von Klaus Weissgerber (aus Zeitensprünge 3/99 und 4/99)

1. Vorbemerkung

Seit 1991 vertreten Illig und zunehmend mehr Autoren die These, daß die Berichte über Ereignisse, die im 7., 8. und 9. Jh. stattgefunden haben sollen, spätere Fälschungen sind und daß der Zeitraum, der konventionell auf etwa 614 bis 911 datiert wird, in Wirklichkeit eine “Phantomzeit” gewesen ist. Diese These wurde zunächst darauf gestützt, daß bei der Gregorianischen Kalenderreform 1582 nur 10 Leertage angesetzt wurden (13 Tage waren zu erwarten). In der Folgezeit wurde sie vor allem durch Illig in architektonischen Analysen und in grundsätzlichen Publikationen [“Das erfundene Mittelalter”; “Wer hat an der Uhr gedreht?”] weiter ausgebaut. Natürlich handelt es sich um ein weltweites Problem. Auch andere Autoren des Bulletins Zeitensprünge, wie Heinsohn, A. Müller, Rade und Zeller haben in Analysen zur Geschichte die ‘Randgebiete’ Europas und verschiedener Regionen Asiens recht überzeugende Lösungsvorschläge unterbreitet. (Nicht akzeptieren kann ich allerdings Toppers China-Thesen; die Fomenko-Konzeption lehne ich grundsätzlich als unwissenschaftlich ab.)

Nach langen kritischen Studien habe auch ich meine anfänglichen Zweifel überwunden und die grundsätzliche Richtigkeit von Illigs Konzeption erkannt. Am Beispiel meines Heimatlandes Thüringen möchte ich aufzeigen, daß auch hier im frühen Mittelalter drei Jahrhunderte nicht überzeugend mit archäologischen und schriftlichen Quellen abgesichert werden können. Ich möchte aber nicht einfach diese Zeit gänzlich als ‘un-historisch’ streichen, weil die Problematik m.E. komplizierter ist. Deshalb werde ich den mühsameren Weg beschreiten, die (wenigen) sich auf Alt-Thüringen beziehenden Schriftquellen (ich stütze mich, soweit möglich, nur auf Primärquellen) zu analysieren und vor allem in Beziehung zu dem archäologischen Befund zu setzen. Kaum prüfen kann ich den architektonischen Befund, weil in der gesamten nichtrömischen Germania vor dem 10. Jh. keine datierbaren Bauwerke auszumachen sind [vgl. Illig 1996b, 136ff].

Ganz verzichten möchte ich auf namenskundliche (Orts- und Flurnamen) und linguistische Untersuchungen, da diese bei der Lösung konkreter Chronologieprobleme nur in Ausnahmefällen hilfreich sind.

2. Das Thüringer Königreich

Der von Illig auf 614 bis 911 datierten Phantomzeit ging in Mitteldeutschland (zum Thüringer Kernland gehörte auch das südliche Sachsen-Anhalt) mehrere Jahrzehnte vorher das Thüringer Königreich voraus. Die Thüringer (Thuringii, Thoringii, beide Bezeichnungen auch ohne h) entwickelten sich aus den Hermunduren, die zwischen Elbe und Donau siedelten. Letztere sind archäologisch gut belegt [vgl. Behm-Blancke 1973a, 31ff] und, z.B. von Tacitus [Germania, Kap. 41; Annalen, Buch 13, Kap. 57] schriftlich bezeugt. Sie hatten schon Stammeskönige (z.B. Vitilius).

Aus der Verschmelzung der Hermunduren mit den im 3. Jh. aus dem Norden eindringenden Angeln und Warnen entstand der Stammesverband der Thüringer, deren Name erstmalig um 400 von Publius Vegetius Renatus genannt wurde und die 451 an der Seite Attilas an der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern teilnahmen (so Apollinaris Sidonius). 480 eroberten sie Batavis/Passau [Eugippus 27.3]. In der zweiten Hälfte des 5. Jhs. bildeten sie ein Reich, das von der Elbe bis zur Donau reichte und das als erster Staat auf dem Territorium des heutigen Deutschland betrachtet werden muß (Die Franken schufen etwa gleichzeitig ihren Staat auf dem Boden des heutigen Belgien und Nordfrankreich. Die Bayern drangen erst später, angeblich um 555, ins Gebiet des heutigen Freistaats ein).

In den Schriftquellen wurde als König der Thüringer namentlich zuerst Bisin(us) genannt, dem seine Söhne Baderich, Herminafrid (später Oberkönig) und Berthachar folgten. Nach dem Tode des Ostgotenkönigs Theoderich überfielen 531 die Franken Thüringen und zerstörten das Reich. Herminafrid wurde 534 heimtückig ermordet.

Das Thüringer Reich ist durch mehrere zeitgenössische Schriftquellen gut bezeugt. Es gibt zumindest zwei Überlieferungsstränge, die voneinander unabhängig sind: ein thüringisch-fränkischer und ein thüringisch-ostgotisch-oströmischer.

Der erste beruht auf der heiligen Radegunde, der Enkelin des Königs Bisin und Tochter des Teilkönigs Berthachar. Diese wurde nach dem Untergang des Thüringerreiches nach Gallien verschleppt, Ehefrau des Chlotar I. und schließlich, nachdem sie von diesem freigegeben wurde, Nonne in Poitiers. Sie beschrieb den Untergang in einem Klagelied “De excidio Thuringiae” [deutsch: Andert 213ff], das als Augenzeugenbericht gelten muß. In Verse gebracht wurde es von ihrem Vertrauten Venantius Fortunatus, der auch eine Lebensbeschreibung der Radegunde (“De vita sanctae Radegundis“) veröffentlichte, in deren Einleitung [deutsch: Andert 112f] kurz die Geschichte und der Untergang des Thüringerreiches geschildert wurde. Der Großvater der Radegunde heißt hier Bessinus.

Venantius Fortunatus war eng befreundet mit dem 10 Jahre jüngeren Bischof von Tours, Gregor (ca. 540-594), der bis 591 an den “Zehn Büchern fränkischer Geschichte“, der einzigen relativ zuverlässigen Primärquelle der Geschichte des frühen Frankenreiches, arbeitete. In diesem Werk wurde ausführlich, wenn auch mit stark fränkischer Tendenz, die Geschichte und der Untergang des Thüringerreiches geschildert [II.12; III. 4, 7, 8]. Gregor stützte sich zweifellos auf die Erinnerungen der Radegunde, aber auch auf andere fränkische Berichte. So schrieb er, daß Basina, die Mutter des eigentlichen Begründers des Frankenreiches, Chlodwig. die Ex-Frau des Thüringerkönigs Bisin(us) gewesen sei. Gregor von Tours hatte keinen Zugang zu ostgotischen Quellen, was sich deutlich an seiner Schilderung der ostgotischen Geschichte nach Theoderichs Tod [III.31.32] zeigt. Diese Schilderung besteht nur aus Fabeln und endet mit großen Siegen der Franken gegen die oströmischen Feldherren Belisar und Narses!

Die ostgotischen Überlieferungen beginnen ebenfalls mit zeitgenössischen Originaltexten. Erhalten geblieben sind zwei Briefe des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen an Herminafred [lat.: Dobenecker I,1,2; deutsch: Andert 194ff, 217f]. Danach heiratete um 510 Herminafrid die Nichte Theoderichs, Amalaberga, die auch Gregor von Tours [III.4] erwähnt hatte. Diese kehrte nach dem Untergang des Thüringerreiches mit ihrem Sohn Amalfrid nach Italien zurück. Ihrer Augenzeugenschaft ist es wohl zu verdanken, daß in der Gotengeschichte des Jordanis (“Getica“), einem Auszug aus Cassiodor, recht objektiv, d.h. ohne fränkische Tendenz, über den Untergang des Thüringerreiches berichtet wurde [Jordanis LIX, 299]. Amalaberga war demnach die Tochter des Vandalenkönigs Thrasamund und der Schwester Theoderichs, Amalafrida, und die Schwester des späteren Ostgotenkönigs Theodahat. Radegunde erinnerte sich in ihrem bereits erwähnten Klagelied mit Schmerz an ihren Jugendfreund und Cousin Amalafrid, der später oströmischer Heerführer wurde [Prokop IV, 25]. Im Auftrag der Radegunde schrieb Venantius Fortunatus einen poetischen Brief an Amalafrid in Konstantinopel [Text: Bühler 350]. Prokop von Caesarea erwähnte in seinem “Gotenkrieg” ebenfalls die Beziehungen zwischen Ostgoten und Thüringern [I,12] und berichtete, offensichtlich auf ostgotische Quellen gestützt, objektiv über den Untergang des Thüringerreiches [I,13].

Es liegen somit gleichzeitige Quellen vor, die voneinander unabhängig sind, sich aber gegenseitig ergänzen, was ihrem gemeinsamen thüringischen Ursprung zu verdanken ist. Es liegt eine vertrauenswürdige schriftliche Überlieferung über die Geschehnisse in Thüringen bis 531 vor.

Es gibt aber auch andere Überlieferungsstränge, die aus späteren, also nicht zeitgenössischen Quellen stammen.

Paulus Diaconus (angeb. ca. 720 – ca. 800) berichtete in der ihm zugeschriebenen “Historia Langobardorum” über die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Thüringerkönigen und den frühen Langobardenkönigen, die sich damals noch auf der Wanderschaft befanden bzw. sich seit 526 in Pannonien aufhielten. Danach war die Langobardin Mania die Ehefrau des Thüringerkönigs Bisin. Nach dessen Tod kehrte sie zu ihrem Stamm zurück und wurde Mutter des späteren Langobardenkönigs Audoin (um 545). Radikunde als Tochter des Bisin wurde mit dem Langobardenkönig Wacho (508-540) vermählt. (Diese Passage ist in der Ausgabe von 1992 nicht enthalten.) Illig [1993a, 41] hält das Geschichtswerk des Paulus Diaconus für eine Fälschung des 10. Jhs.; m.E. sollte sie als eine im 10. oder 11. Jh. entstandene Kompilation aus (glaubhaften) Volksüberlieferungen und echten Texten (z.B. Auszügen aus dem Werk des Gregor von Tours) sowie aus später gefälschten oder unrichtig datierten Texten (z.B. Fredegar und Buch der Päpste) betrachtet werden.

Einen vierten Überlieferungsstrang bot Widukind von Corvey (um 925 – nach 973) in seiner Sachsengeschichte (“Widukindi Rerum Gestarum Saxonicarum libri tres“), in der er ausführlich, aber seltsam verzerrt über den Untergang des Thüringerreiches berichtete. Gattin des Thüringerkönigs “Irminfrid” war auch bei ihm Amalaberga, die er als die einzige legitime Tochter des Frankenkönigs Huga bezeichnete. Letzterem folgte als Herrscher im Frankenreich dessen unehelicher Sohn Thiadrek (Theuderich).

Zum Krieg sei es wegen der Erbansprüche der Amalaberga gekommen. Die Thüringer wurden aber nicht von den Franken, sondern von den Sachsen besiegt, die blutige Entscheidungsschlacht habe an der Burg Skitingi an der Unstrut (allgemein mit der Burg Scheidungen identifiziert) stattgefunden. Topographische und archäologische Untersuchungen haben gezeigt, daß an dieser Stelle eine solche Schlacht mit Sicherheit auszuschließen ist [Andert 171ff]. Widukind berichtete weiter, daß der Frankenkönig Thiadrek nach der Schlacht den Irminfrid durch Iring, einem Gefolgsmann Irminfreds, der durch Thiadrek getäuscht worden war, ermorden ließ. Als Iring sich der Täuschung bewußt wurde, habe er noch an Ort und Stelle seinen Herrn durch Ermordung des Thiadrek gerächt. Hier kann es sich nur um eine Sage handeln. (Im Nibelungenlied – Strophen 2027 bis 2032 – treten bekanntlich Irnfrit von Thüringen und Iring von Dänemark als treue Bundesgenossen der Hunnen auf.)

Keine der zeitgenössischen Quellen weiß etwas von einer Beteiligung der Sachsen am Eroberungskrieg. Tatsache ist aber, daß das nördliche Sachsen-Anhalt danach von (Nieder-)Sachsen besiedelt wurde. Entsprechend seiner politischen Grundtendenz betonte Widukind die seitdem bestehenden engen freundlichen Beziehungen zwischen Sachsen und Franken, obwohl nach den fränkischen Quellen, auf die ich noch eingehen werde, Sachsen und Thüringer gemeinsam gegen die Franken 555/556 gekämpft hatten (Allerdings sprach Widukind [I.14] ganz nebenbei von einem “Treubruch der Franken”, ohne konkret zu werden).

Wichtig ist, daß das Thüringer Königreich auch archäologisch sehr gut bezeugt ist. Ich möchte hier nicht auf Einzelheiten eingehen und verweise auf das reich bebilderte Standardwerk von Behm-Blancke [1973a]. In den Grabfeldern in und um Mühlhausen, Erfurt (Gispersleben), Arnstadt (Dienstedt), Weimar, Oßmannstedt, Merseburg und Stößen/Elbe, um die wichtigsten zu nennen, wurden wertvolle Schmuck- und andere Kunstgegenstände gefunden, die zeigen, in welcher kultureller Blüte sich das Thüringerreich befand. Auch die Kontakte zu den Ostgoten sind gut belegt. In Weimar und Erfurt-Gispersleben wurden viele ostgotische Gewandspangen und anderer Edelmetallschmuck mit ostgotischen Stileinflüssen geborgen.

Daß die Funde in die Zeit des Thüringerreiches gehören, beweisen auch gefundene Zikaden-Fibeln, die denen gleichen, die im Grab des Frankenkönigs Childerich gefunden wurden [Behm-Blancke 45]. Die gefundenen Münzen stammen meist aus der späten Römerzeit, eine bei Eckolstädt gefundene Goldmünze (Solidus), die als Anhänger getragen wurde, ist vom oströmischen Herrscher Leo I. (457-474) geprägt worden [ebd, 163]. Ein Silberlöffel, der in einem Frauengrab in Weimar gefunden wurde, trägt die Aufschrift “Basinae”, was auf die Ehefrau des Bisin und Mutter des Chlodwig hindeutet [ebd, 166f].

Hinzu kommen archäologische Funde (Fundamente größerer Gebäude) in der uralten Siedlung Weimar, wo auch die wertvollsten Schmuckgegenstände entdeckt wurden, so daß von vielen Archäologen vermutet wird, daß sich hier der Hauptsitz der Thüringer Könige befand. Andert [80ff, 189ff] sucht diesen im Unstruttal (Herbsleben hieß zunächst Herifridesleiben, was auf ein ursprüngliches Her-mina-frides-leiben hindeutet). Er bemühte sich sehr intensiv, aber leider erfolglos, um eine Ausgrabungserlaubnis [Andert 7ff]. Unter diesen Umständen möchte ich mich hier nicht auf Spekulationen einlassen.

3. Thüringen nach 531: Die Schriftquellen

Ich bin etwas ausführlicher auf das Thüringer Königreich eingegangen, um deutlich zu machen, daß die thüringische Geschichte bis 531 sehr gut schriftlich und archäologisch belegt ist. Um so trostloser ist die Quellenlage für die folgenden Jahrhunderte.

Das beginnt schon mit dem Geschichtswerk des Gregor von Tours, das die Zeit bis 591 behandelt. Gregor gab zwar ein anschauliches Bild von den selbstzerstörerischen Bruderkriegen der Merowinger, wußte aber über die gleichzeitige Geschichte der Thüringer ab 531 so gut wie nichts zu berichten. Eigentlich erwähnte er nur einen Aufstand, der 555 stattgefunden haben soll:

“In diesem Jahre wurden die Sachsen aufständig, und der König Chlothar führte sein Heer gegen sie und verheerte den größten Teil ihres Landes, indem er auch ganz Thüringen durchzog und verwüstete, deshalb, weil sie den Sachsen Beistand gewährt hatten.” [Gregor IV.10]

In der mir vorliegenden Gregor-Ausgabe kommentierte der Herausgeber Giesebrecht [Bd. I, 159, Anm.] diese Stelle wie folgt:

“Marius von Avenches, der eine Chronik, die mit dem Jahr 581 schließt, schrieb, Gregors Zeitgenosse, giebt [sic !] zwei Züge Chlothars gegen die Sachsen an, den ersten i.J. 555, den zweiten 556. Die Verheerung Thüringens setzte er mit dem zweiten Zug in Verbindung,”

Gregor [IV.18] schilderte den zweiten Sachsenfeldzug als sehr blutig, aber keineswegs erfolgreich für die Franken:

“Doch als es zur Schlacht kam, wurden sie [die Franken; K.W.] von den Feinden unter gewaltigem Blutvergießen auf das Haupt geschlagen, und eine so große Menge fiel auf beiden Seiten, daß niemand sie schätzen oder berechnen kann. Darauf bat der König sehr beschämt die Sachsen um Frieden, nicht aus seinem Willen, sagte er, sei er gegen sie in den Krieg gezogen. Und als er den Frieden erhalten hatte, zog er heim.”

