Klabes weiterhin totgeschwiegen

von Jan Beaufort

Der Spiegel widmet in seiner neuesten Ausgabe dem Streit um Corvey einen Artikel mit dem Titel Mönche als Mythenmaler. Autor ist Matthias Schulz, der ZS-Lesern schon mal aufgefallen sein könnte: Er war derjenige, der 1999 die Illig-These im Spiegel vorgestellt hat (Weltherrscher im Klappstuhl, Spiegel vom 08.03.99). Allerdings musste Illig sechs Jahre später feststellen, dass sich Schulz an seinen damaligen Vorstoß leider nicht mehr erinnern mochte (Die Meistersinger von Deutschland. 10 Jahre Karlsverwerfungen und -debatten, ZS 3/2005, S. 683).

Ähnlich zweideutig gebärt sich der Autor jetzt im Corvey-Artikel. Denn einerseits ist nicht zu überlesen, dass ihn die Zweifel, die inzwischen bei einigen Forschern über Corveys karolingischen Ursprung gewachsen sind, mächtig beeindrucken. Schon der Titel Mönche als Mythenmaler hebt den Widerspruch der traditionellen Erzählung hervor. In der Darstellung der Fresken zeigt sich Schulz begeistert über deren unchristlichen Charakter: „Akanthusblätter schlingen sich in dem Gewölbe, nackte Eroten reiten auf Delphinen und Drachen. Neben Odysseus steht eine barbusige Sirene mit einer Harfe.“ Weitere für die Lehrmeinung „irritierende Spuren“ werden aufgezählt: der für Römerbauten typische, streng quadratische Grundriss, ein für frühmittelalterliches Handwerk viel zu fein ziselierter goldener Buchstabe, Statuen von Männern in Togen, 2000 Jahre alte Fliesen aus Marmor und Porphyr. Eine „Gruppe von Querdenkern“ um den Essener Architekten Horst Leiermann findet Erwähnung: Sie hält Corvey für ursprünglich römisch.

Obige “Spuren” sind dem Klabes-Leser wohlvertraut. Wer Klabes kennt, fragt sich allerdings verwundert, warum Schulz ihn nicht ein einziges Mal namentlich nennt. Schließlich war es Heribert Klabes, der mit seinem Corvey – Eine karolingische Klostergründung an der Weser auf den Mauern einer römischen Civitas, Höxter 1997, das alles initiiert hat. Selbst unter Autoren populärwissenschaftlicher Beiträge dürfte es nicht üblich sein, Forschungsergebnisse ausgiebig zu benutzen, zugleich aber den Namen des betreffenden Forschers konsequent zu verschweigen. Währenddessen darf der zuständige Archäologe Uwe Lobbedey sich über seine Gegner lustig machen und die Kölner Kunsthistorikerin Anna Skriver über die Einmaligkeit jener angeblichen Karolingerkunst fabulieren. („Karlsjecken“ hat Günter Lelarge solche einseitig auf reale Karolingik festgelegte Wissenschaftler einmal genannt.) Kein bisschen erstaunt zeigt sich Schulz darüber, dass es zwar römischen Legionen nicht gelang, die „heidnischen Germanen“ zu bezwingen, das Heer Karls des Großen mit dieser Aufgabe aber keine größeren Schwierigkeiten hatte. Wie Caroli schlagkräftige Armee wohl ausgesehen haben mag?

Ein wenig Licht und viel Schatten also. Da drängt sich die Frage auf, warum Corvey von den Karolingisierern so hartnäckig verteidigt wird? Vielleicht, weil sich niemand ausmalen möchte, was als Nächstes dran wäre, „wenn Corvey fällt“? Vielleicht, weil niemand einschätzen kann, wie viel Karolingisches noch römisch werden müsste, wenn mal etwas kritischer hingeschaut würde? Wurde deshalb die rechtsrheinische, sich bis zur Elbe und den späteren Ottonenresidenzen erstreckende römische Provinz Germania magna von der Schulwissenschaft so lange verdrängt? Noch in Schulz’ Artikel schliefen die römischen Besatzer dort “nur in Zelten und in Lagern aus Holzbaracken“. Die Begründung für dieses eigentlich sehr unrömische Verhalten mutet geradezu komisch an: „Steinbauten wurden von den Römern dagegen nicht errichtet – zu teuer.“

Angesichts so viel akademischer und journalistischer Furchtsamkeit und Ignoranz sind es wieder mal Außenseiter wie der genannte Horst Leiermann oder Rainer Friebe, die die vorderste Forschungsfront zu vertreten haben. Auch unser Andreas Otte ist hier zu nennen: In wenigen Wochen erscheint die von ihm realisierte Neuausgabe des Klabes-Buches.