Vergeblich sucht der Leser in der Schrift
Astronomische Untersuchung zur Widerlegung [der(?)] Chronologierevision von cand. phys. Ronald Starke (Uni Leipzig) nach Belegen für das dort auf S. 13 angekündigte “Ergebnis der vorliegenden Arbeit:

…dass an der herrschenden Chronologie auch nicht der mindeste Zweifel herrschen kann.”

Dies muss nicht verwundern, hatte doch längst schon Prof. Dieter B. Herrmann festgestellt:

“Ein bis ins letzte unanfechtbarer Beweis gegen Illigs These kann allein anhand von historischen Sonnenfinsternissen wohl nicht geführt werden.”
[‘Nochmals: Gab es eine Phantomzeit in unserer Geschichte’; in Beiträge zur Astronomiegeschichte III, 2000. S. 213f]

Schon seit 1994 steht der Satz “Bauten, Funde und Schriften im Widerstreit” (Untertitel des Karlsbuches) als Beschreibung eines großen Problems im Raum. Das war der damalige Befund und er ist es heute noch. Spätesten seit “Bayern und die Phantomzeit” (2002) ist der Nachweis extrem fundarmer Zeiten im Frühmittelalter geführt. Das sind harte Fakten, mit denen alle (auch und gerade die Anhänger der klassischen Chronologie) umgehen und die (auch von diesen) erklärt werden müssen.

Ronald Starke vermeint, es besser zu wissen und er geht dabei sofort in die Vollen:
Gleich auf der Titelseite findet sich ein Zitat von Robert Newton, in dem jener seinem Zorn über die Verfälschung des Almagest freien Lauf lässt:

“… I mean a crime comitted by a scientist against his fellow scientists and scholars, a betrayal of the ethics and integrity of his profession…”

Vom Kontext, aus dem dieses Zitat stammt, erfährt der Leser allerdings erst ab Seite 64 [!]. Bis dahin kann (soll?) der Leser nur vermuten, dass Newton nicht die Verfälschung der Zeitangaben, sondern die Aufklärung von Verfälschungen, um deren Entschleierung es hier geht, als ‘Verbrechen an der Wissenschaft’ bezeichnet hätte!
Starke scheint etwas Grundlegendes nicht klar zu sein: Auch Thesen, die nicht zum Mainstream zählen, dienen dem Fortschritt der Wissenschaft. Entweder werden sie bewiesen oder sie werden widerlegt!

Nun zu den Fakten:
Illigs Phantomzeitthese lässt sich unschwer in drei Teile aufgliedern:

1. Die Geschichte des Abendlandes enthält drei fiktive Jahrhunderte.
2. Auch in Ostrom finden sich Hinweise auf eine Manipulation der Geschichte.
-> 3. Offenbar wurden auch in Ostrom 3 Jh. in den Lauf der Geschichtsschreibung eingefügt.

Dieser letzte Punkt ist eine nahe liegende Vermutung, die bei der zu Anfang kargen Information erst einmal als gültig angesehen wurde. Aus ihr ergab sich sofort auch das Hauptargument der Gegner, dass es dann ja eine kontinentale Verschwörung gegeben haben müsse.

Wer wie Starke mit astronomischen Beobachtungen aus vorchristlicher Zeit argumentiert, dem kann allenfalls eine Widerlegung von Punkt 3. gelingen – womit aber das selbst gesteckte Ziel bereits verfehlt ist.

(N. B.: Dass Punkt 3. ungültig wäre, wird seit nunmehr zwei Jahren in den Zeitensprüngen diskutiert. Dort wurde längst festgestellt: »Von der Veraltung der abendländischen Historie sind die babylonischen Datierungen nicht betroffen!« [Korth, ZS 1/06, S. 166])

Hätte Starke nicht die Gültigkeit seines ‘Ergebnisses’ von Anfang an vorausgesetzt, dann hätte er die von ihm untersuchten Eklipsen nicht danach vorsortiert, ob sie bei konventioneller Chronologie mit der Rückrechnung übereinstimmen. Tatsächlich finden sich in nachchristlicher Zeit bei vielen dieser Sonnen- und Mondfinsternisse drei Jahrhunderte später die gesuchten Übereinstimmungen, wie die unten aufgeführten Beispiele zeigen.

Eklipsen

Schriften mit den Erzählungen vom Über-Karl, Großbauten wie z.B. Aachen und Corvey, über Schenkungen ganzer Orte, angeblich beobachteter Sonnenfinsternisse, etc., etc. stehen im Widerspruch zu den archäologischen und baugeschichtlichen Befunden. Dieses Problem muss für ein konsistentes Geschichtsbild gelöst werden.

Die These von der Phantomzeit ist ein Versuch, Funde und Schriften zusammenzubringen, indem ca. drei Jahrhunderte gestrichen, ein Teil der Schriften als Erfindungen ausgesondert und Funde, bislang dem Frühmittelalter zugeschrieben, den Zeiten davor oder danach zugewiesen werden.

Die Phantomzeitthese einfach nur abzulehnen oder der Versuch, sie allein mit Hilfe der Astronomie zu widerlegen, zeugt davon, die eigentliche Tragweite der aufgedeckten Probleme nicht verstanden zu haben. Auch die klassische Chronologie muss das offen gelegte Problem (Funde <-> Schriften) im frühen Mittelalter angehen.