Es ist anzunehmen, daß es sich bei diesem Ereignis um den von Widukind [I.14] dezent angedeuteten “Treubruch der Franken” handelt. Meines Wissens ist dieser von Gregor geschilderte Sachsenkrieg in der kritischen Literatur noch nicht erörtert worden. Ich bin davon überzeugt, daß es sich hier um nichts anderes handelt als den, noch den Tatsachen entsprechenden, Urbericht, aus dem die Sachsenkriege Karls des Großen geformt worden sind.

Da diese Ereignisse, wenn man von 297 Phantomjahren ausgeht, sowohl in den Jahren 555/556 wie auch in den Jahren 852/853 stattfanden, können die Erinnerungen an die blutigen Ereignisse im Volk noch lebendig gewesen sein, daß sie den Schöpfern der Karls-Viten als Bausteine gedient haben. Auch Wittekind könnte der damalige Sachsenführer gewesen sein; immerhin wird er schon im Geschichtswerk des Widukind von Corvey [I. 31], das vor den großen Fälschungen unter Otto III. entstanden ist, erwähnt.

Der zitierte Bericht des Gregor über die Jahre 555/556 macht deutlich, daß auch danach Sachsen ein selbständiges Stammesherzogtum blieb, und bestätigt die spätere Darstellung des Widukind von Corvey, daß das frühe deutsche Reich auf dem Weg der Vereinigung selbständiger Stammesherzogtümer (Sachsen, Franken, Thüringer, Bayern und Alemannen) entstanden ist. Zu ergänzen ist, daß Sachsen auch nach 555/556 Raubzüge nach Italien und Gallien unternommen haben [Gregor IV.42].

Während die Geschichte des Frankenreiches bis 591 dank Gregor von Tours noch einigermaßen glaubhaft überliefert ist, kann man dies für das 7. Jh. beim besten Willen nicht behaupten.

Als wesentliche Schriftquelle gilt eine Chronik, die seit dem 16. Jh. [Wattenbach-Levison I,109] einem “Scolasticus Fredegar“, dessen Name vorher nicht bekannt war, zugeschrieben wird. Es ist ein sehr dubioses Geschichtswerk (“Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scolastici“), das auch von konventionellen Historikern durchweg abwertend eingeschätzt wird.

Der Inhalt ist verworren, nicht einmal die historische Reihenfolge des Geschehens ist eindeutig auszumachen (datiert wird nach den Regierungsjahren der fränkisch-burgundischen Könige), wozu noch viele innere Widersprüche kommen. Am Haupttext sollen nach textkritischen Analysen nacheinander vier Chronisten “gearbeitet” haben. Der erste Verfasser schrieb nach dieser Analyse lediglich ein “Handbuch der Weltgeschichte“, das zeitlich etwa 613 endete. Der zweite fügte einen Auszug aus den ersten sechs Büchern des Gregor von Tours bei und setzte das “Werk” bis 642 fort, wobei er auch den Urtext durch allerlei Fabelgeschichten ergänzte. Der dritte fügte weitere Ergänzungen an, ohne über das Jahr 642 hinauszugehen. Der vierte tat das gleiche [Wattenbach-Levison 110f]. Die ersten drei Bücher behandelten den Zeitraum bis zum Ende des 6. Jhs., lediglich im 4. Buch wurde die erste Hälfte des 7. Jhs. behandelt.

Das Werk wurde später durch andere Autoren “fortgesetzt”, d.h. um die Karolingerlegende ergänzt und noch mehrfach “bearbeitet”, wodurch die “chronologische Verwirrung” [Wattenbach-Levison II.162] noch gesteigert wurde.lllig [1996b, 142] betrachtet offenbar das gesamte “Werk”, Pichard zitierend, als Fälschung:

“Fredegar und seine zwei, drei oder gar vier Fortsetzer sind so dunkel, daß sie auch schon als humanistische Arbeit des 16. Jahrhunderts angesprochen worden sind.”

Ich betrachte die humanistischen Gelehrten als zu intelligent, um ein so primitives, verworrenes Machwerk herzustellen. Das ganze ist m.E., wie das Werk des Paulus Diaconus, eine Kompilation des 11. oder 12. Jhs., wobei echte Überlieferungen “überarbeitet” und durch Wiedergabe erfundener oder halbwahrer Informationen “ergänzt” worden sind. Dabei wurde auch die Methode der ‘Verdopplung’ von Königen, die schon im Alten Orient gebräuchlich war, angewandt. Ich gehe aber davon aus, daß ein echtes Grundwerk vorhanden war und daß die “Fortsetzer” zwar ein erfundenes 7. Jh. boten, aber auch Ereignisse des 6. Jhs. in den neuen Text einbauten. Ich werde in den folgendenm Abschnitten dieses Beitrages versuchen, die sich auf Thüringen beziehenden Passagen des “Fredegar” unter diesem Aspekt zu analysieren,

Es gibt auch ein Parallelwerk zu Fredegar, die “Taten der Frankenkönige” (Liber historiae francorum), das bezeichnenderweise von der Wissenschaft kaum zur Kenntnis genommen wird, weil der Verfasser eine ganz andere Chronologie als “Fredegar” bietet:

“Fredegars Chronik war ihm nicht bekannt, und soweit diese reicht, ist sein Werk nicht zu benutzen. […] Die wenige Zeitangaben bedürfen teilweise der Berichtigung aus den Königslisten, die namentlich in Verbindung mit der Lex Salica überliefert und für die Chronologie der späteren Merowinger wertvoll sind” [Wattenbach-Levison I.115].

Das herrschende Chronologiesystem des 7. bis 9. Jhs. beruht somit auf den in der Nach-Phantomzeit erfundenen Königslisten!

“Fredegar” und seine “Fortsetzer” wurden chronologisch ergänzt durch die fränkischen Reichsannalen, die faktisch eine “Familienchronik des Karolingischen Hauses” [ebd, II.162] darstellen und die getrost als Fälschung des 11. oder 13. Jhs. betrachtet werden können. Im übrigen enthalten diese Annalen auch kaum Hinweise auf Thüringen, sonst wären sie von den Thüringen-Historikern längst ausgewertet worden (Dobenecker brachte keine Auszüge). Das gleiche gilt für die folgenden Annalen des Einhard (“annales Einhardi“). Ab Ende des 7. Jhs. datieren die verschiedenen Klosterannalen [vgl. Wattenbach 1885, 135ff], die für die Anfangsjahre nur bruchstücksweise erhalten sind und kaum politischen Bezug haben (also auch im 6. Jh. entstanden sein können). In der Erstausgabe seines Werkes zeigte Wattenbach [1885, 134] am Beispiel der Annales S. Amandi auf, daß spätere Passagen, die politischen Bezug haben, dem Text erst nachträglich zugefügt worden sind.

“Die am Eingang stehende Nachricht von der Schlacht bei Tertri 687 ist nachträglich zugesetzt, die regelmäßig fortgesetzten Aufzeichungen beginnen erst 708, und auch von da an möchte ich noch nicht behaupten, daß gleich von Anfang an alles gleichzeitig vorgetragen wäre.”

Daß über 60 Prozent der Königsurkunden aus der Merowingerzeit und viele spätere Kaiserurkunden gefälscht sind, wird kaum noch bezweifelt [Spiegel 29/1998]. Soweit es um die Karolinger selbst geht, hat Illig in seinen zahlreichen Untersuchungen deren Fiktivität so überzeugend bewiesen, daß es hier genügt, auf diese zu verweisen.

Analysiert man die ersten Kapitel des Geschichtswerkes des Widukind, das im 10. Jh., also vor Otto III., entstanden ist, zeigt sich deutlich, daß dieser Autor, obwohl zeitlich nahestehend, die Ereignisse, die sich im 7., 8. und frühen 9. Jh. abgespielt haben sollen, gar nicht gekannt hat.

Zunächst berichtete Widukind, nach einer kurzen Einleitung über die Ursprünge der Sachsen (gemeint sind natürlich die heutigen Niedersachsen) sehr ausführlich in 11 Kapiteln [I.4-14] über die Kämpfe zwischen Sachsen und Thüringern, die mit dem Untergang des Thüringer Königreiches endeten. Ist dieser Bericht, wie dargelegt, auch stark verzerrt, so behandelt er jedenfalls ein Ereignis, das tatsächlich stattgefunden hat. Nach dieser ausführlichen Schilderung, die mit dem diskreten Hinweis auf einen “Treubruch der Franken” (555/556?) endete, ging Widukind fast übergangslos ab Kapitel I.16 auf die späten Ostfrankenkönige (Arnulf, Ludwig) und die Sachsenherzöge des späten 9. Jhs. und nachfolgend auf Konrad I. und Heinrich I. ein, als ob es die (konventionell) dazwischenliegenden 350 Jahre nicht gegeben hätte! Lediglich in dem kurzen, nur aus drei Sätzen bestehenden Übergangskapitel I.15 wird der “große Karl” erwähnt, der “teils durch sanfte Überlegung teils durch kriegerischen Angriff” es schaffte, daß die Sachsen, “welche einst Bundesgenossen und Freunde der Franken waren, nun Brüder und gleichsam ein Volk durch den christlichen Glauben” wurden.

Es handelt sich hier offensichtlich um eine spätere Interpolation, Dafür spricht schon, daß dieses Kurzkapitel in keinerlei Zusammenhang zu dem vorhergehenden 14. und dem folgenden 16. Kapitel steht. Das Werk des Widukind ist nur in Handschriften zwischen 1220 und 1250 erhalten geblieben, die nicht identisch sind. Die Urfassung ging verloren, so daß nur Vermutungen über den ursprünglichen Inhalt des Kapitels 15 geäußert werden können. Es könnte Informationen über Chlothars Beziehungen zu den Sachsen enthalten haben, die dann auf den “großen Karl” übertragen worden sind. Das 16. Kapitel beginnt mit einer seltsam klingenden Bemerkung, die sich auf das Jahr 900 bezieht:

“Als der letzte der Karolinger, welche bei den Ostfranken herrschten, wurde Ludwig dem Arnulf, einem Brudersohn Karls, des Urgroßvaters Königs Lothars, der jetzt regiert, geboren”.

Widukind (oder ein späterer “Bearbeiter”) meinte den westfränkischen König Lothar (954-986), der als Urenkel von Karl dem Kahlen (konv. 840-877) gilt. Er identifizierte letzteren offensichtlich mit Karl dem Dicken (konv. 885-888), dem Onkel König Arnulfs (887-899). An anderer Stelle [I,28] nannte er Karl als einen der Söhne Kaiser Ludwigs (bei Widukind: “Hluthovichs, des Sohnes Karls des Großen”), dem nach der Reichsteilung und dem Wegsterben seiner Brüder das ganze Reich zufiel, ehe er vom Arnulf verdrängt wurde, der sich nach dessen Tod “sein ganzes Reich” aneignete. Er identifizierte auch Lothar I. und II. sowie Ludwig den Jüngeren mit Ludwig dem Kind, so daß hier offensichtlich eine frühe und chronologisch noch kurze Fassung der Ostfrankenlegende vorliegt.

Diese wurde wahrscheinlich geschaffen, um darzulegen, daß die ostrheinischen Stämme schon vor ihrer Vereinigung in einem einheitlichen Reich gelebt hatten; das neue Reich wurde so auch historisch legitimiert. In der vorliegenden Fassung der “Sachsengeschichte” wird der “große Karl” noch zweimal kurz erwähnt. In beiden Fällen bin ich überzeugt, daß in der Urfassung ein anderer Name stand:

“Und diese [Mathilda, die zweite Frau Heinrichs I, und deren Ahnen; K.W.] waren aus dem Stamme des großen Herzogs Widukind, welcher einen gewaltigen Krieg gegen den großen Karl fast dreißig Jahre führte” [I.31].

Von einer Niederlage Widukinds (Wittekinds) ist nicht die Rede, so daß ich empfehle, den Namen Karl durch den Namen Chlothar (I.) zu ersetzen. Im Kapitel 19 heißt es, daß “Karl der Große” die Awaren besiegt habe. Auch diese Stelle erinnert an den Sieg des Königs Sigibert I. (angeblich nach 562), auf den ich noch zu sprechen komme. Der Fälscher, der Widukinds Werk “leicht” überarbeitet hat, war offensichtlich noch ungeschickt. Er übersah Stellen, die gar nicht in seine Konzeption paßten. So wurde der Sieg Ottos I. 955 über die Ungarn am Lechfeld wie folgt gewürdigt: “Denn eines solchen Sieges hatte sich keiner der Könige vor ihm in 200 Jahren erfreut” [III.49]. Diese Feststellung besagt eindeutig, daß Widukind tatsächlich von der Existenz Karls des Großen nichts geahnt haben kann, sonst hätte er eine andere Zahl nennen müssen. Die Äußerung bekommt nur einen Sinn, wenn man von der Phantomzeit (297 Jahre) ausgeht. Dann kommt man auf das Jahr 458. Die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, in der Aethius im Bunde mit germanischen Königen die Hunnen unter Attila schlug, fand bekanntlich 451 statt. (Geringfügige Abweichungen von seinen angenommenen Phantomjahren räumt Illig bekanntlich ein; auch hat Widukind offensichtlich eine “runde” Zahl genannt). Widukinds Charakteristik Ottos I. [II.36] ähnelt auffallend der des “großen Karls”, so wie sie (Pseudo-)Einhard gezeichnet hat. Ansonsten hat letzterer fleißig römische Autoren, wie den Sueton, kopiert.

Diese grundlegenden Bemerkungen zu den einschlägigen Schriftquellen waren nötig, damit der Leser die Analysen in den folgenden Abschnitten dieses Beitrages nachvollziehen kann. Davor möchte ich jedoch noch grundsätzlich auf den archäologischen Befund für die Zeit nach 531 in Thüringen eingehen.

4. Thüringen nach 531: Archäologischer Befund

Die 531 eindringenden Franken sollen in Thüringen Befestigungsanlagen errichtet haben. Der Archäologe Berthold Schmidt [1983, 547] schrieb hierzu folgendes:

“Durch archäologische Funde sind die Hasenburg bei Großbodungen, Kreis Worbis, und die Sachsenburg, Kreis Artern als fränkische Befestigungen ausgewiesen.”

Die Hasenburg wurde um 1070 an der alten thüringisch-sächsischen Stammesgrenze von Kaiser Heinrich IV. errichtet. Es wurden auf dem Hasenbergplateau Siedlungsspuren aus urgeschichtlicher und fränkischer Zeit gefunden [Hoppe/John 75].

Es ist anzunehmen, daß wegen der strategischen Lage hier schon eine germanische Befestigungsanlage bestand, die von den Franken übernommen, also nicht errichtet worden ist. Behm-Blancke [73] erwähnte auch ganz allgemein, daß sich hier eine fränkische Militärstation befand, ohne dies konkret zu begründen (Stattdessen verwies er auf einige fränkische Kriegergräber, die an anderen Orten Thüringens ausgegraben wurden). Greifbar ist für mich nur der Schatz, der in einem Kartoffelacker bei Großbodungen gefunden wurde und der aus römischen Münzen, geprägt zwischen 350 und 423, und Resten von zerhackten römischen Silbergefäßen und einer Silberplatte besteht [Andert 34; B. Schmidt, Tafel 59]. Die Sachsenburgen (Hakenburg und Sachsenburg) an der Thüringer Pforte (nördlich der Unstrut) waren ebenfalls Grenzfestungen, die erstmals 1247 urkundlich erwähnt wurden. Das Gelände um die Sachsenburgen wurde von Zschieche untersucht und vermessen, wobei er feststellte, daß das gesamte, 136 Morgen große Gebiet durch Gräben und Wälle eine einzige, in sich geschlossene Anlage bildete. In dem von ihm geöffneten Grabhügel stieß er, wie andere bereits vor ihm, auf Funde (Scherben und Waffenreste) aus allen zeitlichen Epochen, von der Steinzeit bis ins hohe Mittelalter [Andert 120 ff]. Es handelt sich somit um eine uralte Befestigungsanlage, die aber nachweisbar auch von den Franken zeitweilig besetzt worden war:

“Neben zahlreichen fränkischen Waffenresten auf der Burg fand man am Fuße der Sachsenburgen zwei merowingische Goldmünzen. Auf der einen ist ein sonst unbekannter Münzmeister aus Constantio, dem heutigen französischen Coutanes [wohl Coutances; K.W.], vermerkt, die zweite Münze trägt das Portrait des Merowingerkönigs Childebert III., der in den Jahren 695 bis 711 regierte” [Andert 122f].

