den Fugen geratenen Finanzsystem sprechen, wenn außer diesen Pfennigen auch vorher nichts existierte? Und wieso wird plötzlich eine karolingische Goldmünze zu Ingelheim gefunden, der – fragwürdige – Hauptbeweis für eine Karolingerpfalz in Ingelheim? Antwort JF:

„für den Außenhandel [Ölrechnungen von Harun-al-Raschid?] hat man gelegentlich, vielleicht, möglicherweise [Hvhg. GA] mit Gold geprägt; wir haben nur ein einziges Stück überliefert, vor ein paar Jahren in Ingelheim gefunden, ich habe eine Abbildung mitgebracht … aber es ist eine absolute Ausnahme.“

Eine einzige Münze, vielleicht gefälscht, auf jeden Fall mit ihren konträr gestalteten Seiten ein Widerspruch in sich – Unikat oder Unikum –, lässt 14 Jahre nach ihrer Auffindung JF ins Trudeln geraten. Man prägt gelegentlich, vielleicht, ein bisschen? Das klingt wie ein bisschen schwanger. Mir tun die Studenten leid, die solchen Zwiesprech für die Prüfung pauken müssen.

Die Sendung hat einen mindestens so großen Bildungsauftrag wie Karl selbst. Sie bringt nun einen kurzen Film über Ingelheim, in den Zeitensprüngen schon des öfteren als römisch nachgewiesen [Heinsohn; Illig/Lelarge]. Karl der Große repräsentierte hier in der Aula Regia: „Sie war damals neben der Kaiserpfalz in Aachen das imposanteste Gebäude nördlich der Alpen.“

Ein kühner Vergleich, gab es doch in Trier die mindestens ebenso große Palastaula. Natürlich wird das erfundene Schaubild der fiktiven Aachener Karolingerpfalz gezeigt und JF gefragt, was alles dazugehöre. Er erläutert ungerührt von architekturhistorischen Zweifeln am Aachener Münster die Grandiosität dieses Baues und erläutert all das, was zu einer Pfalz gehört, indem er gewaltige, fiktive Bauten um den Kern herum suggeriert.

Da darf das nächste Karolinger-Highlight nicht fehlen: Gong!! – der St. Gallener Klosterplan, aufgezogen auf einem schätzungsweise 0,5 m mal 1 m  großen Karton. Anhand dieses fiktionalen Plans wird nun auch die Infrastruktur, nein, nicht der Klöster, sondern der Pfalzen erläutert. Moderatorin, möglicherweise historisch nicht ganz unbeleckt, fragt naiv und/oder etwas hinterlistig: „… nun gab es aber über 100 Pfalzen damals. Wofür hat denn Karl damals so viele Pfalzen gebraucht?“

Bevor wir uns die Antwort der schlauen MK anhören, rechnen wir ein wenig. Karl habe selbst 65 Pfalzen gebaut und ca. weitere 40 nutzen können [vgl. Illig 1996, 205, 208] – also ca. 100 Bauten. Bei gleichmäßigen Aufenthalten von einer Woche Dauer käme er alle zwei Jahre zu einer Pfalz. Da sie aber zum großen Teil erst gebaut werden mussten, da der Große Feldherr dauernd in den Krieg zog und oft jahrelang an einen Platz gebunden war, da er von Pfalz zu Pfalz lange reiten musste und oft lange Winterzeiten in einer Pfalz blieb, konnte er im Schnitt eine Pfalz nur zwei bis drei Mal in seinem Leben besuchen. Praktisch heißt das: Dauerleerstand für 20 bis 30 Jahre.

Und dafür baut man Kirchen, Hallen, Aufenthaltsräume, Stallungen, Schmieden, Brauereien, Bäckereien, Schutzmauern und so weiter, analog zum St. Gallener Plan? Wer hat diese Gebäude finanziert, wer das Personal bezahlt? Wer hat mit welchem Geld die Vorräte eingekauft und sorgfältig verwahrt, bis in vielleicht 10 bis 15 Jahren seine Majestät geruhen, für eine Woche vorbeizukommen?

Wäre es so gewesen, müsste ich als Bayer einräumen, dass gegen diesen Aufwand, gegen diese Verschwendungssucht unser Ludwig II. ein knauseriger Knilch war. Gut, etwas prunkvoller denn Aachen muten sein Linderhof, Herrenchiemsee oder Neuschwanstein durchaus an, aber Karl soll ja für seine damaligen Verhältnisse ebenfalls nicht gekleckert, sondern geklotzt haben.

