Eine Untersuchung der Baudenkmäler (Teil II)

von Karl-Heinz Lewin
(überarbeitet aus Zeitensprünge 2/2006)

Ante Romam Treviris Stetit
Annis Mille Trecentis
Perstet Et
Æternam Pacem Fruatur
Amen
Vor Rom stand Trier
Eintausenddreihundert Jahr
Möge es ferner bestehen
Und ewigen Friedens sich freuen
Amen

So stand es weithin sichtbar in güldenen Lettern während meiner Schulzeit in den 1960er Jahren an der ‚roten Wand’ des Café Bley an der Südwestecke des Trierer Hauptmarkts. Seit dem Wiederaufbau der 1944 durch Bomben zerstörten ‚Steipe’ in den Jahren 1968-70 (Abb. 1) ist nur noch der linke (lateinische) Text an der Hauswand des ebenfalls in diesen Jahren rekonstruierten ‚Roten Hauses’ in der vom Hauptmarkt im Südwesten westlich abzweigenden Dietrichstraße (Haus Nr. 54) in nunmehr nur noch drei Zeilen zu lesen. (Die so genannte ‚Steipe’ wurde „1430 als Fest- und Empfangsgebäude der Bürgerschaft […] erstellt, 1481-83 weitgehend umgebaut und seitdem bis ins 18. Jh. auch als Rathaus genutzt“ [Trier 248].)

„Rotes Haus“ und „Steipe“ am Hauptmarkt in Trier  (Ausschnitt aus einem Foto in [Trier 71], nach 1972)

Abb. 1: „Rotes Haus“ und „Steipe“ am Hauptmarkt in Trier (Ausschnitt aus einem Foto in (Trier 71), nach 1972)“, auch Horrea genannt, Ausschnitt (Kuhnen 167)

Im Heimatkundeunterricht lernte ich damals, dass dieser Spruch auf eine Legende aus dem Mittelalter zurückgehe.

„Die wohl ebenfalls noch in das 10. Jh. zurückreichende, in ihrer vollständigen Fassung seit der Mitte des 11. Jh. überlieferte Gründungssage der Stadt datiert die Erbauung Triers durch Trebeta, den Sohn des Assyrerkönigs Ninus, 1250 Jahre vor die Entstehung Roms.“ [Trier 24]

Im 19. Jahrhundert wurden die Anfänge der Stadt Trier auf das erste vorchristliche Jahrhundert zurück­ge­nom­men, und 1984 beging Trier sein erst 2000-jähriges Jubiläum, nachdem Archäo­logen das erste ‚städtische’ Bauwerk, eine Pfahlrostbrücke über die Mosel, auf das Jahr 17 v. Chr. datiert hatten.

Seitdem wurden auch noch ältere (keltische) Hinterlassenschaften in Trier entdeckt, die bis in das dritte vorchristliche Jahrhundert zurückreichen.

Das Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz hat sich die Aufgabe gestellt, alle im Bereich der Trierer Altstadt auffindbaren Kulturdenkmäler in einem Buch zu dokumentieren [Trier passim]. Ich untersuche an Hand dieses Buches, wie viele ‚Kulturdenkmäler’ aus welchen Jahrhunderten uns jeweils erhalten geblieben sind.

Statistik der Baudaten der Baudenkmäler und Baureste

Hierbei zähle ich alle Zeitangaben (Jahr, Jahrzehnt oder Jahrhundert) in dem genannten Buch, die sich auf Baumaßnahmen beziehen, seien es Neubauten, Renovierungen, Umgestaltungen oder Instandsetzungen.

Hierbei ist nicht berücksichtigt, ob die Zahlen sich auf ein gesamtes Gebäude oder nur Gebäudeteile beziehen. Mehrfachnennungen habe ich nicht herausgefiltert, sondern entsprechend mehrfach gezählt. Zeitangaben zu Gebäuderesten von Vorgängerbauten (Fundamenten, Kellern, Gewänden) oder Spolien habe ich unterschiedslos mit erfasst. Auch habe ich nicht unterschieden, wie die Zeitangaben zu Stande kamen, ob beurkundete Baudaten, erste Nennungen in Urkunden, Datierungen durch Münzen, dendrochronologische Bauholzdatierungen. Eine solche Unterscheidung wäre auch nur für einen kleineren Teil der Daten möglich gewesen, da in den meisten Fällen solche Angaben fehlen.