Natürlich trug die Münze keine Ordnungszahl des Herrschers, so daß genausogut Childebert II. (575-595/596)) oder (für mich wahrscheinlicher, da ich einen Zusammenhang zu dem noch zu erörtenden Feldzug des Sigibert gegen Herzog Radulf sehe) Childebert I. (511-558) in Betracht kommen. Umweit der Sachsenburgen befindet sich die Monraburg, wo ebenfalls fränkische Kriegerspuren gefunden wurden. In einer Kiesgrube bei Steinthalleben, auch in der Umgebung, wurden 1959/1960 Gräber fränkischer Krieger mit voller Waffenausrüstung gefunden [Andert 123]. Solche fränkische Kriegergräber sind auch aus anderen Stätten Thüringens überliefert, so in Mühlhausen [Andert 56], in Niederwillingen bei Arnstadt [Caemmerer 1956, 78, Anm. 503] und in Wandersleben bei Gotha [ebd, 78, Anm. 503a]. Umweit der Altenburg bei Weißensee wurde sogar ein kleiner fränkischer Friedhof mit acht Kriegergräbern ausgegraben [Andert 111ff]. Die fränkischen Kriegergräber ließen sich leicht von thüringischen unterscheiden:

“Der fränkische Krieger trug zwei dem Thüringer Krieger ungewohnte typisch fränkisch-merowingische Waffen: die lange, dem römischen Pilum nachgebildete Hasenlanze (ango) und die Wurfaxt (francisca)” [Caemmerer 1956, 76; vgl. Andert 56].

Diese Gräber und Fundstücke bestätigen, daß Thüringen im 6. Jh. zeitweilig von Franken besetzt war; eine weitere Besetzung noch im 7. und 8. Jh. kann mit ihnen aber nicht bewiesen werden. Verfechter der letztgenannten Behauptung können sich nur auf Vermutungen stützen, die letztlich nur mit falsch datierten Dokumenten gerechtfertigt werden. So stellte B. Schmidt [1983, 547] Vermutungen an, wo sich noch fränkische Befestigungen befunden haben könnten. Er wies auf Schriftquellen, insbesondere auf die Heden-Urkunde von (angeblich) 704 und die Bonifatiusbriefe (alle diese Urkunden werde ich noch analysieren) hin, kam aber zu seinem offensichtlichen Bedauern zu dem Ergebnis, daß diese schriftlichen Hinweise keine archäologische Bestätigung gefunden haben. Auch sonst konnte er nicht auf archäologische Funde hinweisen, die eindeutig dem 7. und 8. Jh. zuzuordnen sind. Wie alle anderen Archäologen betonte er die ausgesprochene Fundarmut, soweit es um diese Jahrhunderte geht, wobei er besonders auf Erfurt, auf das ich noch zu sprechen komme, hinwies [ebd].

Aufschlußreicher sind die mir vorliegenden Berichte über entdeckte Grabfelder, besonders in und um Mühlhausen und Weimar. Wie aus den kostbaren Grabbeilagen hervorgeht, war Mühlhausen ein bedeutender altthüringischer Adelssitz, möglicherweise sogar der Sitz eines Thüringer Teilkönigs. Wegen seiner strategischen Bedeutung (Unstrutfurt) ist dieser bestimmt nach 531 von den Franken besetzt worden. Der heutige Ortsname ist fränkisch. In einer allerdings stark umstrittenen Schenkungsurkunde, angeblich auf 775 datiert (sie wird Karl dem Großen zugeschrieben und gilt als Ersterwähnung der Stadt) heißt es “mulinhuso, ubi franci homines commanent” (Mühlhausen, wo Franken wohnen). Es wurde hier auch das Grab eines fränkischen Kriegers, erkennbar an der Francisca, gefunden. Ihm hatte man den Schädel eingeschlagen [Andert 56].

Umweit von Mühlhausen, insbesondere bei Ammern und bei Görmar wurden mehrere Grabfelder entdeckt. Alle Archäologen ordnen sie der Zeit des Thüringer Königreiches zu. Dafür sprechen der Bestattungsstil (z.B. Reihengräber) und die reichlichen Grabbeigaben [Abbildungen bei Behm-Blancke 1973a passim]. Bei Ammern wurden zwei typisch altthüringische Gräberfelder gefunden, die zusammen über 30 Gräber bargen. Nur einige Meter entfernt entdeckte man ein anderes, wesentlich größeres Gräberfeld, das aus über 150 Gräbern besteht. Es wird als “thüringisch-fränkisch” bezeichnet und, ohne weitere Begründung, dem 7./8. Jh. zugeordnet [Andert 54]. Als einzigen Beleg für den “fränkischen” Charakter des letzten Grabfeldes fand ich in der Literatur die Angabe, daß dort eine “große, mit Glassteinen sowie mit Filigran üppig verzierte fränkische Goldscheibenfibel” gefunden wurde, die ähnlichen Fibeln entsprach, die im Gräberfeld Kaltenwestheim und auf der Bockhornschanze bei Quedlinburg geborgen wurden (Behm-Blancke [1973a, 68; 180, dazu Abb. Nr. 138, 139] betonte allerdings, daß es sich um ein “aus dem Westen importiertes Schmuckstück” handele). Das Grabfeld selbst trug allerdings eindeutig thüringischen Charakter:

“Ein Vergleich dieser drei Gräberfelder ergibt aber über zweihundert Jahre keine wesentliche Änderung der Grabsitten, der Beschaffenheit der Skelette und der Beigaben. […] Auf allen drei Friedhöfen fand man Gräber, die wertvolle Waffen und kostbaren Schmuck enthielten. Das zeigt, daß im Lebensstandard des Thüringer Adels nach der Eroberung durch die Franken sich zunächst [? K.W.] nicht viel geändert haben kann” [Andert 54].

Auch die anderen Grabstätten in und um Mühlhausen bieten kein anderes Bild. Zu erwähnen ist, daß in den Grabfeldern auch Münzen gefunden wurden (Es war Sitte, den Toten Münzen in den Mund zu legen). Es fand sich keine einzige fränkische Münze. Im Mühlhäuser Gräberfeld wurde ein Solidus des Honorius (393-423) und ein Solidus des Anasthasius (491-518) gefunden [Andert 56]. All dies erhärtet meine These, daß es sich nur um Grabfelder des 6. Jhs. handeln kann. Weitere Funde wurden in und um Mühlhausen bis ins 10. Jh. nicht gemacht.

Aufschlußreich sind auch die Ausgrabungen, die in Weimar, von dem dort ansässigen Thüringer Museum für Ur- und Frühgeschichte durchgeführt wurden (schon aus diesem Grund ist anzunehmen, daß sie besonders sorgfältig waren). Wie schon dargelegt, wurden auf dem Nordfriedhof ausgedehnte Gräberfelder des Thüringer Königreiches mit wertvollen typischen Grabbeilagen gefunden. Diese Bestattungen wurden auch nach dem Untergang des Thüringerreiches fortgesetzt und trugen weiterhin eindeutig thüringischen Charakter. Dann kam das Ende:

“Auf dem Gräberfeld Weimar-Nord brach im frühen 7. Jahrhundert die Belegung ab” [Behm-Blancke 1975, 47].

Auch im übrigen Weimar wurden keine Grabstätten mehr gefunden. Weimar ist eine der ältesten Siedlungen Thüringens, die bis zum Anfang des 7. Jhs. archäologisch sehr gut belegt ist. In der Folgezeit müssen aber die Bewohner ihre Stadt verlassen haben, denn sie hinterließen keinerlei späteren Spuren. Nur widerstrebend weisen die Archäologen hierauf hin, wobei sie diese Besiedlungslücke nur mühsam zu kaschieren versuchen:

“Nur einige im Bereich der Jakobsvorstadt gefundenen Scherben aus dem achten bis neunten Jahrhundert deuten an, daß die völkerwanderungszeitliche Siedlung am Brühl und längs der Ilm bis zur frühdeutschen Zeit weiterbestand” [Blehm-Blancke 1975, 47].

Unerwähnt ließ aber Behm-Blancke, warum er diese Scherben gerade ins 8. und 9. Jh. datiert hat! Nach dem Ende der Phantomzeit wachte auch Weimar aus seinem Dornröschenschlaf wieder auf. Nunmehr fanden sich auch wieder archäologische Spuren und Grabstätten, die urkundliche Ersterwähnung erfolgte allerdings erst 975. Anscheinend hatten die Fuldaer und Hersfelder Klosterverwaltungen kein Interesse an Gütern in Weimar.

Auf die Keramikfunde bin ich noch nicht eingegangen; hierzu werde ich mich kurz fassen. Behm-Blancke ging ausführlich auf die zahlreichen Keramikfunde bis zum Ende des Thüringerreiches ein. Schmidt [1983, Tafel 57] beschrieb noch thüringische Keramik des 6. Jhs., die in und um Merseburg, Naumburg und Hohenmölsen (heute südliches Sachsen-Anhalt) ausgegraben wurde.

Dann brachen auch diese Funde ab. Als einziger Beleg für die folgenden Jahrhunderte gelten doppelkonische Schalen und Krüge, die als typisch fränkisch bezeichnet werden und die allerorts in Thüringen gefunden wurden. Allerdings wird auch angegeben, daß es sich um Importe aus dem Westen handeln muß, die von einheimischen Töpfern nachgeahmt wurden [Behm-Blancke 1983, 173]. Es gibt keinen überzeugenden Grund, diese dem 8. oder 9. Jh. zuzuordnen, zumal solche genauen Zuordnungen gar nicht möglich sind. Keramikforscher sind längst zu der Erkenntnis gekommen, daß zwischen (angeblich) Jahrhunderte auseinanderliegenden Stücken nicht unterschieden werden kann. (Zur Fragwürdigkeit der chronologischen Einordnung von Keramikfunden der Frankenzeit vgl. Niemitz [1994, 40ff].)

Um eine gewisse Seitenzahl nicht zu überschreiten, konnte ich mich nur auf Schwerpunkte beschränken, hoffe aber, überzeugend aufgezeigt zu haben, daß archäologisch gesehen auch Thüringen im frühen 7. Jh. in eine Phantomzeit eingetreten ist.

5. Thüringen um 600 (= 900)

Der archäologische Befund läßt nur den Schluß zu, daß Thüringen nur relativ kurz unter unmittelbarer fränkischer Herrschaft stand. Auch die Schriftquellen besagen nichts anderes, so daß manche (wenn ich zwischen den Zeilen lese, fast alle) Historiker nur noch von einer nominellen Oberherrschaft über das sonst selbständige Thüringen sprechen. Tille [3] brachte diese Erkenntnis wie folgt zum Ausdruck:

“Aber im ganzen kann von Bedrückung und starkem fränkischen Einfluß nicht die Rede sein, und ausgesprochen fränkische Funde sind nicht gemacht worden.”

Mitunter wird als Gegenargument der “Schweinezoll” erwähnt, der den Thüringern 531 auferlegt und erst 1002 durch Kaiser Heinrich II. erlassen worden sei. Jonscher [12] schrieb z.B.:

“Zum Zeichen der Unterwerfung war ein jährlicher Tribut an die Franken in Form von Schweinen zu entrichten, was als besonders demütigend galt”.

Es erstaunt schon, daß ein solcher Tribut über fast 500 Jahre ununterbrochen entrichtet worden sein soll. Tatsächlich gibt es vor 1002 auch keinen einzigen Beleg für einen solchen Zins, so daß davon auszugehen ist, daß es sich um eine reine Erfindung handelt. Diese Mär wurde wahrscheinlich aus politischen Gründen in die Welt gesetzt. Ekkehard I., seit 995 Herzog von Thüringen und Markgraf von Meißen [vgl. Thietmar von Merseburg V.7], hatte sich gegen Heinrich II. 1002 vergeblich um die Kaiserkrone bemüht und wurde anschließend ermordet.

Die politische Situation im Frankenreich des späten 6. Jhs. wird sehr eingehend in der vor 613 entstandenen Grundversion des “Fredegar” geschildert. Enge Verwandte und sogar Brüder kämpften in blutigen Kriegen gegeneinander, wie nach 600 Theuderich II. und Theudebert II., beide als Brüder Enkel der Brunechild, sowie Chlothachar/Chlothar II., der Sohn der Fredegunde.

Illig [1992b, 79] sprach zu Recht von einer “Selbstvernichtung der Merowinger”. Zum 16. Regierungsjahr des Burgunderkönigs Theuderich (konvent. 610/611) heißt es bei “Fredegar” :

“Theuderich marschierte nun gegen Theudebert, der auf der Walstatt von Toul besiegt wurde und floh. Hierauf brachte Theudebert aus Sachsen, Thüringern und anderen Stämmen von der anderen Seite des Rheines ein zweites Heer zusammen, erlag aber wiederum” [IV.39].

In der Folgezeit (613 ?) sandte Brunechild

“den Sigibert, Theuderichs ältesten Sohn, nach Thüringen. Sie ließ ihn den Hausmeier Warnacher sowie Alboin und andere Großen dorthin nachkommen. Diese sollten die Stämme jenseits des Rheins zum Widerstand gegen Chlothachar aufreizen.” [IV.41]

Ich möchte es hier dahingestellt sein lassen, ob diese Geschehnisse richtig dargestellt wurden (ein Bearbeiter fügte hier Arnulf und Pippin, die Urahnen der Karolinger ein) und ob die Chronologie stimmt (es wurden im Urtext noch keine absoluten Jahreszahlen genannt). Wichtig ist in unserem Zusammenhang, daß auch nach diesem Text Thüringen um 600 als ein selbständiger, den Sachsen ebenbürtiger Stamm galt. Die Franken konnten in Thüringen keine Krieger aufbieten, sondern waren gezwungen, Söldner anzuwerben. Geht man von dem Phantomzeit-Konzeption aus, bestand die gleiche Situatiom unmittelbar vor dem Beginn und unmittelbar vor dem Ende der Phantomzeit, worauf, im Hinblick auf das gesamte Frankenreich, Illig [1992b] schon mehrfach hingewiesen hat. Dies geht auch deutlich aus den Urkunden der letzten “ostfränkischen” Königen hervor. So heißt es in einer Urkunde, die König Ludwig (das Kind) 903 ausgestellt haben soll, daß eine Einziehung von Grundbesitz “nach dem Urteil der Franken, Alamannen, Baiern, Thüringer und Sachsen” erfolgt  sei [Dobenecker Nr. 307]. Diese Stammesherzogtümer bestanden schon im 6. Jh. und schlossen sich nach 919 zum “Ersten Reich” der Deutschen zusammen.

6. Herzog Radulf von Thüringen

Ich gehe davon aus, daß im “Fredegar”-Text auch historische Ereignisse geschildert werden, die sich tatsächlich schon im 6. Jh. ereignet haben. Um die Phantomzeit mit Ereignissen zu ‘füllen’, erfolgte m.E. auch eine Verdopplung von Herrschern und es wurden Taten der im 6. Jh. tatsächlich wirkenden Frankenherrscher in die folgenden Jahrhunderte versetzt. (Jeder Phantasie sind immerhin Grenzen gesetzt !) Dazu rechne ich alle Texte des “Fredegar”, die sich auf den Slawenkönig Samo und den Thüringerherzog Radolf beziehen. Interessant sind drei Passagen des Buches IV. In der ersten Passage [IV.48] wird berichtet, daß im 40. Regierungsjahr des Frankenkönigs Chlothaher (konvent. Chlothar II., also 623/624) sich die Slawen “gegen die Hunnen (Chuni), die man Awaren (Abari) nennt”, erfolgreich erhoben und in Böhmen “unter dem “fränkischen Kaufmann” Samo ein Königreich errichtet hätten.

Die Sorben in Ostthüringen unter Dervan(us) hätten sich ihnen angeschlossen [IV.68]. Geht man davon aus, daß dies im 40. Regierungsjahr des Chlothar I. (511-561), also nicht unter Chlothar II., geschehen ist, kommt man auf das Jahr 551 ! Gab es aber damals schon Slawen in Böhmen und Ostthüringen ?