MK erklärt nunmehr als Bildungsbeauftragte, dass es deshalb so vieler Pfalzen bedurfte, weil Karl persönlich vor Ort mit bis zu 1.200 Personen nach dem Rechten schauen musste – sehr löblich, aber logistisch gesehen absolut lächerlich und für diese Zeit auszuschließen. Auch archäologisch gesehen handelt es sich um reine, vergeistigte Phantasiegebäude, die aus gefälschten Urkunden abgeleitet wurden – gibt es doch im angesprochenen Bayern nicht einen Stein einer karolingischen oder agilolfingischen Pfalz [Illig/Anwander]. Daher wieder: Planet UnWissen verkauft seine Zuschauer für dumm!

Moderatorin kehrt zu den allzu menschlichen Themen zurück: Hatte Karl nun Liebesheiraten oder fügte er sich in dynastisch-notwendige Verbindungen? Natürlich beides, wie wir wissen sollten; aber seine Liebe war Hildegard. Mit 13 Jahren gefreit, musste sie – offensichtlich ohne Schonzeit – in zehn bis zwölf Jahren neun Kinder werfen. So muss man diese große Liebe eines Pädophilen sehen, in der die Frau an Erschöpfung starb. Moderatorin ist natürlich entsetzt, die MK wiederum nicht!

Auf Hildegard folgt die ebenfalls rasch verbrauchte Fastrada, doch endlich wird es dem Moderator zu bunt mit diesen Weibergeschichten, er unterbricht und wendet sich zum Professor:

„Jetzt mal ganz kurz, Herr Fried lächelt schon die ganze Zeit so süffisant, jetzt mal sie als Wissenschaftler [na endlich wird impliziert, dass die MK mit Wissenschaft nichts zu tun hat – Planet UnWissen] wenn sie diese ganzen Geschichten hören, inwieweit ist das für sie ja Mythos, inwieweit helfen ihnen vielleicht solche Geschichten auch in ihrer Arbeit oder sagen Sie, lassen sie mich damit bloß in Ruhe.“

JF könnte MK nun niedermachen, aber er gibt sich diplomatisch: „Ja, das sind natürlich Probleme, für die Zeit selbst können wir das alles nicht nachweisen…“ Also auf deutsch: alles Stuss, Planet Stuss:

„… aber das sind Legenden, die entstehen, und die werfen natürlich ein tolles Licht auf die Zeit, in der diese Geschichten entstehen, wie man sich eine vergangene Figur vorgestellt hat. Vorstellungsgeschichte ist fast so wichtig für den Historiker wie die Konstruktion der realen Geschichte, an die er immer nur hypothesenweise herankommt.“

So, so, Herr Professor der Geschichte, diese Weibergeschichten des Karl sind also die fruchtbaren Geschichtsphantasien im Gegensatz zu den furchtbaren des Doktor Illig. Aber ist es nicht vielmehr so, dass diese „Vorstellungsgeschichte“ doch mehr über die aussagt, die sie erfinden, ausschmücken und sich an ihnen delektieren? Ich dachte, es ginge bei der Geschichte des Mittelalters um das, was vermutlich wirklich passiert ist, wenn es denn überhaupt passiert ist und nicht um die hineinprojizierten Frustfantasien von Frauen und Männern des folgenden Jahrtausends, bis zur unmittelbaren TV-Gegenwart.

Aber nun besteht Moderatorin (!) darauf, dass es diese Frauen wirklich gegeben habe; nur die Details wisse man eben nicht mehr. Wir danken für diese Klarstellung! JF meint hierzu milde, Fantasien seien für eine Schriftstellerin in Ordnung – Planet UnWissen als getarnte Literatursendung. Und die Legenden seien „gut bezeugt“, meint MK, aus dem 8., 9., 10. Jh. JF nickt, „ja, gut bezeugt“.

Ja, was nun? Setzen wir für Legende das etwas schnödere Wort Erfindung oder gar Lüge, dann lautet die Aussage: Die Erfindungen und Lügen über einen – für uns fiktiven – Karl sind für die drei Jahrhunderte gut bezeugt. Selbst das stimmt nicht, denn wer die Lügen und Legenden alle erzeugt hat und zu welchem Zweck, ist kaum geklärt, zumindest kommt es in der Sendung nicht zur Sprache.

Dafür kommen noch einmal die quasi eingesperrten, doch eigentlich ständig mitreitenden acht Töchter zur Sprache, die es außerehelich mit standesgemäßen Mannsbildern treiben durften. Später wurden christlich-abendländische Fürstenfrauen eingesperrt, um genau solches zu vermeiden. Aber unserem Karl war’s egal; wie MK betont, wollte er doch keine machtgierigen Schwiegersöhne haben.