Nicht nur viele mittelalterliche Gebäude oder Gebäudeteile wurden nach Urkunden datiert, sondern auch die meisten Profanbauten des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts (nach Katasterurkunden oder Bauplänen). Für mittelalterliche Bauwerke, die „erstmals“ in einer Steuerurkunde erwähnt wurden, habe ich, sofern kein früheres Datum als vermutliches Baudatum genannt wurde, das Datum der Steuerurkunde übernommen. Ebenfalls nicht berücksichtigt habe ich die gelegentlich angetroffenen Beiwörter wie „vermutlich“ oder (seltener) „angeblich“. Ich habe also alle Zeitangaben so genommen, wie sie ,im Buche stehen’.

„Trier, Lageplan um 1000, Zeichnung von R. Thelen (Planarchiv Städtische Denkmalpflege)“ [Trier 41]

Abb. 2: „Trier, Lageplan um 1000, Zeichnung von R. Thelen (Planarchiv Städtische Denkmalpflege)“ (Trier 41)

Angaben wie „4. – 6. Jh.“ oder „16. / 17. Jh.“ wurden jedem Jahrhundert des angegebenen Bereichs zugeordnet. In der folgenden Tabelle habe ich die aufs Jahr oder wenigstens auf ein Jahrzehnt genaue Angaben dem jeweiligen Jahrzehnt zugeordnet, alle anderen Angaben (wie „15. Jh.“, „Anfang 16. Jh.“, „im reifen 17. Jh.“, „zweite Hälfte 18. Jh.“, „drittes Viertel 19. Jh.“ o.ä.) wurden in der Spalte ‚jhg.’ (für nur ,jahrhundertgenau’) gezählt. Die Zahlen geben jeweils die Gesamtzahl der Nennungen an, leere Felder bedeuten keine Nennungen.

Jahr -100 -90 -80 -70 -60 -50 -40 -30 -20 -10 Jh. jhg.
-200 2 – 2.
-100 2 2 -1. 1
0 1 1 1 1. 7
100 1 1 4 1 3 2. 8
200 2 3. 4
300 2 1 3 2 2 1 2 4. 17
400 1 1 5. 4
500 1 1 6. 20
600 1 7. 7
700 1 8. 3
800 9. 1
900 1 1 8 1 2 3 10. 16
1000 8 3 1 7 11 1 2 3 11. 38
1100 8 6 5 10 4 3 3 6 8 12. 52
1200 3 5 10 21 14 9 5 11 9 5 13. 62
1300 9 6 6 8 8 2 16 1 1 3 14. 25
1400 7 8 1 4 2 5 9 10 6 9 15. 17
1500 4 4 5 5 16 8 7 7 6 15 16. 44
1600 35 22 20 7 10 12 21 12 24 9 17. 61
1700 12 22 49 42 33 33 49 32 29 19 18. 70
1800 36 20 37 40 46 51 66 58 64 92 19. 108
1900 195 54 72 52 16 96 50 44 52 44 20. 21
Jahr 00 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Jh. jhg.

Tabelle 1: Statistische Auswertung der erwähnten Baudaten [Trier 11 – 359]

Jh. Anzahl graphische Darstellung *)
– 2. 2 :
– 1. 5 |
1. 10 ||
2. 18 |||:
3. 6 |.
4. 30 ||||||
5. 6 |.
6. 22 ||||:
7. 8 |:
8. 4 |
9. 1 .
10. 32 ||||||:
11. 74 |||||||||||||||
12. 105 |||||||||||||||||||||
13. 154 |||||||||||||||||||||||||||||||
14. 85 |||||||||||||||||
15. 78 |||||||||||||||:
16. 121 ||||||||||||||||||||||||.
17. 233 ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||:
18. 390 ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
19. 618 |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||:
20. 696 |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||.