Im Standardwerk “Die Slawen in Deutschland” [Herrmann 1970] wurden zahlreiche archäologische Belege für die ersten Slawensiedlungen vorgelegt, aber nicht datiert. Der Herausgeber Herrmann [ebd, 14ff] vertrat die Ansicht, daß eine Datierung nur nach den Schriftquellen erfolgen kann und hielt deshalb ein Eindringen von Slawen vor Mitte des 7. Jhs. für ausgeschlossen. Seine einzige Richtschnur bildete natürlich die dubiose Chronologie des “Fredegar”. Im gleichen Band [25ff] meldete jedoch Walther gegen die Auffassung seines Herausgebers gelinde Zweifel an und hielt sogar eine Ansiedlung von Slawen in der Mitte des 6. Jhs. für möglich! Hätte Herrmann den “Fredegar” besser studiert, hätte schon er merken müssen, daß auch in dessen Text davon ausgegangen wird, daß “ansässige” Slawen sich gegen die Awaren erhoben hatten. Es heißt sogar wörtlich, daß die Sorben,

“die seit alters zum fränkischen Reich gehört hatten, unter ihrem Herzog (dux) Dervanö sich Samo angeschlossen hätten” [IV.68] !

Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, daß schon zur Zeit des Kaisers Justinian (527-565) slawische Stämme Byzanz angriffen und die Balkanhalbinsel zu großen Teilen besiedelten [Ostrogorsky 1952, 59ff]. Herrmann hat auch keinerlei Verwunderung darüber geäußert, daß der Stamm der Sorben, der in Thüringen östlich der Saale siedelte, schon so früh in einer Schriftquelle auftauchte, selbst wenn man wie “Fredegar” vom 7. Jh. ausgeht. In den anderen Quellen wird dieser Stamm erst ab dem 9. Jh. erwähnt ([Herrmann 202]; natürlich beziehen sich alle Belege auf das 6. und das 10. Jh., ohne daß es eine Zwischenzeit gab).

In der zweiten einschlägigen Passage des “Fredegar” [IV.68] wird berichtet, daß zum Kampf gegen die Sorben unter Derwan im 8. Regierungsjahr des Dagobert I. (konvent. 630/631; den Namen gab es auch im 6. Jh., vgl. Gregor [V.34]) ein Sigibert (III.) zum Mitregenten im östlichen Frankenreich (“Austrasia”) bestimmt worden sei. Dieser war nach der Fredegar-Legende zwar nur Mitregent, gebärdete sich aber bald wie ein Alleinherrscher (vgl. z.B. die Unterwerfung des Fara [IV.77]). Ich setze ihn mit Sigibert I. (561-575) gleich. Gleichzeitig mit Sigibert wurde der Adlige Radulf zum Herzog (dux) der Thüringer eingesetzt. Nach dem Bericht besiegten Sigibert und Radulf dann auch die Sorben [IV.68]. Anschließend gelang es Radulf, der sich auf den thüringischen Adel stützte, eine selbständige Machtbasis aufzubauen. Er hatte viele Sympathisanten im Frankenreich, seine Beziehungen reichten bis zum Königshof [IV.77]. Hochinteressant ist die sehr lange dritte einschlägige Passage des “Fredegar” [IV,77]. Hier heißt es, daß sich der Thüringerherzog Radulf bald unabhängig vom Frankenreich gemacht hat. Dies soll im 8. Regierungsjahr des Sigibert (stets ohne Ordnungszahl), nach meiner These also etwa 569, geschehen sein:

“Als Sigibert im 8. Jahr König war, empörte sich der Herzog Radulf von Thüringen mit Macht gegen ihn. Da entbot Sigibert alle seine austrasischen Mannen ins Feld und zog mit ihnen über den Rhein.” [IV.77]

Dieser Sigibert hatte somit seinen Königssitz westlich des Rheins, wie es auch bei Sigibert I. der Fall war. Zunächst zog er aber nicht nach Thüringen, sondern kämpfte gegen “Fara, Chodoachs Sohn, der mit Radulf im Einverständnis war”, den er schließlich besiegte und tötete. Erst dann drangen seine Mannen in Thüringen ein:

“Die Großen und alle Leute des Heeres gaben sich die Hand darauf, daß keiner dem Radulf das Leben schenken wolle. Daraus wurde jedoch nichts. Wie Sigibert mit seinem Heer in Eile durch die Buchonia zog, verschanzte sich Radulf in einem durch Holz befestigten Lager auf einem Berg über dem Fluß Unstrut in Thüringen, zog von allen Seiten soviel Mannschaft, wie er konnte, hier zusammen und setzte sich mit Weib und Kind in seinem Bollwerk fest, zur Verteidigung bereit. Als Sigibert mit seinem Heer dahin kam, schloß er die Festung von allen Seiten ein. Radulf saß drinnen, vortrefflich zum Kampf gerüstet.”

Sigibert war aber der Lage nicht gewachsen:

“Doch dieser Kampf wurde planlos begonnen, daran war die Jugend König Sigiberts schuld; denn die einen wollten noch am gleichen Tag zur Schlacht rücken, die anderen erst am nächsten, und so kam es nicht zum gemeinsamen Entschluß.”

Wie üblich, wurde Radulf sein schließlicher Sieg nicht nur seiner Tüchtigkeit zugerechnet. Es soll Verräter in den eigenen Reihen gegeben haben:

“Der Herzog Bobo von Arverna mit einem Teil von Adalgisels Mannschaft, Anovalans, der Graf des Sogiontinischen Gaus, mit seinen Leuten und ein großer Teil des übrigen Heeres rückten sofort an das Tor der Festung gegen Radulf zum Kampfe vor. Dieser aber hatte von einigen Herzögen in Sigiberts Heer die Zusage erhalten, daß sie ihn nicht ernsthaft angreifen, und brach nun aus seiner Festung hervor, fiel über Sigiberts Heer her und brachte ihm eine furchtbare Niederlage bei. Die Mainzer hatten sich in diesem Kampf als treulos erwiesen.”

Die Heerführer unterstanden somit nicht der Kommandogewalt des Königs. Ihre Namen zeigen, daß auch Adlige aus dem westlichen Frankenreich dabei waren, die heutige Auvergne hieß damals “Arverna”. Gregor [V.39; VI.45] nannte mehrfach einen Herzog Bobo, der allerdings im 6. Jh. gewirkt hat. Grimoald könnte des Urbild des Grimoald (Sohn Pippins des Älteren) der Karolingerlegende gewesen sein. Die Größe der Niederlage Sigiberts kommt im Text sehr deutlich zum Ausdruck:

“Viele tausend Menschen sollen durch das Schwert gefallen sein. Radulf kehrte siegreich in seine Festung zurück. Sigibert aber mit seinen Getreuen war schwer betrübt, er saß auf seinem Pferd, und mit Tränen in den Augen jammerte er über seinen Verlust, denn der Herzog Bobo, der Graf Anovalans und sonst noch die tapfersten Ritter seines Adels und ein großer Teil seiner übrigen Mannen waren unter seinen Augen bei diesem Treffen niedergemacht worden. Auch Fredulf, der Haushofmeister, der als Radulfs Freund galt, fiel im Kampf.”

Damit sein Restheer nicht völlig vernichtet wurde, blieb Sigibert nichts anderes übrig, als um Abzug zu bitten:

“Da man erkannte, daß nichts gegen Radulf auszurichten sei, wurden am anderen Morgen Gesandte zu ihm geschickt und ein Abkommen mit ihm getroffen, wonach Sigibert mit seinem Heer unbelästigt an den Rhein und nach Hause zurückkehren konnte.”

Radulf war nunmehr nicht mehr irgendein Herzog, wie es einige in Sigiberts Heer gab, sondern wurde de facto vom Frankenreich unabhängig, was im Bericht auch eindeutig zum Ausdruck kommt:

“Radulf aber, voll Übermut, gebärdete sich als König von Thüringen, schloß Freundschaft mit den Wenden [= Sorben; K.W.] und knüpfte auch mit den übrigen benachbarten Völkern ein friedliches Verhältnis an. Dem Namen nach erkannte er zwar Sigiberts Oberherrschaft an, aber in der Tat widersetzte er sich ihr kräftig.” [alle Zitate aus IV.77 nach Andert 145 ff]

Ich habe an der inhaltlichen Richtigkeit dieses Berichtes keinen Zweifel. Warum sollte ein Fälscher gerade eine fränkische Niederlage erfinden? Die teilweise zitierten Passagen heben sich im Stil deutlich vom übrigen Fredegartext ab. Ich neige der Ansicht zu, daß es sich ursprünglich um einen Text des Gregor von Tours gehandelt hat, der in das Werk des Pseudo-Fredegar übernommen wurde. Gregor hat sich immerhin auch nicht gescheut, die Niederlage Chlothars I. 555/556 gegen die Sachsen freimütig einzugestehen. Auch andere Indizien, auf die ich noch eingehen werde, sprechen dafür, daß hier Ereignisse des 6. Jhs. geschildert wurden.

Die Entstehung des selbständigen Thüringer Herzogtums paßt auch in die politische Gesamtsituation Mitteleuropas in der zweiten Hälfte des 6. Jhs. Immerhin hatten bereits 555/556 die Sachsen nach einem entscheidenden Sieg über die Franken ihre Unabhängigkeit erkämpft. Es entstanden in dieser Zeit auch andere, vom Frankenreich unabhängige Stammesherzogtümer. Bereits 536 machten die Alemannen, die von Chlodwig unterworfen worden waren, sich wieder selbständig. Ihr erster Stammesherzog war Garibald (536-554). Etwas später schufen auch die Bayern ihr Herzogtum. Ihr erster Herzog hieß auch Garibald (ca. 555-594). Im späteren Deutschland beherrschten die Franken nur noch das Rheingebiet (“Herzogtum Lothringen”, vielleicht nach Chlothar benannt) sowie das spätere Hessen und Ostfranken (“Herzogtum Franken”). Wir haben somit genau die Situation vor uns, die ich bereis im Abschnitt 5 dieses Betrages für die Zeit vor 600/900 rekonstruiert hatte!

Der historische Sigibert I. des 6. Jhs. hielt sich vorwiegend im Westfrankenreich auf. Sein Leben war, wie das aller Merowinger (und wie auch das des sog. Sigibert III.) blutigen Bürgerkriegen gewidmet. Gregor von Tours berichtet aber auch von zwei Feldzügen, die er gegen die “Hunnen” geführt hat:

“Nach dem Tod König Chlothars brachen aber die Hunnen in Gallien ein und Sigibert zog mit seinem Heere gegen sie aus, und als es zum Kampfe kam, wurden sie besiegt und in die Flucht geschlagen. Danach schloß der König derselben mit Sigibert durch Gesandte Freundschaft.” [IV.23]

“Die Hunnen wagten wiederum nach Gallien zu kommen. Gegen sie zog Sigibert in das Feld, und es folgte ihm eine große Schar tapferer Männer” [IV.29].

Diese “tapferen Männer” ereilte aber dasselbe Schicksal, das die “Mannen” des Sigibert III erlitten hatten: Die Hunnen “schlugen sie hart auf das Haupt”:

“Als nun das Heer Sigiberts floh, wurde er selbst von den Hunnen umzingelt. Und er würde in ihrer Gewalt geblieben sein, wenn er nicht, feig und verschlagen, wie er war, sie durch Geschenke gewonnen hätte, da er sie durch Waffengewalt nicht hatte unterwerfen können. Denn als er dem König Geschenke gemacht hatte, führten sie Zeit ihres Lebens keinen Krieg mehr miteinander.[…] Auch dem Hunnenkönig gab König Sigibert viele Geschenke. Dieser hieß Gagan [= Kagan, ein Titel; K.W.], denn alle Könige dieses Volkes führten denselben Namen.” [IV.29]

Beide Berichte entsprechen auffallend den Berichten der beiden Feldzüge des Sigibert III.: des ersten zusammen mit Radulf gegen die Slawen und des zweiten gegen Radulf, der sich mit den Slawen verbündete. Nur der Namen Radulfs fehlte in dem Bericht des Gregor. “Hunnen” war damals eine Gesamtbezeichnung für bis dahin unbekannte Völker, die, von Osten kommend, ins Reich eindrangen. So wurden die Awaren und später auch die Ungarn noch von Widukind als Hunnen (Chuni) bezeichnet. Aus Gregor [IV.29] ergibt sich eindeutig, daß zwei Stämme sich miteinander verbündet hatten. Der zweite war eindeutig der der Awaren, die von einem Kagan geführt wurden, der erste wurde nicht näher bezeichnet. Es könnten die verbündeten Thüringer und Sorben unter der Führung Radolfs gewesen sein. Fraglich erscheint, ob diese Feldzüge in Gallien stattfanden. Paulus Diaconus [II.10] – oder sein Kompilator – kannte zweifellos das Werk Gregors und verwertete es für sein Werk. Er schrieb:

“Zu der Zeit fielen die Ungarn oder Awaren, bei der Nachricht von König Lothars Tode, über dessen Sohn Sigibert her. Dieser stieß in Thüringen auf sie an der Elbe mit Macht und bewilligte ihnen dann Frieden, um den sie ihn baten.” [II.10]

Ich schließe nicht aus, daß der Autor die Elbe mit der Saale verwechselt hat. Nach dem vorliegenden Text des Paulus Diaconus räumten die Langobarden, “nachdem seit der Menschwerdung des Herrn 568 Jahre verflossen waren” [II.7] das Karpatenbecken (“Pannonien”), das sie dann “ihren Freunden, den Hunnen” (Awaren = Ungarn) überließen. (Die Datierung “568” ist bei Paulus die einzige “n. Chr.” und insofern mit Vorsicht zu behandeln.) Der zweite Feldzug des Sigibert wurde in der Langobardengeschichte nicht erwähnt.Schon jetzt möchte ich dem möglichen Einwand entgegentreten, daß trotz allem Radulf archäologisch nicht belegt sei, d.h. daß er als Person keine Bauinschriften hinterlassen habe. Natürlich beweisen diese in der Regel auch nicht viel, weil sie, wie die Urkunden, gefälscht sein können. (Mit diesem Argument könnte man auch viele Herrscher der Weltgeschichte streichen. Z.B. wurde von den vielen Burgen, die König Heinrich I. errichtet haben soll, nicht eine einzige archäologisch gesichert.) Ich habe aber belegt, daß die archäologischen Funde eindeutig beweisen, daß der thüringische Stammesadel bis zum Ende des 6. Jhs. (nachfolgende Funde sind in der Regel dem 10. Jh. zuzuordnen) seine Macht und seinen Reichtum bewahrt hatte, während die fränkische Herrschaft nur kurz gewesen sein kann. Dieser Stammesadel brauchte aber in der Regel, um seine Macht gegen außen und innen zu sichern, ein Oberhaupt. Wer soll dies aber gewesen sein? Da immerhin eine, zudem noch gegnerische Schriftquelle von Radulf als erstem Thüringerherzog berichtet, sollte man dieser, nur zeitlich versetzt, Glauben schenken. Um beim archäologischen Befund zu bleiben: Ich neige dazu, die bei den Sachsenburgen gefundenen zwei merowingischen Goldmünzen, von denen eine m.E. von Childebert I. (gest. 558) geprägt wurde, und die dortigen Kriegergräber als Überreste der “Mannen” des Sigibert zu betrachten,. Andert vermutet auf Grund der topographischen Angaben im “Fredegar”, daß eine der Burgen in und um Wiehe (im Unstruttal) das “vigi” (Bollwerk) des Radulf gewesen sein könnte:

“Am ehesten könnte man Radulfs Burg oberhalb des Schlosses vermuten, der ‘villa’, dem ‘festen Haus’ der ottonischen Könige, das von Thietmar erwähnt wurde.” [Andert 147]

Archäologische Ausgrabungen sind hier noch nicht erfolgt! Über das weitere Schicksal Radulfs ist nichts bekannt. Manche Historiker behaupten zwar, daß er später von den Franken unterworfen worden sei, ohne den geringsten Beleg hierfür beizubringen. Eigentlich geht es ihnen hierbei nur darum, die angebliche spätere Zugehörigkeit Thüringens zum Frankenreich irgendwie plausibel zu machen. Andere behaupten, auch ohne jeden Beleg, daß Radulf 641/642 (konvent. Zeitrechung) verstorben sei. Hier geht es darum, Radulf als Vorfahren der Herzöge von Würzburg vorstellen zu können, die dann von den Franken abgelöst worden seien (hierzu im nächsten Abschnitt). Wenn man von einer Phantomzeit von 297 Jahren ausgeht, wurde Radulf 858 Herzog der Thüringer und schlug 864 die Franken unter Sigibert. Im den folgenden Abschnitten dieses Beitrages werde ich aufzeigen, daß nur die thüringischen Markherzöge des späten 9. Jhs. Nachfolger des Radolf gewesen sein können. Als früher Markherzog wurde in einer Urkunde Radulf genannt, der die Sorben (mit diplomatischen Mitteln!) unterworfen hat und der – wegen des angeblichen Zeitabstandes von 200 Jahren – als Radulf II. bezeichnet wird.