Könnte es auch hier nicht spannend sein herauszufinden, wer mit welcher Absicht solche Erfindungen und Legenden fabrizierte, etwa die Friedelehe, die Karl sich, wie beschrieben, erlaubte, also den legalen Harem neben der legalen Ehefrau? Faußner hat bekanntlich Wibald in Verdacht, der Verfasser des Einhart zu sein, und es wäre schön, wenn sich andere echte Forscher und steuerfinanzierte Wissenschaftler bequemen würden, hier weiterzusuchen.

Gegen Ende der Sendung muss natürlich noch das Capitulare de villis angesprochen werden, kann man hier doch in einem Filmchen einen echten Karlsgarten zeigen. Paul C. Martin [2000b, 645 f.] hat schon einmal dargetan, dass dieser, dank Pflanzen, die erst nach den Kreuzzügen bekannt geworden sind, vermutlich auf Karl IV. zurückgeht. Auch ist eine gewisse Enttäuschung spürbar, wenn ein mageres, dünnes Bändchen in die Kamera gehalten wird, das angeblich das gesamte Wirtschaften auf Karlsgütern geregelt haben soll.

Zuletzt muss noch ein Versprechen eingelöst werden, die Frage nach dem Pferd im Niedersachsenwappen. Das ist natürlich der Gaul, den Großkarl dem widerspenstigen Widukind geschenkt hat, nachdem dieser aufgegeben hatte und Christ wurde. Keineswegs Karl als sächsischer Deckhengst.

Zum allerletzten Abschluss wird es politisch korrekt. Die EWG der 1950er Jahre ist nach dem – aufgrund zerstrittener Söhne und Enkel – baldigen Zerfall des Karlsreiches die Wiederauferstehung eines geeinten Europa. Allerdings danken wir für diese sich zwischenzeitlich etablierte Eurodiktatur, dank des neuerlichen, politischen Erdbebens (des Vertrages) von Lissabon und hoffen, dass alles ebenso schnell wieder zerfällt, wie einst das fiktive Frankenreich nach KdG.

Schlussbemerkung

Diese Art Geschichtswissenschaft, wie sie sich hier präsentiert, ist zu Recht vom Aussterben bedroht. Sie lebt nur noch dank irgendwelcher Prüfungsordnungen, mit deren Hilfe Studenten gezwungen werden, irgendetwas ohne Verständnis und Interesse an der Sache selbst auswendig zu lernen, um es dann zur professoralen Befriedigung in der Prüfung preiszugeben. Eine lebendige Geschichtsforschung, die z.B. die Phantomzeithypothese oder andere kritische Thesen berücksichtigt, die physikalischen Datierungsmethoden kritisch hinterfragt, den Primat der Diplomatik fallen lässt, um vor allem mit der Archäologie interdisziplinär gleichberechtigt zu arbeiten, um z.B. den Fall Wibald von Stablo zur Kenntnis zu nehmen und zu untersuchen – eine Geschichtsforschung also, die offen ihre Mängel und Widersprüche eingesteht, die den ideologischen Müll des 19. und frühen 20. Jh. abwirft, würde Scharen von wirklich interessierten Studenten und entsprechendes Publikum anlocken und zu neuen und interessanten Ergebnissen kommen.

Literatur

www.wdr.de/wissen/wdr_wissen/programmtipps/fernsehen/planet-wissen.php5

Faußner, Hans Constantin (2006): Wibald von Stablo. Seine illuminierten liturgischen Prachthandschriften, ihre Provenienzen und deren Kirchenpatronizien. Ein Überblick aus rechtshistorischer Sicht; Hildesheim

Fischer-Holz, Elisabeth (1997): Die Frauen Karls des Grossen. Eupen

Heinsohn, Gunnar (2001): Maurer der Kaiser und Kaiser der Maurer. Eine Glosse zum karolingischen Ingelheim; in Zeitensprünge 13 (3) 463-466

Illig, Heribert (1996): Das erfundene Mittelalter; Düsseldorf, 1998 als Taschenbuch

– (1999): Paderborns prachtvolle Phantomzeit. Ein Rundgang durch die Karolinger-Ausstellungen; in Zeitensprünge 11 (3) 403-438

Illig, Heribert / Lelarge, Günter (2001): Ingelheim – karolingisch oder römisch? in Zeitensprünge 13 (3) 467-492

Martin, Paul C. (2000a): Können Münzen Karl den Großen retten? Zeitensprünge 12 (1) 88-112

– (2000b): Was las man denn zur Karolingerzeit? Teil II; in Zeitensprünge 12 (4) 639-661

Niemitz, Hans-Ulrich / Illig, Heribert (2004): Aachen: alt, ganz alt oder noch älter? Eine Neueinschätzung durch Volker Hoffmann; in Zeitensprünge 16 (2) 272-278

Stiegemann, Christoph / Wemhoff, Matthias (1999): Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn (3 Katalogbände); Mainz