*) | für je 5, in der letzten Stelle auch für 4, : für 2 bis 3, . für 1

Tabelle 2: Zusammenfassung der Baudatennennungen nach Jahrhunderten

Das Ergebnis der Auszählung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:

  1. Die Baulücke im frühen Mittelalter (7., 8., 9. und auch noch 1. Hälfte des 10. Jh.) ist augenfällig, und das, obwohl die im Buch [Trier passim] genannten Jahres- und Jahrhundertzahlen völlig unkritisch übernommen wurden (siehe dazu die Einleitung zu diesem Abschnitt oben). Mit diesen Daten kann die These vom „erfundenen Mittelalter“ wieder einmal nicht widerlegt werden. Verfechter dieser These können feststellen, dass dies für die Gewissenhaftigkeit der Trierer Archäologen spricht, die trotz auch hier fehlender Belege für die leeren Jahrhunderte (fast) nichts in diese hinein gedeutet haben. (Auf die wenigen Ausnahmen komme ich unten noch zu sprechen.)
  2. Auch die Römer und die Spätantike haben außer etwa einem Dutzend markanter Gebäude wenig (oder genauer gesagt wenig Datierbares) in der „Römerstadt“ Trier hinterlassen. Insbesondere fällt auf, dass in das 3. und 5. Jahrhundert datierbare Bauten kaum vorhanden sind.

Statistik der identifizierten Baustile

Gegen die obige Statistik lässt sich einwenden, dass viele Bauwerke oder Reste davon nicht eindeutig datierbar sind und daher aus der Statistik herausfallen, obwohl sie doch erkennbar vorhanden sind und daher berücksichtigt werden müssten. So sind z.B. viele noch vorhandene Keller aus alter Zeit nur mit dem Attribut „mittelalterlich“ aufgeführt.

Daher habe ich auch die von den Denkmalschützern identifizierten Baustile erfasst und gezählt.

Die Reihenfolge in der Tabelle entspricht im wesentlichen der zeitlichen Reihenfolge der Baustile. Angaben von zugeordneten Zeitspannen sind dem Anhang „Fachausdrücke“ [Trier 360 – 365] entnommen und dienen als Anhaltspunkte.

Hier kommen „römisch“ und „antik“ zusammen auf etwa so viele Nennungen wie „Romanik“ oder „Renaissance“, 28 „spätantike“ Nennungen mögen vielleicht für das schwach belegte 5. Jh. trösten, aber insgesamt 7 Nennungen von „merowingisch“ (ohne „sog.“), „fränkisch“ und „karolingisch“ können die bittere Lücke vom 7. bis 9. und teilweise 10. Jahrhundert nicht füllen. Und ob die 8 als „frühmittelalterlich“ eingestuften Baureste die mangelnde Beweislage geringfügig verbessern können oder nicht eher für das 10. Jahrhundert bürgen? Ich lasse hierzu vor allem die Zitate selbst sprechen und kommentiere nur, um Fragen einzuflechten oder Zusammenhänge herzustellen.

Baustil Nennungen graphische Darstellung
römisch 86 |||||||||||||||||.
vorkonstantinisch 1 .
frühchristlich 1 .
spätrömisch 1 .
antik 31 ||||||.
spätantik 28 |||||:
Merowingerzeit 1 .
„sog. merowingisch“ 3 :
fränkisch 3 :
karolingisch 3 :
ottonisch 1 .
frühmittelalterlich 8 |:
frühromanisch 33 ||||||:
hochromanisch 5 |
spätromanisch 23 ||||:
Romanik (1000 – 1250) 111 ||||||||||||||||||||||.
hochmittelalterlich 24 |||||
frühgotisch 1 .
hochgotisch 3 :
spätgotisch 70 ||||||||||||||
Gotik (1250 – 1520) 123 ||||||||||||||||||||||||:
nachgotisch 3 :
spätmittelalterlich 37 |||||||:
mittelalterlich 187 |||||||||||||||||||||||||||||||||||||:
Renaissance (15., 16. Jh.) 117 |||||||||||||||||||||||:
Manierismus (1530 – 1600) 13 ||:
vorbarock 12 ||:
frühbarock 11 ||.
hochbarock 2 :
spätbarock 36 ||||||.
Barock (1600 – 1750) 229 ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Rokoko (1730 – 1780) 37 |||||||:
frühklassizistisch 2 :
Louis-Seize (-Klassizismus) 12 ||:
spätklassizistisch 34 |||||||
Klassizismus (1770 – 1830) 97 |||||||||||||||||||:
Gründerzeit (1871 – E. 19. Jh.) 13 ||:
Neuromanik 20 ||||
Neugotik 47 |||||||||:
Neurenaissance 51 ||||||||||.
Neubarock 46 |||||||||.
Historismus / Historizismus (19. Jh.) 6 |.
späthistoristisch 59 ||||||||||||
Neuklassizismus 16 |||.
Jugendstil (um 1900) 23 ||||:
Reformstil / Reformarchitektur 21 ||||.
Heimatstil (nach 1900) 7 |:
Funktionalismus 2 :
Bauhausstil (nach 1919) 2 :