Mit Überraschung stellte ich fest, daß ein Herzog Radulf auch bei “Einhard” erwähnt wird, nämlich als Vater von Karls vierter Ehefrau, der Fastrada. Während es in der “Vita Caroli Magni” [Kap. 18] nur schlicht heißt, daß der Vater Fastradas “zum Volke der Ost- oder deutschen Franken” gehörte, ohne seinen Namen zu nennen, wurde “Einhard” in seinen Annalen (“Annales Einhardi“) konkreter. Zum Jahre 783 heißt es hier:

“Nun kehrte er in sein Frankenland zurück und heiratete Fastrada, die Tochter des Herzogs Radolf. Sie gebar ihm zwei Töchter” [Bühler 224].

Schon der Titel “Herzog” verwundert, denn unter “Karl dem Großen” soll es nur Grafen, aber keine Herzöge gegeben haben. Mit diesem Titel wurden in den einschlägigen Werken (Einhard, Notker, Nithart) sonst nur Stammesfürsten vor ihrer Unterwerfung (z.B. Tassilo in Bayern) bezeichnet. Wie Illig nachgewiesen hat, gehören sowohl Karl der Große als auch sein Biograph Einhard eindeutig in das Bereich der Legende. Fälscher haben mitunter Probleme, ihre fiktiven Erzählungen mit lebenden Menschen oder Namen zu füllen. Dem Fälscher, wohl aus dem 11. Jh., war der Name des Thüringerherzogs Radulf, schon aus der Volksüberlieferung, durchaus noch geläufig und er scheute sich nicht, diesen Herzog Radulf zur weiteren Verherrlichung des “großen Karl” zu dessen Schwiegervater zu erklären !

7. Die Herzöge in Würzburg

In der konventionellen, thüringenbezogenen Geschichtsschreibung ist es üblich, die “Hedene”, Herzöge in Würzburg, als Nachfolger Radulfs im thüringischen Herzogsamt zu betrachten, ohne dies überzeugend mit Quellen zu belegen. Da die wenigen Schriftquellen, die die “Hedene” erwähnen, zudem noch aus der Phantomzeit stammen sollen, könnte ich diese als schlicht erfunden betrachten. Eingedenk meiner zu Radulf gewonnenen Erkenntnisse möchte ich es mir aber so einfach nicht machen und auch diese Quellen näher analysieren.

Zunächst ist festzustellen, daß die “Hedene” weder von Gregor noch von “Fredegar” erwähnt wurden. Die wesentliche diesbezügliche Geschichtsquelle ist die “Passio Kiliani martyris Wirziburgensis“, die Leidensgeschichte des Heiligen Kilian. Es gibt mehrere Fassungen derselben. Die zweite Fassung soll von dem ersten Bischof Würzburgs, Burchard, stammen, von der es heißt:

“Sie ist fast wertlos, die wenigen Tatsachen, welche darin berichtet werden, sind teils entstellt, teils mit oder ohne Absicht erfunden.” [Wattenbach-Levison II, 177]

Solche abwertenden Bemerkungen interessieren mich stets, ich habe aber die zweite Fassung noch nicht zu Gesicht bekommen. Somit gehe ich hier von der ältesten Fassung aus [deutscher Text: Schneider 1976, 173ff]. Diese soll im 9. Jh. entstanden sein [Wattenbach-Levison I 145]. Immerhin ist es ein schlichter Text ohne politischen Bezug, in dem, außer den “Hedenen”, keine anderen Herrscher erwähnt und vor allem keine Jahreszahlen angegeben wurden.

Ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Vita gefälscht ist. Den irischen Mönch und Missionar Kilian hat es nach dieser Passionsgeschichte nach Wirziburg (Würzburg) verschlagen, das noch von Heiden bewohnt und von heidnischen Herzögen regiert wurde. (Die für die Ankunft üblicherweise angegebene Jahreszahl 686 findet sich in dieser Quelle nicht). Kilian taufte den Herzog (“dux”) Gozbert und versuchte, diesen dazu zu bewegen, sich von seiner Ehefrau Gedana zu trennen, weil diese die Frau seines Bruders gewesen war. Daraufhin ließ ihn Gozbert auf Betreiben seiner Gattin ermorden (sein Christentum hielt somit nicht lange an!). Kilian wurde im Mittelalter als Schutzheiliger des oberen Maintales verehrt.

In der “Passio” selbst gibt es nur zwei Passagen, die historisch zu verwerten sind. In der ersten heißt es, daß Würzburg eine befestigte Stadt sei, die im östlichen Franken (also nicht in Thüringen) liegen würde:

“Damals herrschte hier ein Herzog namens Gozbert, der Sohn des älteren Hetan, der wiederum Sohn des Hruod war.” [Schneider 173]

In der zweiten Passage [Schneider 177], auf die ich noch ausführlicher zu sprechen komme, wird als Nachfolger Gozmanns dessen Sohn Hetan genannt. Mit keinem Wort ist davon die Rede, daß Gozmann oder Hedan “Herzöge von Thüringen” waren, im Text ist nirgends von Thüringern die Rede. Die Vorfahren des Gozmann wurden in der “Passio Kiliani” nicht einmal als Herzöge bezeichnet. Dem Sohne Gozberts, in der Literatur üblicherweise Hetan II. bzw. Heden II. genannt, werden zwei Dokumente zugeschrieben, mit denen Schenkungen von Gütern an “Bischof Willibrord” beurkundet wurden. Beide Urkunden wurden in der Burg Würzburg (“in castello Virteburch”) ausgestellt.

In der ersten Urkunde (angeblich auf 704 datiert) verschenkte er (er nannte sich Hedenus) seine eindeutig privaten (also nicht landesherrlichen) Güter in Arnstadt (“Arnestati”) und in zwei anderen Orten an Willibrord. Er bezeichnete sich in dieser Urkunde noch als “vir illuster Hedenus” (Erlauchter Herr Heden) Auf diese Urkunde werde ich im nächsten Abschnitt etwas näher eingehen. In der zweiten Urkunde (angeblich von 716) überließ er sein Erbgut im Saalgau bei der Hammelsburg (“ad hamulo castellum”) dem Bischof. Gemeint ist offensichtlich Hammelburg am Main (diese Angabe bezeugt, daß Hetan II. dem fränkischen Adel entstammte). In der Urkunde von 716 bezeichnete er sich als “illuster vir Hedenus dux” (Erlauchter Herr, Herzog Heden). Der Text der Urkunde findet sich bei Dobenecker [I.7]. Heden dürfte danach also zwischen (konvent.) 704 und 716 Herzog geworden sein. In keiner Urkunde nannte er sich “Herzog der Thüringer”; auch in keiner anderen schriftlichen Primärquelle wurde einer der “Hedene” so bezeichnet. Die Legende vom Thüringer Herzogtum in Würzburg könnte aus der Überlegung entstanden sein, daß der Sohn Hetans II., der in den Urkunden als Bürge auftrat, den Namen Thuring führte. Bei Patze u. a. [1989, 19] klingt das so an:

“Weil die Anfechtung der Schenkung vermöge des Erbrechtes ausdrücklich ausgeschlossen und von dem Sohn Hedens (Heden) dem Thüringer (Ego Thuringus filius Hedeni donationem patris mei firnavi) bestätigt wird, kann man schließen, daß diese Besitzungen nördlich des Thüringer Waldes von ihm verwaltet wurden.” [Für den Stil dieses Zitats kann ich nichts; ich habe wörtlich zitiert.]

Es wurde auch behauptet, daß Thuring seinen Namen von seiner thüringischen Mutter Theodrada habe. Diese Herkunft läßt sich aber urkundlich nicht belegen. Heimathistoriker haben, wiederum ohne jeden Quellenbeleg, Hruod, laut der “Passio Kiliani” Großvater des Gozbert, mit dem von “Fredegar” genannten Thüringerherzog Radulf identifiziert und behauptet, daß dessen Sohn Hetan I. seinen Sitz als Thüringerherzog nach Würzburg verlegt habe. Ein vernünftiger Grund hierfür wird nicht genannt und kann auch nicht gebracht werden. Warum sollten sich auch die Nachfolger Radulfs von ihrer Machtbasis im Unstrutgebiet entfernen, um sich gewissermaßen ins Exil zu begeben? Würzburg lag und liegt eben nicht in Thüringen, von dort aus wäre es unmöglich gewesen, Thüringen zu beherrschen. Denkbar ist natürlich, daß die Franken ein Gegenherzogtum in Würzburg errichteten (worauf ich im Abschnitt 11 noch eingehen werde).

Tatsache ist aber, daß die “Hedene” Privathöfe in Thüringen besaßen. Solche Höfe hatten andere Herren auch (in den von Dobenecker wieder-gegebenen Schenkungsurkunden werden viele dieser Herren mit Namen genannt), wir befinden uns immerhin in der Zeit des frühen “Feudalismus”. Bei dieser Sachlage mutet es kurios an, wie namhafte Heimathistoriker nach wie vor zu ihrer Thüringen-These stehen, auch wenn sie diese nicht begründen können:

“Die Herrschaft über das Land [Thüringen; K.W.] übte ein in Würzburg residierendes mainfränkisches Geschlecht aus, dessen letzter Vertreter Heden namentlich überliefert ist. Wie dieses Herzogsgeschlecht die Macht der Nachfolger Radulfs in Thüringen gebrochen hatte, ist unbekannt.” [Jonscher 19]

Im “Gebhardt”, dem anerkannten “Handbuch der deutschen Geschichte“, wird bezeichnenderweise aus dieser Vermutung schon eine Tatsache. Ohne Quellengrundlage wird hier dem dubiosen Karolinger Pippin die Unterwerfung der Thüringer zugeschrieben:

“Zuerst gelang es, das thüringische Herzogtum zu unterwerfen und zuverlässigen Franken wie Theotbald und Hedenus – Verwandten seiner Gemahlin Plektrudis? – zu übertragen, die von Würzburg aus über die Saalestraße auch das Land nördlich des Thüringer Waldes beherrschten” [Loewe 110].

Ich vertrete dagegen die Auffassung, daß die “Hedene”, soweit sie überhaupt existierten, nur gleichzeitig mit den Thüringer Herzögen (vgl. Abschnitt 11 dieses Beitrages) in Würzburg, nicht aber in Thüringen geherrscht haben können. Die konventionellen Genealogien sind einfach. Sie gehen stets von einer erfundenen Herrscherabfolge aus und variieren von Autor zu Autor in Bezug auf die Regierungszeiten, die natürlich auch nur fiktiv sein können. Verallgemeinert findet man in der Literatur etwa folgendes Schema:

630/631 641/642 (+) Radulf = Hruod
641/642 nach 656 Hetan I. = Heden I., SdV
vor 687 690 (?) Gozbert = Theotbald, SdV
690/704 716/717 Hetan II. = Heden II., SdV

Nirgends fand ich berücksichtigt, daß Hetan II. nach seinen eigenen Urkunden erst zwischen 704 und 716 Herzog geworden ist. So heißt es in einer jüngst erschienenen Geschichte Ilmenaus, daß die Urkunde von 704 von “Herzog Heden” ausgestellt worden sei [Leisner 12]. Einer Erklärung bedarf noch Theotbald, der mit Gozbert gleichgesetzt wird, darunter auch von Loewe [ebd]. Dieser Theotbald entstammt der Lebensbeschreibung des Bonifatius, die (konvent.) zwischen 754 und 768 von dem Presbyter Willibald niedergeschrieben wurde [“Vita Bonifatii auctore Willibaldo“, lat. Willibald 1935]. Es handelt sich hier um eine sehr trübe Quelle, die ganz im Sinne der Karolinger-Legende abgefaßt ist. Im Kapitel 6 derselben findet sich eine Passage, die sich auf Thüringen bezieht und von Historikern ganz verschieden ausgelegt wird. Ich gebe diese nach Bühler [417] wieder:

“Hierauf wandte sich der heilige Bonifatius gen Thüringen. Dort besprach er sich mit den Großen und Führern des Volkes und erreichte bei ihnen, daß sie ihrer Unwissenheit Blindheit verließen und sich der christlichen Religion, die sie schon früher angenommen hatten, aufs neue ergaben. Denn nachdem das Reich ihrer Könige zusammengebrochen war, hatten sie unter der verderbenschwangeren Herrschaft des Theotbald und Heden, die sie in trauervoller Tyrannei niederhielten und die sich wie Feinde mehr durch Zerstörung als freiwillige Ergebenheit behaupteten, viele ihrer Grafen teils durch Tod, teils durch Gefangennahme auf den Feldzügen gegen Feind verloren, worauf sich der Rest des Volkes den Sachsen unterwarf.”

Diese Vita selbst kann nicht vor dem 10. Jh. entstanden sein, was mit Passagen aus allen Kapiteln bewiesen werden kann. In den “Briefen des Bonifatius” wurden Theotbald und Heden noch nicht erwähnt [vgl. Tangl]. Die Heimatforscher betrachten den zitierten Text als Bestätigung ihrer Behauptung, daß die “Hedene” doch Herzöge von Thüringen waren, obwohl Würzburg überhaupt nicht erwähnt wurde. Unbedenklich identifizierten sie den Heden des Textes mit Hetan I. oder II. (mit welchem konkret, wird nie gesagt) und den Theotbald mit dem aus der “Passio Kiliani” bekannten Gozbert. Obwohl keine Belege vorliegen, wurde behauptet, daß Gozbert nach der Taufe den Namen Theotbald angenommen habe, wobei unbegründet blieb, warum dieser keinen “heiligen” Namen, sondern einen anderen germanischen Namen angenommen hat.

Bei dieser Auslegung blieb unberücksichtigt, daß nach dem Text Heden und Theotbald “Heiden” waren, beide gleichzeitig lebten und sich blutig als Feinde bekämpften. (Ich habe das Gefühl, daß manche Historiker bewußt damit rechnen, daß kein Leser die Originalquellen liest.)

Ich hatte bereits den Gebhardt-Autor Loewe zitiert, der sich nur auf die angeführte Willibald-Passage gestützt haben kann. Es bleibt sein Geheimnis, wieso diese angeblich (jeder Beleg fehlt) von Pippin eingesetzten Vasallen, die sogar Verwandte seiner Gattin gewesen sein sollen, weiter Heiden blieben und sich als Todfeinde, ohne Rücksicht auf eine höhere Gewalt, blutige Schlachten liefern konnten. Von einer fränkischen Herrschaft über Thüringen wußte Willibald nichts. Bei ihm folgten dem “Zusammenbruch” des Thüringer Königreichs die Herrschaft der Herzöge, bis sich die Thüringer freiwillig den Sachsen “unterworfen” hatten. Obwohl Pippin in der Vita eine große Rolle spielt, weiß Willibald nichts von einer Eroberung oder Unterwerfung Thüringens durch diesen. Mit der “Unterwerfung” unter die Sachsen kann nur gemeint sein, daß der thüringische Adel 908, nach der Niederlage und dem Tod des Herzogs Burchard gegen die Ungarn, den Sachsenherzog Otto (den Erlauchten) zu seinem Herzog wählte (Thüringen blieb trotzdem selbständig). Zwischen dem “Zusammenbruch” des Königreichs und der “Unterwerfung” unter die Sachsen lag nach dem Text nur eine relativ kurze Zeit, eben die Zeit der Herzöge, was ganz der Phantomzeit-Theorie entspricht. Hoch interessant ist auch, daß nach dieser Darlegung des Willibald Bonifatius erst nach der “Unterwerfung” (908) in Thüringen gewirkt hat, was auch anderen Quellen entspricht, auf die ich noch konkret eingehen werde,

Es ist nicht ganz auszuschließen, daß die Urkunden von 704 und 716 gefälscht sind. Immerhin hat Bischof Willibrord schon einige Jahre später, angeblich 726, in seinem “Testament” [Dobenecker I.15] die ihm geschenkten Güter an das von ihm gegründete Kloster Echternach (im heutigen Luxemburg) überlassen. Es bestand somit ein echtes Fälschermotiv! Auch das Leben des “Friesenapostels” Willibrord, wenn er überhaupt gelebt hat, liegt sehr im Dunkel. Die älteste erhaltene Überlieferung (angeblich zwischen 785 und 787 niedergeschrieben) stammt von Alkuin, dem Hofdichter des “großen Karl” [“Alcuini Vita S. Willibrordi“, Text: Wattenbach 1888]. Dieser Text ist bedenkenlos einem späteren Jahrhundert zuzuordnen. Alkuin behauptete, aus einer anderen Quelle geschöpft zu haben, aus dem “Martyriologium” des Beda (konv. 672-735). Mit dieser “wissenschaftlichen Leuchte” hat sich Illig [1993, 59ff; 1999, 125ff] schon eingehend auseinandergesetzt. Beispielsweise rechnete Beda schon mit der Null, obwohl diese als Zahl erst nach 1200 in Europa bekannt wurde. Er schaffte es, die Ostertermine von 532 bis 1063 zu errechnen. Angeblich soll er wesentlich dazu beigetragen haben, daß die christliche Zeitrechnung sich in Westeuropa durchgesetzt hat, was gar nicht seinen angeblichen Lebensdaten entsprechen würde. Alle Quellen, abgesehen von später manipulierten Klosterurkunden, besagen eindeutig, daß in Europa vor 1000 die “christliche Zeitrechung” auffällig selten benutzt wurde (und dann auch nur in späteren Kopien), in den meisten Regionen wurde sie erst weitaus später eingeführt. Sogar der Vatikan hatte, wie ich noch ausführe, Schwierigkeiten. Der (angeblich) ursprüngliche Beda-Text blieb nicht erhalten. Nach der Alkuin-Biographie soll Willibrord ausgerechnet von Pippin 695 nach Rom gesandt worden sein, wo Papst Sergius I. (angeblich 687-701) ihn unter dem Namen Clemens zum Erzbischof von Lüttich geweiht habe.

