Über unauffindbare Vulkane und 300-jährige Männer

Die Diskussion über Illigs Phantomzeitthese im Forum für Grenzwissenschaften umfasst inzwischen mehr als 7000 Beiträge, und ein Ende ist nicht abzusehen. Gelegentlich werden dort schöne Entdeckungen gemacht. Auf einige Funde haben wir in der Vergangenheit hingewiesen, siehe insbesondere die Beiträge “… ganz so, als hätte er nie existiert!” sowie Grenzwissenschaftlich (update) mit der Entdeckung des “perfidulo”, dass Karls weißer Elephant ursprünglich ein Jagdhorn war.

Zwei aktuelle Beispiele finden sich hier: Einmal ein Hinweis von “Herz_aus_Stahl” auf eine rätselhafte weltweite Katastrophe um das Jahr 1260 AD. Diese verhinderte sogar das Wachstum der Bäume, weshalb sich keine Baumringe bilden konnten. Das hat natürlich Folgen für die Überprüfung von Zeitrechnungen mit Hilfe der Dendrochronologie. [zur Kritik der Dendrochronologie siehe etwa zuletzt Otte (2010)] Zu beachten ist allerdings die anschließende Diskussion mit unter anderem dem Einwand von “Groschenjunge”.

Forscher gehen im übrigen von mehreren starken Vulkanausbrüchen als Verursacher aus, finden aber keine Vulkane, die entsprechende Ausbruchsspuren aufweisen. Das lässt an eine kosmische Katastrophe denken, obwohl davon im Spiegel-Artikel, auf den “Herz_aus_Stahl” verweist, keine Rede ist. Im Forum ist es “Exiguus” (= Volker Dübbers), der an diese Möglichkeit erinnert und damit das Tor zu Christoph-Marx’schen Szenarien aufstößt.

Über eine weitere aktuelle Entdeckung berichtet “Chronometer” (= Hans-Erdmann Korth) in diesem Post. Korth hat in einer alten Chronik folgende Mitteilung gefunden: “A. 1138. soll Johannes Stampo, welcher 391. Jahre alt worden, gestorben seyn; Er ist ein Edelmann bey Kayser Carl den Grossen gewesen, und soll nach dessen Tode noch 315. Jahre gelebet haben, wie solches D. Fabricius meldet.” [siehe die eingescannte Buchseite hier]

Der Bericht stammt aus der Neuen Ostfriesischen Chronica der besondersten und wahrhafftigsten Geschichten, welche, von Christi Geburt bis zu dem Jahre 1745. in Ostfriesland und einigen angräntzenden Ländern sich zugetragen haben : Nebst einigen Haupt-Merckwürdigkeiten von andern Ländern von Johann Friderich Ravinga.  Das Werk von 1745 muss eine Fortschreibung der ursprünglichen Chronik des Johann Ravinga sein, die 1661 im Druck erschienen war. [vgl. Jöcher (1751), Sp. 1929]

Die merkwürdige Geschichte über den 390-jährigen Johannes Stampo gehört in eine Reihe mit der Legende der Heiligen Siebenschläfer (die laut Koran dreihundert Jahre schliefen) und dem bekannten Gedicht über den Mönch von Heisterbach, der dreihundert Jahre verschwunden war. [siehe dazu auch Topper (1994) und Illig (2000)] Ebenfalls hierher gehört jener Ritter Richard, der schon zu Caroli Magni Zeiten Schildknappe des Herzogs von Dakien war, aber noch im hohen Alter auf dem Reichstag zu Ravenna (1231 AD) mit Kaiser Friedrich II. zusammen trifft. [Tüllmann (2007)] Diese Erzählungen sind natürlich keine Belege für Illigs These, wohl aber erhalten sie durch die Phantomzeitthese eine überraschende und unverhoffte Erklärung.

Ergänzung am 22.03.12: Der D. Fabricius, den Ravinga als Quelle der Stampo-Geschichte angibt, ist zweifellos der ostfriesische Pfarrer und Astronom David Fabricius (1564-1617). Fabricius entdeckte unter anderem die Veränderlichkeit des Sternes Mira und berechnete aus der Beobachtung von Sonnenflecken die Rotationsdauer der Sonne. Er war sehr vielseitig und betätigte sich auch als Geograph und Historiker. So erstellte er etwa die erste gedruckte Ostfrieslandkarte. Wie Menso Folkerts im Biographischen Lexikon für Ostfriesland berichtet, schrieb Fabricius eine ostfriesische Chronik, die 1606 in Hamburg erschien und 1640 eine Neuauflage erlebte. Das Werk trug den Titel Ostfriesisch Chronicon, gedruckt tho Hamburg dorch Philipp van Ohr 1606; Kleine Chronica, von etlycken besonderen Geschiedenissen, de sick in Ostfriesland vnd den benarborden Orden tho gedragen. Es enthielt wohl auch die Erzählung über Johannes Stampo. Leider sind sämtliche Exemplare des Werkes verschollen.