Tabelle 3: Zusammenfassung der Baustilnennungen [Trier 11 – 359]

Baudenkmälerreste aus merowingisch-fränkischer Zeit

„Die Trier Bevölkerung des 6. und 7. Jh. dürfte nur noch einige tausend Personen umfaßt haben, die vornehmlich um die innerstädtischen sowie die im Bereich der antiken Gräberfelder gelegenen christlichen Kultstätten, aber auch im Umfeld römischer Monumentalbauten lebten. Archäologisch nachgewiesen sind derartige [also offensichtlich spärliche] Siedlungsspuren [des 6. und 7. Jh.] etwa in den ausgedehnten Barbara- und Kaiserthermen, aber auch in den Tempelruinen des Kultbezirkes im Altbachtal.“ [Trier 20] „Die Kontinuität der eindrucksvollen Ruinen überlagert die Tatsache, daß zeitweise das Trümmerfeld der Stadt menschenleer war.“ [Trier 18]

Diesen Satz lese ich als klaren Hinweis auf die Abwesenheit von Funden.

Ehem. Dominikanerinnenkloster St. Katharina:

„Der Ursprung des Nonnen­klosters steht im Zusammenhang mit einer angeblich in das 6. Jh. zurückreichenden, erstmals 1190-1212 erwähnten Martinskirche auf dem Petrisberg im Osten vor der Stadt.“ [Trier 144]

„Eine fränkische Königspfalz, die in einem Komplex spätantiker Getreidespeicher (sog. Horrea, Bau A) nahe des römischen Hafens eingerichtet worden war, ging in der ersten Hälfte des 7. Jh. durch Schenkung König Dagoberts I. (622-39) an Erzbischof Modoald (622-ca. 640) über. Dieser schuf spätestens 639 das königliche Eigenkloster »Sta. Maria ad horrea«” [Trier 122]

Die Anfänge dieses Klosters sollen andererseits in das Pontifikat seines Nachfolgers Numerian fallen (s. u.).

„König Dagobert, für den ein Trier-Aufenthalt im Jahr 624/25 bezeugt ist“: „Es darf angenommen werden, daß die auf seinen Namen gefälschten umfangreichen Schenkungen an die Trierer Kirche einen wahren Kern beinhalten.“ [Trier 19]

„Bischof Modoald (zw. 614/20 – vor 646/7)“ [Trier 19]: „Auf Bischof Modoald geht etwa die Gründung des Nonnenklosters St. Symphorian (nahe der heutigen Kaiser-Wilhelm-Brücke) zurück.“ [Trier 20]

Dieses Kloster soll von den Normannen 882 „völlig zerstört“ worden sein (s. weiter unten). „Auch die benachbarte Volkskirche St. Remigius dürfte auf Modoald zurückzuführen sein.“ [Trier 20]

„Ein zweiter Sakralbau, die aus der Merowingerzeit stammende, 1809/10 abgebrochene Modestakapelle wurde als Grablege der Chorfräulein im Nordwesten vor der Horrea errichtet. Ebenfalls außerhalb des Speicherbautenkomplexes, südöstlich der über den Irminenfreihof verlängerten Böhmerstraße, lag die um 1200 dem Kloster inkorporierte Pfarrkiriche (Alt-)St. Paulus, deren Erstlingsbau 704 durch Bischof Willibrord konsekriert wurde (1790 Teilabbruch, 1806 restloser Abbruch, ergraben eine romanische Saalkirche mit Chorturm …).” [Trier 122]

„Nachfolger Numerian (646/7 – vor 697/98)“: „In sein Pontifikat fallen die Anfänge des in den spätrömischen Lagerhallen (Horrea) errichteten Nonnenklosters St. Maria (später St. Irminen/Oeren)“ [Trier 20], „wobei hier die Kenntnis der einstigen Funktion des Bauwerks in der Bezeichnung »St. Maria in horreo« fortlebte.“ [Trier 25]

Auf Seite 122 aber „schuf“ dieses Kloster bereits „spätestens 639“ Numerians Vorgänger Modoald. Das Irminenkloster war „schon früher als die Domstadt mit einer Mauer umgeben“, der „sog. Merowingermauer“ [Trier 40], also vor 1000. Auf Seite 126 dagegen stammt diese Mauer „vermutlich aus dem Spätmittelalter“.