Diese Vita steht im Widerspruch zu den Urkunden des Hetan (konv. 704 und 716), in denen von keinem Erzbischof die Rede ist. Auch der neue Name Clemens wurde nicht erwähnt. Der Aussteller oder Fälscher der Heden-Urkunden hat somit die Vita des Beda bzw. seine fiktiven Daten noch nicht gekannt. Selbst im Falle einer Fälschung kann ihm nur eine frühere Überlieferung bekannt gewesen sein. Wie Thiofrid, Abt von Echternach (um 1100) mitteilte, sei die älteste Vita des Willibrord von dem schottischen Mönch Rusticostilo in seinem Kloster geschrieben worden. Diese hätte sich grundlegend von der Vita des Alkuin unterschieden, sei aber inzwischen “verschollen” [Wattenbach-Levison I, 173]. Offensichtlich wurde sie nach 1000 nicht mehr für würdig erachtet, kopiert zu werden und ging so verloren. Möglicherweise entsprach die ältere Vita nicht der Karolinger-Legende und der neuen “Zeitrechnung” nach Otto III.!

Unter diesen Umständen neige ich doch dazu, Willibrord (den echten, nicht den der Legende) als real zu betrachten, was bedeutet, daß er zu Ende des 6. Jhs. gelebt und gewirkt haben muß. Hierzu sind weitere Forschungen nötig. So befindet sich in Paris eine angeblich eigenhändige Niederschrift Willibrords aus dem Jahr 728. Da damals meist nach Regierungsjahren der Könige datiert wurde, wäre der Originaltext der Aufzeichnung sehr aufschlußreich.

Frühmittelalterliche Urkunden können zeitlich auch anders zugeordnet werden. Dies möchte ich am Beispiel der Heden-Urkunde von 704 aufzeigen, deren Text mir vorliegt [Dobenecker I.5; deutsch: Heden-Urkunde 1984]. Es liegt nur eine spätere Kopie vor, was vom Kopisten ehrlicherweise ausdrücklich am Anfang seines Textes feststellt worden ist:

“Im Jahre der Menschwerdung des Herrn 704 machte der erlauchte Heden mit seiner Gemahlin Theodrada dem heiligen Willibrord die nachverzeichnete Schenkung”

Nur in dieser Vorbemerkung ist das Jahr 704 enthalten, die Urkunde mit dem folgenden kopierten Text kann demnach kaum vor 1000 angefertigt worden sein. In der kopierten Urkunde selbst wurde anders datiert :

“Geschehen in öffentlicher Verhandlung auf der Burg Virtebuch am 1. Mai im 10. Jahre der Regierung unseres Herrn, des ruhmreichen Königs Childebert.”

Da das 10. Regierungsjahr des Childebert III. (694-711) tatsächlich in das Jahr 703/704 fiel, nahm meines Wissens noch niemand Anstoß an der konventionellen Datierung. Ich muß anerkennen, daß dieser Kopist, im Gegensatz zu gleichzeitigen Pfuschern, in dieser Hinsicht sehr geschickt vorgegangen ist. Kein Historiker ist darauf gekommen, daß es vor dem (m.E. fiktiven) Childebert III. noch zwei echte Frankenherrscher dieses Namens gegeben hat: Childebert I. (511-558) und Childebert II. (575-558), auf die hier Bezug genommen worden sein könnte. Das Jahr 521 wäre offensichtlich verfrüht, da 10 Jahre vor dem Untergang des Thüringerreiches ein Franke Heden kaum Güter im Kern Thüringens besessen haben dürfte. Das Jahr 585, das 10. Regierungsjahr des Childebert II., erscheint mir dagegen real. Dieses entspricht auch dem Arnstädter archäologischen Befund, auf den ich im nächsten Abschnitt eingehen werde (Da ich mich mit der archäologischen Frühgeschichte Würzburgs noch nicht eingehend befassen konnte, möchte ich mich zu dieser vorerst noch nicht äußern).

Abschließend möchte ich noch auf das Ende des Hetan II. eingehen, da es hierzu zwei Überlieferungen gibt, die sich gegenseitig ausschließen. Nach der einen ist Hetan II. mit seinem Sohn Thuring (Tiring) am 21. März 717 während der Schlacht bei Vincy gefallen. Auf dieses Datum wiesen viele Historiker hin, ohne eine Quelle zu nennen [z.B. Tille 3; B. Schmidt 548]. Neuere Historiker übergingen diese Behauptung ganz oder versahen das angebliche Sterbejahr ohne Kommentar mit einem Fragezeichen [so Loewe 228]. Lediglich Caemmerer [1956, 84] stellte diese Version ganz in Frage:

“Er [Hetan II.; K.W] ist 716 zuletzt urkundlich bezeugt und fiel nach der oft wiederholten, aber geschichtlich nicht beglaubigten Annahme mit seinem Sohn Tiring [sic !] in Karls Gefolge in der Schlacht bei Vincy.”

Als einzigen Beleg fand ich in den “Fortsetzungen des Fredegar” [Kap. 106; vgl. Fredegar 1986, 116f] einen Bericht über eine Schlacht, die Karl Martell in seinem zehnten Regierungsjahr bei Vincecus (= Vincy) gewonnen habe:

“Darauf bot Karl sein Heer auf und zog gegen Chilperich und Ragamfred. Sie lieferten eine Schlacht am Sonntag in den Fasten, am 21. März, an einem Ort namens Vincecus im Camaracensischen Gau, und es geschah ein großes Blutvergießen auf beiden Seiten. Chilperich und Ragamfred wurden besiegt und ergriffen die Flucht; sie wandten den Rücken und entkamen. Karl verfolgte sie und eilte bis Paris.”

Da diese Passage zur Karolinger-Legende gehört, erscheint sie mir von vornherein als dubios. Es wurde auch keine Jahreszahl gegeben, vor allem wurde Heden mit keinem Wort erwähnt! Auch Dobenecker [Anm. zu Nr. I.7] half nicht weiter. Er zitierte keine Quelle zu Hedens Tod, sondern verwies auf “Breysig 44”. Auf dieses Werk [Breysig: Jahrbücher des fränkischen Reiches 714 – 741] bin ich auch schon bei meinen Vorstudien in einem älteren Lexikon [Meyers 1876] gestoßen, konnte es aber bis jetzt nicht beschaffen. Die Jahreszahl 717 entstammt somit den fränkischen Reichsannalen, die laut Illig [1993b, 58] zur Zeit von Barbarossa oder später verfaßt worden sind. Nach dieser Version sollen Heden und sein Sohn (hier: Tiring) als Gefolgsleute von Karl Martell (gewissermaßen im Dienste der Karolinger-Legende) bei Vincy gefallen sein. So fraglich diese Quellenbasis ist, umso kühner ist die Schlußfolgerung, die Historiker aus ihr gezogen haben. Ich zitiere hier nur Dobenecker [Anm. zu I.7]:

“Seit diesem Tage Thüringen ohne Herzog und Karls Gewalt über das Land fest begründet.”

Glücklicherweise gibt es eine andere, überzeugendere Version. In der für mich glaubhaften älteren Fassung der “Passio Kiliani” heißt es wie immer ohne Jahresangaben:

“Den Gozbert töteten seine eigenen Diener mit dem Schwert, seinen Sohn Hetan aber trieb das Volk der Ostfranken aus dem Reich. Seine Nachkommen verfolgten sie so, daß kein einziger von seinem Stamme übrigblieb.” [Schneider 177]

Aus dieser Passage wurde abgeleitet, daß Heden nicht im Dienst von Karl Martell, sondern im Kampf gegen ihn gefallen sei! Mit keinem Wort ist aber in der “Passio Kiliani” davon die Rede, daß Karl oder ein sonstiger Frankenherrscher Würzburg erobert hatte, wie immer wieder behauptet wird. Der Autor schrieb ausdrücklich, daß “Ostfranken” Hetan vertrieben hätten. Damit ist auch schon der Schlüssel zum Verständnis gegeben. Wenn man von meiner chronologischen Deutung der Heden-Urkunden ausgeht, so sind diese 585 und 597 ausgestellt worden. Unter Berücksichtigung einer Phantomzeit von 297 Jahren entsprechen diese Daten den Jahren 882 und 894. Was geschah damals in “Ostfranken” (Herzogtum Franken)? Es tobten blutige Bürgerkriege zwischen den Babenbergern und den Konradinern, die nach den Quellen mit der Ermordung ganzer Geschlechter endeten. Dieses Los dürfte wohl auch die “Hedene” getroffen haben, wie es deutlich in der “Passio Kiliani” zum Ausdruck gekommen ist. Damit erscheint mir erwiesen, daß auch die “Hedene” tatsächlich existiert haben, allerdings zeitversetzt im späten 6. = 9. Jh. Im Abschnitt 11 werde ich noch einmal auf diese Problematik zu sprechen kommen.

8. Die Heden-Urkunde und Arnstadt

Nach der im 10. Regierungsjahr des Childerich ausgestellten Urkunde hat Heden(us), damals noch nicht Herzog, einen ganzen Gutshof (“curtis”), drei Hofstellen im Bereich der Burg Mulenberge (“in castello Mulenberge”) und Teile eines Gutshofes namens “Monhore” mit Leibeigenen an Bischof Willibrord verschenkt. Die Historiker sind sich einig, daß mit dem “castello Mulemberge” die Mühlburg (eine der “drei Gleichen”) gemeint ist, die nur einige Kilometer von Arnstadt entfernt steht. Die Burg, die nur als Ruine erhalten blieb, stammt aus dem Hochmittelalter, die Existenz einer vorherigen Burg ergibt sich nur aus der Heden-Urkunde. Unterhalb der Burg liegt die Gemeinde Mühlberg, die möglicherweise im bereits erwähnten “Testament des Willibrord”, in dem von einer vor Arnstadt liegende Kirche im Dorf Mulnaim die Rede ist, erwähnt wurde. “Aber das muß offen bleiben” [Patze 1989, 285]. Den Gutshof namens “Munhore” konnte noch kein Historiker identifizieren, Es gibt nur Vermutungen. Heimatforscher in und um Sömmerda und Kölleda, aber auch anerkannte Archäologen wie B. Schmidt [1983, 547] und Historiker wie Wiemann und Patze [Patze u.a. 1989, 19] plädierten, nur wegen der Namensähnlichkeit, für die relativ weit von Arnstadt und der Mühlburg entfernte Region um die Monraburg bzw. Großmonra.

Ich wies schon darauf hin, daß diese uralte Burg Spuren fränkischer Besiedlung aufwies. In der Urkunde Hedens ist aber von keiner Burg, sondern von einem Gutshof die Rede, der den Namen Munhore führte. Patze hielt im gleichen Band [Patze u.a. 325] aber auch die Identität mit Ohrdruf für möglich, mit der Begründung, daß es dort einen Flurteil “Halbmondsfeld” gäbe, Manhore aber Halbmond bedeuten würde. Archäologische Funde wurden in Ohrdruf vor dem Hochmittelalter allerdings nicht gemacht [Caemmerer 85, Müllerott 1997,78; dort auch Wiedergabe der recht abstrusen Heimatliteratur]. Wahrscheinlicher ist, daß diese “curtis” in dem Bereich zu suchen ist, die von der Mühlburg aus militärisch gesichert war, also vermutlich südlich von Apfelstädt [so Müllerott 1998].

Herzstück der Urkunde ist, daß Heden “curtem nostram in loco muncupante Anestati, super fuvio Huitteo” an Willibrord verschenkt hat. Zweifellos geht es hier um das heutige Arnstadt, denn mit dem Fluß “Huitteo” (= Witte”) kann nur die Weiße gemeint sein, die neben der Gera Arnstadt durchfließt (allerdings hat sich im Stadtgebiet von der Wilden Weiße die Stadtweiße abgeteilt, was die genaue Lokalisierung des Hofes erschwert). Arnstadt gilt auf Grund der auf 704 umdatierten Urkunde als älteste urkundlich erwähnte Stadt Thüringens. (40 Jahre galt sie als älteste beglaubigte Stadt der DDR. Auch Würzburg betrachtet als Ausstellungsort auf Grund dieser Urkunde 704 als Jahr seiner ersten urkundlichen Erwähnung.)

Arnstadt ist nach den archäologischen Funden eine der ältesten Siedlungen Thüringens. Besonders im Gebiet der Alteburg wurden Funde von der Steinzeit über die Kelten, Hermunduren, Altthüringer bis ins 6. Jh. gemacht. Dann brechen diese Funde plötzlich ab, bis Arnstadt, wie die Funde zeigen, im 10. Jh. wieder aus tiefem Schlaf erwachte [Caemmerer 1956, passim]. Am 25. Oktober 954 fand dann in Arnstadt sogar ein Reichstag statt [Dobenecker I.389]. Dies ist die erste schriftliche Erwähnung der Stadt nach der Heden-Urkunde. In den letzten Jahren fanden erneut archäologische Ausgrabungen statt, die das Ziel hatten, Spuren der “curtis Arnestati” des Heden zu finden. Über die Ergebnisse wurde in der Heimatpresse unter der bezeichnenden Zwischenunterschrift “Bis heute gibt es noch keinen echten archäologischen Nachweis” berichtet:

“Während die archäologischen Quellen für das Umfeld der Liebfrauenkirche nahezu schweigen, ist für den Fundort Stadtgut eine Besiedlung im frühen Mittelalter nachweisbar. Jedoch die ältesten frühmittelalterlichen Funde im Stadtgebiet, die des 7./8. Jahrhunderts, wurden von Ulrich Lappe ergraben, der über viele Jahre hinweg im Auftrag des Museums für Ur- und Frühgeschichte Weimar in der Ruine eine wissenschaftliche archäologische Untersuchung durchführte, deren Ergebnisse derzeit im Neuen Palais (Schloßmuseum) zu sehen sind. Zu diesen Tonscherben stellt sich ein Fund römischer Importkeramik des 3./4. Jahrhunderts aus der Vorburg, dem h. Landratsamt, der die Bedeutung des Fundplatzes an sich unterstreicht. All diese Indizien gestatten es aber nur, die ‘curtis Arnestati’ zwischen heutiger Stadtweiße und Gera innerhalb der hochmittelalterlichen käfernburgisch-schwarzburgischen Residenz zu vermuten.” [“ott” 1998]

Kurz gesagt, wir haben denselben Befund, den wir in Weimar angetroffen haben. Es wurden nach römischer Importkeramik sowie Münzen des 3./4. Jhs. lediglich Tonscherben gefunden, die willkürlich dem 7./8. Jh. zugeordnet wurden, m.E. aber ebensogut aus dem 6. Jh. (für mich die Zeit Hedens) stammen können. Der Verfasser gab übrigens an anderer Stelle seines Artikels eine bezeichnende Darstellung der archäologischen Situation zur angenommenen Heden-Zeit (7./8. Jh.):

“Über die anderen thüringischen Regionen schweigen nicht nur die historischen Quellen, die fränkischen Funde des späten 7. und frühen 8. Jahrhunderts gehen zum Beispiel im Unstrutgebiet zahlenmäßig fast vollständig zurück.” [ebd]

Als Fachmann hätte er eigentlich schreiben müssen, daß es in ganz Thüringen keine (fränkischen oder sonstigen) archäologischen Funde gibt, die eindeutig dem 7./8. Jh. zugeordnet werden können! Inzwischen habe ich festgestellt, daß unter dem Pseudonym “ott” der anerkannte Heimatforscher Müllerott, Inhaber des Thüringer Chronik-Verlages in Arnstadt, geschrieben hat. Obwohl er die Phantomzeit-Theorie nicht kennt, ist er, Caemmerer folgend, darauf gekommen, wo allein der Hof des Heden gestanden haben kann, nämlich umweit der Alteburg:

“Die Siedlung Arnstadt von 704 ist beiderseitig und insbesondere südlich des Flusses Stadtweiße auf einem dem Berg Alteburg vorgelagerten Plateau, dem heutigen Marktviertel und angrenzenden Terrains zu suchen. Diese wurden von Westen, Norden und Osten durch Sumpfgebiete im Bereich von Gera und Weiße abgeschirmt” [Müllerott 1997, 12]

9. Bonifatius und Erfurt

Etwa in der Mitte der Phantomzeit soll der angelsächsische Mönch Wynfrith, besser bekannt als “Bonifatius, Apostel der Deutschen”, gewirkt haben. Meines Wissens haben die Phantomzeitforscher sich noch nicht mit ihm gründlich beschäftigt, anscheinend, weil sie ihn von vornherein für eine fiktive Gestalt halten. Verdächtig ist allerdings schon, daß er nach den fränkischen Reichsannalen 751 in der Pfalz Soissons den Karolinger Pippin den Kurzen zum König gekrönt haben soll [Bleiber 173]. Dies kann nur eine spätere Erfindung sein. Da Bonifatius auch in Thüringen gewirkt haben soll, bin ich gezwungen, auf diesen näher einzugehen, was nach meiner Methodik bedeutet, zu prüfen, ob er vor oder nach der Phantomzeit gelebt haben kann oder ganz aus der Geschichte zu streichen ist.