Zweite Ergänzung am 24.03.12: Immer mal wieder flackert die Diskussion über die Illig-These auch im Forum von Archäologie online auf. 2003 durch “Fabcaesar” (= Fabian Fritzsche) begonnen, wurde sie nach längerer Unterbrechung 2007 fortgesetzt – damals maßgeblich durch Hans-Erdmann Korth (“Terrarius”) vorangetrieben. Nach mehr als viereinhalbjähriger Pause griff sie kürzlich ein Autor mit dem Pseudonym “Granit” erneut auf. Plötzlich wurde die Debatte mit größter Intensität geführt, innerhalb von zwei Wochen erschienen ca. 150 Beiträge, um dann ebenso unerwartet wieder abzuflauen. “Granit” hebt vor allem auf das ubiquitäre mittelalterliche Fälschen ab, für das er mehrere Beispiele und Links anführt.

Literatur

Archäologie online (2012): Das erfundene Mittelalter, in: Forum. Archäologie in der Diskussion

Beaufort, Jan (2010a): “… ganz so, als hätte er nie existiert!” Über weiße Hörner, Elefanten und einen verräterischen Satz des Karlsbiographen Einhard, in: Fantomzeit. Dunkelheit oder Leere im frühen Mittelalter?

Beaufort, Jan (2010b): Grenzwissenschaftlich (update). Eine Diskussion, die nicht mehr abreisst, in: Fantomzeit. Dunkelheit oder Leere im frühen Mittelalter?

Bojanowski, Axel (2012) : Der unfassbare Vulkan. Mysteriöse Katastrophe vor 750 Jahren, in: Spiegel online

Dübbers, Volker (2012): Beitrag 7052 der Diskussion Ich bin im Jahr 1693 geboren! in: Das andere Forum für Grenzwissenschaften

Folkerts, Menso (1997): David Fabricius, in: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, Band II. Aurich

“Groschenjunge” (2012): Beitrag 7049 der Diskussion Ich bin im Jahr 1693 geboren! in: Das andere Forum für Grenzwissenschaften

“Herz_aus_Stahl” (2012): Beitrag 7043 der Diskussion Ich bin im Jahr 1693 geboren! in: Das andere Forum für Grenzwissenschaften

Illig, Heribert (2000): Brennpunkt Phantomzeit. Ein Situationsbericht, in: Zeitensprünge 1/00, 126-149

Jöcher, Christian Gottlieb u. a.  (Hg.) (1751): Allgemeines Gelehrten-Lexicon: Darinne die Gelehrten aller Stande sowohl mann- als weiblichen Geschlechts, welche vom Anfange der Welt bis auf ietzige Zeit gelebt, und sich der gelehrten Welt bekannt gemacht, Nach ihrer Geburt, Leben, merckwurdigen Geschichten, Absterben und Schrifften aus den glaubwurdigsten Scribenten in alphabetischer Ordnung beschrieben werden. Dritter Theil. Leipzig

Korth, Hans-Erdmann (2012): Beitrag 7059 der Diskussion Ich bin im Jahr 1693 geboren! in: Das andere Forum für Grenzwissenschaften

Otte, Andreas (2010): Kritische Dendrochronologie IV, in: Fantomzeit. Dunkelheit oder Leere im frühen Mittelalter?

Ravinga, Johann Friderich (1745): Neue Ostfriesische Chronica der besondersten und wahrhafftigsten Geschichten, welche, von Christi Geburt bis zu dem Jahre 1745. in Ostfriesland und einigen angräntzenden Ländern sich zugetragen haben : Nebst einigen Haupt-Merckwürdigkeiten von andern Ländern. Aurich

Topper, Uwe (1994): Die Siebenschläfer von Ephesos. Eine Legende und ihre Auswirkungen, in: Zeitensprünge 1/94, 40-55

Tüllmann, Wilfried (2007): Über einen Ritter namens Richard, der Karl den Großen und Friedrich II. noch persönlich gekannt hat, in: Zeitensprünge 1/07, 130-133

Wikipedia (2012a): David Fabricius, abgerufen am 21. März

Wikipedia (2012b): Kloster Heisterbach, abgerufen am 17. März

Wikipedia (2012c): Sieben Schläfer von Ephesus, abgerufen am 17. März