„Schließlich dürfte auch die Kirche St. Helena in dem auf dem westlichen Moselufer gelegenen Vorort Euren auf Numerian zurückgehen, wo für das Jahr 1075 auch seine Grablege bezeugt ist.“ [Trier 20]

Verstehe ich das richtig: Der 697/98 verstorbene Numerian wurde erst fast 400 Jahre später zu Grabe gelegt?

Irminenkloster (vgl. Lageplan in Abb. 3, Rekonstruktionsplan in Abb. 4):

St. Irminen, Kloster, Lageplan [Trier 124]

Abb. 3: St. Irminen, Kloster, Lageplan (Trier 124)

Bau A: spätantike Außenwand (um 330 ) im barocken Westflügel erhalten
Bau B: frühromanisch
Bau C: frühbarock (1621)
Bau D: barock (1740)
Bau E: Barocker Westflügel (17. Jh.) mit älterem Keller

„Bemerkenswert ist die mehrteilige Kelleranlage: Der an die westliche Horreumswand angebaute, sog. merowingische Keller unter dem nördlichen Abschnitt ist eine kreuzgratgewölbte Halle … »zweifellos nicht älter als 12. Jh.« (Kubach/Verbeek 1976).” [Trier 124]

Bau I: „Sog. Merowingermauer. Als östliche Beringmauer des mittel­alterlichen Irminenklosters ist auf der Westseite der Windmühlenstraße ein etwa 170 m langer, mehrfach leicht geknickter Mauerzug erhalten, der in seiner Linienführung vermutlich die Immunitätsgrenze des 7. Jh. markiert. Der untere, bis in Mannshöhe reichende und aus mächtigen Rot­sand­stein­blöcken zusammengefügte Mauerbereich stammt vermutlich aus dem Spätmittelalter“ [Trier 126]

Auf Seite 40 soll diese Mauer jedoch vor der Ummauerung des Domberings (um 1000) gestanden haben.

„Hinweise zur Trierer Wirtschaft während des Frühmittelalters sind spärlich. Für die späte Merowingerzeit konnten Töpfereien im Altbachtal nachgewiesen werden. Wenn auch weitere eindeutige Befunde fehlen, so haben wohl in der Moselstadt dennoch seit der Spätantike, wenn auch in stark reduziertem Umfang, an römische Traditionen anknüpfende Töpferei- und Glasproduktionsbetriebe ohne längere Unterbrechungen weitergearbeitet.“ [Trier 20/21]

An mehreren Stellen haben also die Archäologen bereits die Datierungen der teilweise als gefälscht erkannten Urkunden ins Spätmittelalter korrigiert. Ignorieren wir daher auch die anderen nur urkundlich bezeugten Bauten, die bei Grabungen nur romanische Baureste ergeben, sowie den beschworenen „wahren Kern“ der gefälschten Schenkungen. Im Lichte der Phantomzeitthese können die spärlichen Reste auf wenige Jahre um 600 zusammengedrängt – statt über ein Jahrhundert gestreut werden zu müssen – tatsächlich für eine Kontinuität „ohne längere Unterbrechungen“ bürgen.

„Gesamtplan der antiken und mittelalterlichen Befunde auf dem Gelände der Vereinigten Hospizien (Sankt Irminen)“, auch Horrea genannt, Ausschnitt [Kuhnen 167]

Abb 4.: „Gesamtplan der antiken und mittelalterlichen Befunde auf dem Gelände der Vereinigten Hospizien (Sankt Irminen)“, auch Horrea genannt, Ausschnitt (Kuhnen 167)

Baudenkmälerreste aus karolingischer und ottonischer Zeit

„Karolingische Hausgrundrisse sind bei den spätantiken Speicheranlagen (Horrea) am Moselufer ergraben worden. Sie gehören zur Siedlung um das dortige Nonnenkloster St. Irminen-Oeren.“ [Trier 20]

Nach welchen Kriterien Hausgrundrisse als „karolingisch“ eingestuft werden können, muss mir noch erklärt werden. 20 Seiten später werden die ergrabenen Mauerreste einer „fränkischen Siedlung“ zugeordnet:

„Zu den ältesten stadttrierischen Pfarrkirchen zählte auch Alt-St. Paulus. Sowohl ihre Lage als auch ihre im 8. Jh. vermutete Gründung hängt eng mit dem im Bereich der Horrea gegründeten Irminenkloster zusammen, zu ihrem Pfarrbezirk zählte die im Horreabereich erwachsene, fränkische Siedlung Oeren.“ [Trier 40]

„Die Kaiserthermen sind vermutlich als Kaiserpfalz genutzt worden.“ [Trier 21]

„Einschneidendes Ereignis in der frühmittelalterlichen Trier Geschichte war die Einnahme der Stadt durch die Normannen am 5. April 882. Welche Ausmaße die Verwüstungen erreichten, ist nur annähernd zu ermitteln, jedenfalls muß die psychologische Wirkung auf die Zeitgenossen verheerend gewesen sein. Nachgewiesen sind Beschädigungen im Dombereich sowie an den Monasterien St. Maximin und St. Martin [außerhalb der Altstadt, daher im weiteren Text des Buches nicht betrachtet]. Völlig zerstört und später anscheinend nicht wieder aufgebaut wurde das Nonnenkloster St. Symphorian.“ [Trier 22]

„Die Zerstörung der Stadt Trier 882 erfaßte nicht nur die zahlreichen Ufersiedlungen, sondern auch den Dombering und die Klöster und Stifte so umfassend, daß erst nach einem halben Jahrhundert größere Neubauten möglich wurden.“ [Trier 18]

Dom: „Nach Instandsetzung des Quadratbaus um 920 wurde unter Erzbischof Egbert (977-93) ein dreischiffiges Langhaus begonnen […] Die um 1030 begonnene Wiederherstellung des Quadratbaus […] Nach dem Abbruch des karolinigischen Langhauses entstand […] eine dreischiffige, fünfachsige Pfeilerhalle […]“ [Trier 96]

Der Text lässt vermuten, dass das unter Erzbischof Egbert begonnene Langhaus als „karolingisch“ eingestuft wird. An anderer Stelle wird im Zusammenhang mit dem Marktkreuz auf die „Mittelachse des ottonischen Doms“ [Trier 244] verwiesen. Somit wäre hier „karolingisch“ als Synonym für „ottonisch“ verwendet?

Hauptmarkt: „Marktkreuz, um 958 von Erzbischof Heinrich I. als Wahrzeichen des neu eingerichteten Marktes […] errichtet. […] ein spätantiker Granitsäulenschaft, der wahrscheinlich aus dem im 4. Jh. vom Odenwald bezogenen Säulenmaterial des damaligen Dombaus gearbeitet wurde. Das karolingische Palmetten-Lotus-Kapitell, dessen runde Deckplatte die verwitterte Inschrift HENRICUS ARCHIEPISCOPUS TREVERENSIS ME EREXIT aufweist (Original im Städtischen Museum) trägt das wahrscheinlich ottonische Tatzenkreuz (ebenfalls Kopie).“ [Trier 244] (s. Abb. 5)

Dies bestätigt meine Vermutung: als „karolingisch“ wird der Baustil bis Ende des 10. Jh. bezeichnet! Auf Seite 288 wird das Palmettenkapitell einer Stütze im Keller (mit spätantiken Mauerresten) des Hauses Karl-Marx-Straße 17 als „romanisch“ eingestuft.

„Hauptmarkt, Marktkreuz“ [Trier 245] mit „ottonischem“ Dom [Trier 244]

Abb. 5: „Hauptmarkt, Marktkreuz“ (Trier 245) mit „ottonischem“ Dom (Trier 244)

Belassen wir die „karolingischen Hausgrundrisse“ in der „fränkischen Siedlung“, könnte die Gründungszeit des Klosters St. Irminen noch in die Übergangszeit vom 6. zum 7.//10. Jh. fallen. Das „völlig zerstörte“ Kloster St. Symphorian verweisen wir mangels Spuren ebenso wie seine Zerstörung 882 durch die Normannen in das Reich der Legende. Das „karolingische Langhaus“ als Teil des „ottonischen Doms“ gehört auch durch den Bezug auf Erzbischof Egbert eindeutig in das letzte Viertel des 10. Jh.!

Das 8. und 9. Jh. bleiben in der Trierer Altstadt auch ohne ,Phantomzeitbrille’ ohne jegliche Spuren, und die Nutzung der Kaiserthermen als Kaiserpfalz müssen wir nicht vermuten, wenn es keinen Kaiser in dieser Zeit gab.

Der direkte Übergang von der Spätantike zur Romanik

„Trier blieb bis weit in das 9. Jh. – und teilweise darüber hinaus – von der Antike geprägt. Weite Teile der rund 6,5 km langen Stadtmauer standen noch aufrecht, ebenso die Stadttore sowie die steinerne Römerbrücke.“ [Trier 21] (vgl. den Plan in Abb. 2)

„Seit der zweiten Hälfte des 10. Jh. faßbar, wird Trier aufgrund seiner antiken Vergangenheit als zweites Rom (»Roma secunda«) apostrophiert.“ [Trier 24]

„Im Zuge der Auseinandersetzungen um den Vorrang unter den gallischen und germanischen Metropolitansitzen werden seit dem 10. Jh. zu Trier weiter zurückreichende kaiserliche und apostolische Traditionen deutlich, welche die Moselstadt als zweites Rom (»Roma secunda«) propagieren.“ [Trier 22]

„Die römische Ummauerung war vielerorts verfallen und von einer im Vergleich zur Spätantike nun erheblich geringeren Bevölkerungszahl nicht mehr zu verteidigen. Schutz bot die wohl auf ein spätantikes »castrum« zurückgehende Befestigung der Domimmunität, die um das Jahr 1000 offenbar noch einmal [?] erneuert wurde.“ [Trier 26] bzw. „Erst über hundert Jahre nach dem Normanneneinfall 882 ließ Erzbischof Ludolf um 1000 die Domstadt [das ist die sog. Domimmunität innerhalb der Stadt] mit einer Steinmauer umgeben.“ [Trier 40] bzw. „ An der Wende zum 11. Jh. soll Erzbischof Ludolf den Dombereich und die Kurien mit einer Ummauerung umgeben haben, doch ist anzunehmen, daß er dabei lediglich eine ältere, wohl noch spätantike Befestigung, die etwa 7,2 ha umfaßte, ausbaute.“ [Trier 22]

Haben etwa die verheerenden psychologischen Wirkungen des Normannensturms die Trierer davon abgehalten, einen größeren Bereich ihrer Stadt durch Mauern vor einem erneuten Überfall zu schützen? Erst ab der ersten Hälfte des 12. Jh. bis in die zweite Hälfte des 13. Jh. wurden zunächst die südliche und dann die östliche Befestigungsmauer aus antikem Altmaterial errichtet, wobei auf mehr als die Hälfte des antiken Stadtgebiets verzichtet wurde, sowie die nördliche und westliche antike Stadtmauer mit Ausbesserungen in den Befestigungsring einbezogen.

„Wie archäologische Untersuchungen ergaben, wurden im Verlauf des Hochmittelalters – etwa im Bereich der Wechselstraße, der Dietrichstraße, der Neustraße oder auf dem Domfreihof – Profangebäude unter Einbeziehung antiker Kellermauern, aber auch der aufgehenden Wände errichtet. Konnte hingegen auf keine römischen Mauern zurückgegriffen werden, so versuchte man doch ganz bewußt, die noch überall sichtbare antike Bauweise zu kopieren. Besonders gut ersichtlich ist eine derartige Imitation von Antike bei jenen hochmittelalterlichen Turmhäusern, die als fortifikatorische Zentren größerer Hofanlagen fungierten. […] Diese steinernen Wohn- und Wehrbauten sind fast ausschließlich aus römischem Abbruchmaterial errichtet worden.“ [Trier 24/25]

Domfreihof 4, Domprobstei: „Das Haupthaus, ein gewinkelter Walmdachbau gegenüber dem Torhaus, übernimmt in seinem nördlichen Bereich Teile eines heute als zweigeschossiger Keller genutzten romanischen Rechteckhauses. Überblickshaft sei auf die Raumdisposition einer Zwischenwand aus römischem Altmaterial im untersten Geschoß und eines darüberliegenden, etwa gleichgroßen Raums verwiesen, die alle offenbar erst im Barock tonnengewölbt wurden.“ [Trier 216]

Karl-Marx-Straße 17: „In dem unregelmäßigen, mit einem Tonnen- und einem Kreuzgratgewölbe überdeckten Einstützenkeller weist die straßenseitige Längswand noch Teile spätantiken Ziegelmauerwerks auf. An der Stütze als Spolie ein romanisches, zweizeilig verziertes Palmettenkapitell.“ [Trier 288]

„Im 10. Jh. war die christliche Pfarrorganisation offenbar schon längst im Aufbau begriffen, ein Vorgang, der vermutlich im frühen 12. Jh. abgeschlossen war. Manche Pfarrkirchen gingen aus fränkischen Kirchengründungen hervor, die 902 durch Schenkung Ludwigs des Kinds an den Erzbischof übergingen, so die erstmals im frühen 8. Jh. erwähnte Laurentiuskirche.“ [Trier 40] „Ebenfalls aus einer fränkischen Gründung […] ging die erstmals 1101 erwähnte Pfarrkirche Alt-St. Gervasius (St. Protasius) hervor, deren Patronat in das frühe Mittelalter verweist.“ [ebd.]

Die auf derselben Seite nach der Mutmaßung: „Die erstmals 1173 urkundlich erwähnte Marienkirche wird spätestens um 1100 bestanden haben“, folgende Feststellung, „daß die frühmittelalterlichen Randsiedlungen damals noch zum Stadtgebiet zählten“ [Hervorhebung Lewin], erhellt uns, dass wir die als „frühmittelalterlich“ eingestuften Baureste als „spätestens um 1100“ entstanden verstehen dürfen. Die 8 als „frühmittelalterlich“ eingestuften Baureste gehören also in das 10. Jahrhundert, wenn nicht sogar teilweise ins beginnende 11. Jahrrhundert.

„Trier blieb bis weit in das Hochmittelalter hinein auch eine antike Ruinenstadt. Um das Jahr 1100 standen außer den heute noch oberirdisch sichtbaren römischen Zeugnissen […] Mauerzüge des römischen Forums und der Forumsthermen (Viehmarktthermen) sowie der spätantiken Horrea, ferner die Reste von Tempelgebäuden und ehem. Wohnbauten, Läden oder Gewerbebetrieben. Außer den Aquäduktpfeilern der Ruwerwasserleitung waren schließlich neben der Porta Nigra auch die übrigen antiken Stadttore sowie in Teilabschnitten die ursprünglich 6,5 km lange Stadtmauer des 2. Jh. erhalten geblieben.“ [Trier 24]

Von karolingischen Gemäuern dagegen keine Spur mehr (vgl. Abb. 2).

Schlussfolgerung und Ausblick

In der seit der frühen römischen Kaiserzeit existierenden Stadt Trier gibt es nur spärliche Hinweise auf Bauwerke, die in die von Illig als „Phantomzeit“ bezeichneten Jahrhunderte datiert werden. Die entsprechenden Baureste wurden zum großen Teil entweder nicht gefunden („völlig zerstört“) oder wurden von den Archäologen in spätere Zeiten verbracht. Andere sind nur „vermutlich“ in diese Zeit zu datieren bzw. „dürften“ in diese Zeit gehören. Die verbleibenden Reste reichen kaum aus, die Zeiten von etwa 570 bis 614 und von 911 bis etwa 1040 zu füllen.

Damit ist die Baugeschichte Triers ein weiteres evidentes Indiz zur Bestätigung der Phantomzeitthese.

In einem Folgebeitrag werde ich mich mit den Grabfeldern und Friedhöfen in und um Trier beschäftigen und aus deren Untersuchung die Frage beant­worten, ob während der Phantomzeit in den dortigen Ruinen Menschen lebten.

Literatur

Illig, Heribert (1996): „Das erfundene Mittelalter“; Düsseldorf

Kuhnen, Hans-Peter (2001, Hrsg.): „Das römische Trier“, Führer zu den archäologischen Denkmälern in Deutschland, Band 40; Stuttgart

Lewin, Karl-Heinz (2005): Dom und Liebfrauen zu Trier. 1.690 Jahre Architekturgeschichte? (Trier I); in ZS 17 (3) 670-680

Trier (2001): „Stadt Trier. Altstadt“, Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Band 17.1, hrsg. im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur vom Landesamt für Denkmalpflege, bearbeitet von Patrick Ostermann; Worms