Als Hauptquelle gilt die Lebensbeschreibung des Willibald, auf die ich im Zusammenhang mit den “Hedenen” schon eingegangen bin. Ich möchte noch einmal betonen, daß ich dieses Werk trotz der zitierten Passage als späte Fälschung betrachte, da es fest mit der Karolinger-Legende verflochten ist. Es gibt aber auch noch andere Schriftquellen. Zunächst existiert ein Empfehlungsschreiben des Papstes Gregor II., das aus dem Jahr 722 stammen soll [Text: Dobenecker I.10; deutsch: Tangl Nr. 25]. Überliefert ist auch ein Briefwechsel des Bonifatius mit den Päpsten Gregor II. (715-731), Gregor III. (731-741) und Zacharias (741-752). Wenn Bonifatius überhaupt gelebt hat, muß er ins 6. oder ins 10. Jh. gebracht werden. Das ist nur möglich, wenn man die beiden Gregore des 8. Jhs. mit Gregor I., “dem Großen”, identifiziert.

Mit letzterem hatte sich Illig [1994b, 20ff] schon eingehend beschäftigt und nachgewiesen, daß die Gregor zugeschriebenen Schriften zu einem Teil späteren Datums sind. Über den realen Gregor I. ist Verschiedenes bekannt, so daß die von mir erwogene Identifikation nicht von vornherein auszuschließen ist. Wie sicher ist aber die päpstliche Überlieferung für die Zeit vor dem 9. Jh.? Es gibt ein “Buch der Päpste” (“Liber Pontificalis“), das nach dem päpstlichen Bibliothekar Anastasius aus dem 9. Jh. benannt ist. Da in diesem aber Exzerpte des Beda und Paulus Diaconus enthalten sind, nehmen konventionelle Historiker an, daß es schon im 7. Jh. begonnen wurde [Wattenbach-Levison I.58]. Ich habe dagegen keine Zweifel, daß das “Buch der Päpste” ein Produkt späterer Zeiten ist. Man sollte meinen, daß die Überlieferungen über die Päpste wenigstens archivarisch abgesichert sind. Tatsächlich sieht es aber im Archiv des Vatikan grausam aus:

“Daß seitdem [seit Mitte des 4. Jhs.; K.W.] in der päpstlichen Kanzlei regelmäßig Register [= Urkundenakten; K.W.] geführt worden sind, die dann im Archiv der Päpste aufbewahrt wurden und deren Eintragungen als authentisch gelten, unterliegt keinen Zweifel, wenn diese im Original aus der Zeit vor Innocenz III. (1198) auch bis auf ein einziges in der Kanzlei Gregors VII. geführtes Register verlorengegangen sind.” [Schmidt-Kallenberg 1913, 80]

Mit anderen Worten: Es gibt keine Garantie dafür, daß die nur in Kopien erhaltenen Papsturkunden vor 1198 echt sind! Aber aus der Zeit vor 1198 sind ohnehin nur von wenigen Päpsten Kopien (“Auszüge aus den Registern”) erhalten geblieben:

“Von 4 Päpsten vor Innocenz III., mit dem die, wenn auch nicht lükkenlosen Reihe der erhaltenen Originalregister beginnt, besitzen wir derartige Auszüge aus den ursprünglichen Registern, nämlich von Gregor I., Johann VIII., dem Gegenpapste Anaklet II. und von Alexander III.” [Schmidt-Kallenberg 1913, 80]

Es hat den Anschein, daß ein großer Teil des frühen Archives bewußt vernichtet worden ist, um ein neues Geschichtsbild zu schaffen, das nunmehr auf dem “Buch der Päpste” beruhte.

Die Datierung dessen, was erhalten blieb oder neu geschaffen wurde, ist verworren. Ursprünglich wurde wohl nach Konsuljahren datiert, die späteren Kopisten ließen diese einfach weg. Ab 550 (Vigilius) wurde nach oströmischen Kaiserjahren gerechnet [ebd, 77], spätere Umdatierungen sind anzunehmen. Der bestimmt fiktive Hadrian I. (772-795) zählte die Jahre nach der “Eroberung Italiens durch Karl den Großen”, spätere Päpste zählten nach Pontifikats- oder Kaiserjahren [ebd, 86]. Bei dieser Sachlage kann man m.E. alle frühen päpstlichen Daten, vor allem die der Phantomzeit, gelassen ignorieren.

Nun zum Wirken von Bonifatius in Thüringen selbst. Nachdem er in Hessen die Donarseiche gefällt hatte, begab er sich nach der Legende [Willibald 23f] nach Ohrdruf, wo er ein Kloster St. Michael errichtet haben soll. Reste dieses Klosters wurden nie gefunden [Patze 1989; Müllerott 1997, 78]. Wegen den Bedrohungen durch die “Heiden” verließ Bonifatius aber bald Ohrdruf. Erhalten blieb bzw. ständig kopiert wurde ein Brief des Bonifatius an Papst Zacharias [Dobenecker I.18], der auf 741 datiert wird. Darin berichtete er, daß er in Würzburg, in Bürnberg/Hessen und in Erfurt (“Erphesfurt”) Bistümer errichtet habe. Er bezeichnete hierbei Erfurt als “Stadt der Heiden” (“iam olim urbs paganorum”). In Sülzenbrücken, südlich von Erfurt, soll dann am 21. Oktober 742 ein Willibald zum ersten Bischof von Erfurt geweiht worden sein [Caemmerer 1956, 92]. In den späteren Quellen ist von dem Bistum Erfurt keine Rede mehr. Die Historiker gehen deshalb davon aus, daß dieses Bistum bald aufgegeben worden sei. Sie empfinden es aber als seltsam, daß in der Vita des Willibald die Errichtung der drei Bistümer mit keinem Wort erwähnt wird [Wattenbach-Levison II. 176]. Die angeblich von Bonifatus in Erfurt erbaute Marienkirche wurde nie gefunden. auch sonst hat Bonifatius in Erfurt keine Spuren hinterlassen. In der Zeit des Thüringer Königreiches bestand in Erfurt ein Adelssitz, auf den schon hingewiesen wurde (z.B. Gräberfeld in Erfurt-Gispersleben). Weitere Funde stammen aus dem späteren 6. Jh.:

“Die schriftlichen Nachrichten aus der thüringisch-fränkischen Zeit geben für das Erfurter Gebiet fast keinen Aufschluß, dagegen bieten Bodenfunde einige Anhaltspunkte (Gräber aus der 2. Hälfte des 6. Jh. auf dem Anger, bei der Henne, am Bahnhof Gispersleben, in der Günter- und in der Rudolfstraße und am Roten Berg – um 600).” [Wiegand 9]

Funde aus dem 7. bis 10. Jh. wurden auch in Erfurt nicht gemacht. Um diese Lücke einigermaßen zu füllen, hat Wiegand [ebd, 10] sich nicht gescheut, sogar eine nachweislich gefälschte Urkunde als inhaltlich wahr zu bezeichnen:

“Die erste auf Erfurt hinweisende Urkunde, datiert vom 1. März 706, bezieht sich auf das angeblich von König Dagobert III. gegründete Kloster St. Peter auf dem Petersberg. Wenn die Urkunde auch als eine Fälschung des 12. Jh. erkannt worden ist, so wird der Inhalt kaum zu bezweifeln sein. Enge Beziehungen verbanden schon früh das königliche Kloster St. Peter mit der Königspfalz. Sie wird zwar erst 802 schriftlich erwähnt, ist aber als Verwaltungssitz sicher älteren Ursprungs und vielleicht auch auf dem Petersberg zu suchen.”

In der Urkunde von 802 (“Actum ad Erfesfurt in palatio publicco”) wurde über eine Versammlung thüringischer Adeliger berichtet, in der diese Güter und Anteile an das Kloster Hersfeld überschrieben [John et al. 26]. Sie gehört damit zu den vielen Schenkungsurkunden des 9. Jhs., die entweder gefälscht oder später umdatiert wurden.

Im übrigen gestehen Historiker zu ihrem Bedauern auch ein, daß keinerlei Spuren einer Erfurter Burg vor dem 10. Jh. gefunden wurden:

“Es mag den Kenner der thüringischen Geschichte verwundern, daß es in dieser frühen Zeit für das Bestehen einer fränkischen Burg in Erfurt weder archäologische Funde noch schriftliche Urkunden vorliegen. Auf Grund der Briefe des Bonifatius […] ist jedoch eine fränkische Burganlage, die mit großer Sicherheit auf dem Petersberg gelegen haben muß, wohl auch schon für das 7. Jh. zu erschließen.” [B. Schmidt 1983, 547]

Auch vom angeblich 706 von Weißenburger Mönchen auf der Petersburg gegründeten Kloster [Heckmann 13] wurden nie Spuren gefunden. Bei Historikern klingt das so:

“Die einigermaßen gesicherte Geschichte von E. beginnt mit der Gründung des Petersklosters ca. 706, von der wir zwar nur durch Nachrichten des 12. Jh. (Erfurter Annalen und eine gefälschte Urkunde) wissen, die aber schwerlich zu bezweifeln sind.” [Patze 1989, 102]

Erst seit 932 ist Erfurt durch eine Schriftquelle (über die Reichssynode des Königs Heinrich I.) eindeutig belegt, ab dieser Zeit haben wir auch wieder archäologische Funde.

Da alle Datierungen dubios sind, kann auch die Einordnung des Bonifatius in das frühe 10. Jh. erwogen werden. Das mag zwar überraschend klingen, aber auch dafür gibt es Belege. Ich habe schon auf eine Passage des Willibald [Bühler 417] hingewiesen, wonach Bonifatius erst nach der freiwilligen “Unterwerfung” der Thüringer unter die Sachsen (908) in Thüringen gewirkt hat.

Die “Legenda Bonifatii” wird von den konventionellen Historikern durchweg verschwiegen oder als Volkssage abgetan, weil die hier geschilderten Umstände der Bekehrung der Thüringer auf der Tretenburg, einer uralten Thüringer Thingstätte, zu sehr ihrer konventionellen Chronologie widersprechen:

“Auf diesem heute unscheinbaren Hügel zwischen den Dörfern Gebesee und Herbsleben fand der Sage nach das christliche Hauptereignis statt, die Bekehrung der heidnischen Thüringer. In der ‘Legenda Bonifatii’ wird berichtet, daß sie zunächst von dem Missionar und seinem neuen Gott nichts wissen wollten. Als Bonifatius ihnen aber versprach, mit Hilfe seines Gottes gegen ihre Feinde, die Ungarn zu ziehen, wurden sie taufwillig. Nach dem Sieg über die Ungarn bei Nägelstedt ließen sich alle Thüringer von ihm auf der Tretenburg taufen” [Andert 186].

Bekanntlich besiegte Heinrich I. 933 die Ungarn bei Riade. Selbst mein Gewährsmann, dem ich für diese Information dankbar bin, bemerkte, nichts ahnend von unserer Theorie, herablassend:

“Nur das unkundige Volk konnte diese 200 Jahre, die zwischen Bonifatius und der Schlacht bei Riade liegen, in einen Topf werfen. Es handelte sich hier also um eine echte Volkssage” [Andert ebd].

Wenn wir die genannten Jahre des 10. Jhs. mit denen des 7. Jhs. identifizieren, kommen wir zu folgendem Ergebnis:

908 = 611 Der Sachsenherzog Otto, Vater Heinrichs I., wird auch Herzog von Thüringen

933 = 630 Sieg Heinrichs I. bei Riade (Papst Gregor I. regierte von 590-604).

Alle Daten stimmen überein. Die Annahme einer Existenz des Bonifatius im frühen 10. Jh. ist zumindest historisch überzeugender als die weder durch zuverlässige Schriftquellen noch durch archäologische Befunde einigermaßen abgesicherten konventionellen Bonifatius-Darstellungen. Diese Annahme würde dem archäologischen Befund jedenfalls nicht widersprechen.

Historiker wissen über den Schlachtort Riade nur zu berichtem, daß er “irgendwo in der Nähe der thüringisch-sächsischen Grenze” lag [Müller-Mertens 1954, 68]. Etwa 20 Gemeinden streiten sich um den Ruhm. Andert [96, 113] hat beeindruckende Argumente dafür vorgetragen, daß die Schlacht bei Riethgen (umweit von Weißensee an der Unstrut) stattgefunden haben kann.

Nach Abschluß der ersten Fassung dieses Beitrages fand ich zufällig bei genealogischen Studien über die frühen Kevernburger/Schwarzburger einen weiteren Beleg dafür, daß Bonifatius tatsächlich im frühen 10. Jh. gewirkt hat.

Als Stammvater dieses Geschlechtes gilt Guntharius, der als sympathisierender Adliger aus Thüringen – neben anderen – in einem Empfehlungsschreiben des Papstes Gregor II. für Bonifatius (angeblich 722) als “Gundhareus” genannt wurde [Dobenecker I.10].

In den “Reinhardsbrunner Annalen” (um 1200) wurde hierauf Bezug genommen und gleichzeitig Graf Zigarus als dessen Sohn und Graf Sizzo als dessen Enkel, Sohn des Zigarus, bezeichnet. Alle drei werden in einem frühmittelalterlichen Gemälde in der Kevernburg (bei Arnstadt) ebenfalls als Großvater, Vater und Sohn bezeichnet. Es handelt sich somit um eine alte Familientradition, die im 11. Jh. zur Niederschrift gekommen ist. Das Erstaunliche ist, daß nach dieser Tradition der Enkel, Graf Sizzo (auch Syzzo) auch als einer der Stifter des Naumburger Domes, der um 1000 errichtet wurde, gilt! Nach den Annalen ist er im Dom begraben; eine der Stifterfiguren des Doms (geschaffen um 1200) trägt seinen Namen. Der Bruder dieses Sizzo wurde 1003 erster Bischof von Zeitz-Naumburg, er ist, genauso wie beider Bruder Günther (der Mönch) urkundlich gut belegt [Einzelheiten: Apfelstedt 8, 14ff, 17ff]. Diese Familientradition widerspricht eindeutig der konventionellen Chronologie (und bereitet den Genealogen deshalb Schwierigkeiten). Ich gehe davon aus, daß es die alten Kevernburger noch besser wußten und keinen Bedarf sahen, ihre Tradition der neuen Chronologie zu opfern (die sich übrigens auch erst nach Jahrhunderten durchgesetzt haben dürfte). Wenn diese Annahme richtig ist, muß Bonifatius im frühen 10. Jh. gewirkt haben, wie es auch Willibald (oder sein Fälscher) betont hatte.

Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, daß es in den Schriftquellen über und von Heden II. einen Widerspruch gibt, auf den konventionelle Historiker gar nicht eingehen. Nach der “Passio Kiliani” und nach Willibald war Heden ein “Heide”, nach seinen Urkunden, die von Priestern ausgefertigt wurden und Schenkungen an einen Bischof beinhaltet haben, muß er ein Christ gewesen sein! Die logischste Erklärung wäre, daß er noch einem romfreien (“heidnisch” geprägten) Christentum anhing, dessen Existenz noch im frühen Mittelalter immer wahrscheinlicher wird (vgl. die diesbezüglichen Beiträge von H. Illig und P.C. Martin auf der ZS-Jahrestagung Mai 1998 in Leonberg). Bekanntlich waren schon die altthüringischen Könige Christen, aber Arianer. Auch die altthüringischen Grabbeilagen waren christlich geprägt. Bonifatius wäre dann der Pionier des “neuen” Christentums in Thüringen gewesen.

10. Weitere Schriftquellen des 8. und 9. Jahrhunderts

Von 768 bis 814 soll “Karl der Große” das Frankenreich beherrscht haben. Illig hat in seinen Publikationen überzeugend nachgewiesen, daß Karl gar nicht existiert haben kann. Er hat keine archäologischen Spuren, auch nicht in Thüringen, hinterlassen; der berühmte Kaiserdom zu Aachen ist späteren Datums. Ich kann mich deshalb hier kurz fassen. Dies fällt mir auch deshalb leicht, weil die Schriftquellen (Annalen und Viten des Einhard sowie Notkers des Stammlers), die offensichtlich erst Jahrhunderte später entstanden sind, nichts von einem Aufenthalt Karls in Thüringen wissen. In der Literatur wird zwar oft behauptet (ein Autor schreibt in der Regel ohne Quellenprüfung vom anderen ab), daß Karl 802 an der bereits erwähnten Adelsversammlung in Erfurt teilgenommen habe. Davon ist aber nicht einmal in der dubiosen Urkunde des Klosters Hersfeld die Rede.

In der Heimatliteratur wird Karl die Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung zugeschrieben, wogegen sich die Thüringer wehrten:

“Vermutlich infolge dieses Eindringens des Königsgutes und fränkischen Rechts verschworen sich im Jahr 785 thüringische Edle unter einem Grafen Hardrat gegen Karls Leben und die fränkische Herrschaft. Aber Karl erhielt davon Kunde und kam dem Aufstand zuvor.” [Devrient 19]

Als Belege gelten eine beiläufige Bemerkungen in Einhards “Vita Caroli magni” [Kap. 20] und die Lorscher Annalen (zu 785). Lediglich in den Annalen ist von “Thuringhi”die Rede, allerdings nur von den thüringischen Leibwächtern der (aus Thüringen stammenden) Königin Fastrada. Nachdem diese der Verschwörung bezichtigt wurden, beriefen sie sich darauf, Karl keinen Treueid geleistet zu haben.

In einer Lebensbeschreibung Ludwigs des Frommen (“Thegani Vita Hludovici Imperatoris” [Kap. 22]) wurde als Führer der “Verschwörer” Reginhar genannt, der bald darauf geblendete Tochtersohn Hartrats. Hardrat selbst wurde als “dux Austriae” bezeichnet! [Wagner 284].

Selbst der Fälscher des 11. oder 12. Jhs. wußte somit noch, daß Thüringen nach dem Siege Radulfs niemals dem Frankenreich angehört hat!

Natürlich wird Karl auch die Kodifizierung des thüringischen Rechtes, die “Lex Angliorum et Warinorum hoc est Thuringorum” zugeschrieben. Deren Verkündung soll 802, je nach Geschmack des berichtenden Historikers in Erfurt oder Aachen, erfolgt sein.

Allerdings gibt es keinerlei Beleg für eine Kodifizierung dieses Gesetzes durch Karl. Ort und Jahr des Aktes sind reine Erfindungen. Schon der Titel des Gesetzes zeigt, daß es sich um uraltes Volksrecht handelt, denn die im 3. Jh. eingewanderten Angeln und Warnen waren längst mit den Thüringern verschmolzen. Die Lex lehnt sich eng an die “Lex Ribunaria” an, die dem 7. Jh. zugeschrieben wird, lediglich die Rechte des Adels werden stärker betont [vgl. Büchner 1953, 44]. Die Lex ist nur in einer einzigen Handschrift erhalten. Die schriftliche Kodifizierung des alten Stammesrechtes dürfte m.E. im 10. Jh. erfolgt sein, mehr kann nach dem jetzigen Forschungsstand hierzu nicht gesagt werden.

Für die Zeit ab etwa 750 ist eine Vielzahl (fast 100) von Schenkungsurkunden erhalten geblieben, die sich besonders im 9. Jh. häufen. In diesen wurden die Orte bezeichnet, in denen sich die verschenkten Güter und Anteile befanden, woraus sich dann “urkundlich beglaubigte Ersterwähnungen” ergaben. Gerade die Kommunen sind an ihnen sehr interessiert, lassen sich doch mit ihrer Hilfe imponierende Jahrhundertfeiern gestalten (1996: “1200 Jahre Themar”).

Die ältesten mir bekannten Ortserwähnungen in Thüringen (außer Arnstadt) sind die von Geisa und Gerstungen (Schenkungen 744 an Kloster Fulda). Da diese aber in der neueren Literatur nicht mehr erwähnt werden, gehe ich davon aus, daß sie bereits als Fälschungen erkannt sind. Ihnen folgt Jüchsen. 758 habe ein Manolt sein Erbgut in “Gohhusa”, gelegen im “Pagus Grapfeld” (Grabfeld-Gau), an das Kloster Fulda verschenkt [Dobenecker I.220; Wölfing 1995, 88].

Ich könnte solche Ersterwähnungen fortsetzen. Der lateinische Text wird zumeist von Dobenecker wiedergegeben, weitere Angaben befinden sich in “Historischen Führern”, dem “Handbuch der historischen Stätten”, Ortschroniken sowie in regionalen Untersuchungen, wie sie Caemmerer für Zentralthüringen, Andert für das Unstruttal und Wölfing für Südthüringen vorgenommen haben. Eine reine Aufzählung ergibt jedoch nichts für weitergehendere Überlegungen. Es fällt aber auf, daß die bei weitem meisten Urkunden in den Klöstern Fulda und Hersfeld ausgestellt worden sind, denen die Schenkungen zufielen.

Deren “Scriptorien” gelten allgemein als frühmittelalterliche Fälscherwerkstätten. Zumindest blieben keine Originalurkunden erhalten, sondern nur spätere Kopien, wohl aus dem 11. und 12. Jh. Erst in diesen Kopien wurde nach der neuen christlichen Zeitrechnung datiert. Was in den Originalen für ein Datum stand oder ob gar die Kopie die Erstfassung ist, kann schwer nachgeprüft werden. Das 9. Jh. gilt in der Mediävistik beinahe sprichwörtlich als “Jahrhundert der Fälschungen”; ich würde formulieren: Das 9. Jh. war das Lieblingsobjekt der Fälscher der folgenden Jahrhunderte.

Ich finde es beschämend, daß selbst anerkannte Historiker sich nicht scheuen, auch eindeutig nachgewiesene Fälschungen als “inhaltlich echt” zu bezeichnen, um so ihre vorgefaßte Konzeption mangels anderer Belege zu rechtfertigen. So schrieb Facius zu Allstedt:

“Missioniert wurde das Gebiet aber erst im 8. Jh. vom Kloster Hersfeld, dem die Wigbertkapelle in A. nach unechter, aber in der Sache glaubhaften Urkunde (777) geschenkt wurde. Mit Sicherheit kann aus diesem Anhaltspunkt geschlossen werden, daß der gut bezeugte Königshof und die Pfalz nicht erst von den Liudolfingern angelegt worden sind. Man vermutet die Wigbertkirche von 777 und den königlichen Wirtschaftshof am Ostrand der Stadt.” [Patze 1989, 2]

Nachdem der Autor schon zugeben hatte, daß es keinerlei archäologische Belege für seine Annahme gibt, mußte er dann noch einräumen, daß die Königspfalz erstmals in einer Urkunde König Heinrichs I. vom 12. 10. 935 “sicher bezeugt” wurde! Ähnlich argumentierte auch Herrmann, anerkannter Archäologe und Spezialist für “Slawen in Deutschland”:

“Schon kurz vor 700 berichtet eine zwar gefälschte, aber in ihrem Kern inhaltlich zutreffende Urkunde von Dörfern im Waldgebiet südöstlich von Erfurt, die mit königlicher Billigung von Slawen angelegt und dem Erfurter Peterskloster übereignet worden seien” [Herrmann 28; nach Dobenecker I.6].

Solche Beispiele könnte ich beliebig fortsetzen. Die Absicht ist deutlich, irgendwie die Phantomzeit doch zu belegen. Zu den vielen Schenkungsurkunden, die angeblich vor dem 10. Jh. ausgestellt wurden, muß grundsätzlich gesagt werden, daß in keinem Ort, der in ihnen erwähnt wurde, archäologische Funde aus dem 8./9. Jh. gemacht worden sind. Es fanden sich bestenfalls Reste romanischer Kirchen aus dem 10. Jh., die aber bei näherer Überprüfung in der Regel später datiert wurden.

Ich kenne nur ein Beispiel, daß ernsthaft versucht worden ist, eine Ortserwähnung auch archäologisch zu rechtfertigen:

“Zwischen 815 und 824 gründete ein Graf Christian in Rohr ein im 10. Jh. wiederaufgegebenes Benediktinerkloster. Von der einstigen Klosterkirche St. Michael, einem einschiffigen Kreuzbau mit unmittelbar ansitzender Apsis, führt die Dorfkirche Teile des Langhauses fort, insbesondere aber die Hallenkrypta mit vier Stützen und nischenbesetztem Halbrund im Osten.” [Wölfing 1995, 77; vgl. entsprechend Patze 1989, 352]

Rohr liegt zwischen Meiningen und Suhl. Die Hallenkrypta wurde erst um 1900 wiederentdeckt und unter einer Falltür auf der Nordseite des Altarraumes zugänglich gemacht. Bei einer Führung, an der ich teilnahm, wurde ausdrücklich versichert, daß die Krypta aus dem 9. Jh. stamme. Andere Historiker beurteilen jedoch das tatsächliche Alter der berühmten Krypta realer:

“Auf das Kloster des 9. Jh, das bis 915 bestand, gehen der Kern der Anlage der Dorfkirche (Umbauten 12., 16., 17. Jh.) und deren Krypta (10. Jh.) zurück – einer der ältesten Kirchenbauten der DDR” [Hoppe/John 1978, 215].

Für Thüringen stellt es schon eine Ausnahme dar, wenn Reste einer Kirche auf das 10. Jh. datiert werden können, die meisten Kirchenbauten sind späteren Datums.

11. Die Thüringer Markherzöge

Bei seiner Begründung des direkten Übergangs von 614 zu 911 hat Illig [1992b, 81ff] auch auf das Phänomem des (nach konventioneller Geschichtsschreibung) Verschwindens der Stammesherzogtümer in der Phantomzeit) und ihres ‘überraschenden’ Wiederauftauchens im späten 9. bzw. frühen 10. Jh. hingewiesen.

“Die Herzogtümer wurden von den Karolingern als Vertretern einer konsequenten Zentralgewalt bekämpft und – im eigenen Reichsgebiet – zerstört: 714 Thüringen und kurz danach Elsaß, 746 Alamannien, zuletzt 788 Tassilo III. von Baiern.”

Das für die “Zerstörung” Thüringens angegebene Jahr 714 dürfte ein Druckfehler bei Illigs Quelle Fleckenstein sein. Wenn man Heden II. als Thüringerherzog betrachtet, stellte dieser nach konventioneller Zeitrechung noch 716 eine Urkunde als Herzog aus. Von einer Eroberung oder Unterwerfung Thüringens ist, wie ausgeführt, selbst in den Quellen, auf denen die Karolinger-Legende beruht, keine Rede.

Illig [ebd, 82] zählte dann die Herzogtümer, die kurz vor Ende der Phantomzeit wieder entstanden sein sollen (er vergaß hierbei Thüringen), auf und bemerkte grundsätzlich:

“Im Lichte unserer zeitrafferischeren These wird diese zweite Morgenröte der Herzöge wesentlich klarer. Wenn fiktive zentralistische Karolinger niemals die reale Herzogsmacht gebrochen haben, dann muß es nach der fiktiven Zeit genauso Herzöge geben wie vor ihr, eine Peinlichkeit für die Fälscher der Geschichte. Es gelang ihnen nur schlecht, deren Neuentstehen im Karolingerniedergang darzustellen. Deshalb fehlen den neuen Herzögen die wahren Ursprünge” [ebd].

Den unmittelbaren Übergang von 614 zu 911 kann man am Beispiel der Markherzöge, die am Ende des 9. Jhs. (was dem Ende des 6. Jhs. entspricht) Thüringen beherrscht haben, gut verdeutlichen.

Diese werden in der Thüringenliteratur Markherzöge genannt, weil sie eine Doppelfunktion ausgeübt haben sollen. Ein Markherzog war danach gleichzeitig Herzog der Thüringer (Dux Thuringorum) wie Graf (comes) oder Markgraf (marchio) der Sorbischen Mark (Limes Sorabicus), die östlich der Saale bestand.(Allerdings bezweifele ich nach meiner Urkundenanalyse, daß jeder Thüringerherzog gleichzeitig auch Markgraf gewesen ist [zur Sorbischen Mark vgl. auch Zeller 1996b, 5o8ff]).

Auch den Fälschern des 11. und 12. Jhs. war noch bewußt, daß Thüringen ununterbrochen bis zu Beginn des 11. Jhs. ein Herzogtum war, weshalb sie auch in den Urkunden des Ostfränkischen Reiches bedenkenlos vom “Ducatus Thuringiae cum marchis suis” sprachen. Diese Formulierung ist in dem auf 839 datierten Teilungsplan der Söhne Ludwigs des Frommen enthalten, nach dem Thüringen (mit seinen Marken) Lothar zugesprochen wurde [Heckmann 14]. In den Fuldaer Annalen ist 889 von der “regio Thuringorum” die Rede, an anderer Stelle wird der Begriff “regio” aber auch für Lothringen, Bayern, Mähren (Großmährisches Reich) und das Byzantinische Reich gebraucht [Eggert 113, Anm. 124]. “Regio” wird üblicherweise mit Großlandschaft oder Gebiet übersetzt, ich erwäge aber auch (es wurde kein klassisches Latein mehr geschrieben) die Übersetzung “Königreich” (“regius” = königlich).

Die Thüringer Markherzöge wurden hauptsächlich in Klosterannalen des späten 9. Jhs. erwähnt, meist in den Fuldaer Annalen, die 847 begonnen wurden und deren Fortsetzung ab 863 als recht zuverlässig gilt [Wattenbach 1885, 214f], aber auch in den Annalen des Abtes Regino von Prüm (um 907). Wir befinden uns am Ende des Phantomzeitalters, was für mich bedeutet, daß man diesen Annalen mehr Vertrauen als ihren Vorgängern entgegenbringen kann.

Dies gilt aber nur mit Vorbehalt für die Schenkungsurkunden, zumal diese meist aus dem berüchtigten Scriptorium des Klosters Fulda stammen. Unsicher sind vor allem die in christlicher Zeitrechnung angegebenen Jahreszahlen, die im späten 9. Jh. geschrieben worden sein sollen. Wie das Beispiel der Heden-Urkunden gezeigt hat, sind diese Überlieferungen nur dann zeitlich richtig einzuordnen, wenn man die Originaldatierung nach Regierungsjahren eines Herrschers kennt. Letztere wurden leider von Dobenecker, meinem Hauptgewährsmann, nirgends angegeben, so daß ich jede seiner Datierungen (ausschließlich in christlicher Zeitrechnung) von vornherein bezweifeln muß.

Herzog Radulf (Ratolf) wurde einmal in den Fuldaer Annalen erwähnt [MG.SS I.387; Dobenecker I.220a, Anm.]. Danach soll er im Januar 874 gegen die aufständischen “Sorben, Siusler und ihre Nachbarn” über die Elbe gezogen sein; “die Aufständischen wurden unterworfen, ohne daß es zur Schlacht kam”. Da nach konventioneller Chronologie der Radulf des “Fredegar” 200 Jahre früher gewirkt haben soll, wird der Radulf (Ratolf) der Annalen durchweg als Radulf II. bezeichnet. Nach rekonstruierter Zeitrechnung müßten aber beide identisch gewesen sein. Da die konkrete Datierung der Annalen mir zweifelhaft erscheint, bleibe ich (vorerst ?) bei der von mir auf anderem Weg (s. Abschnitt 6) gefundene Jahreszahl 858/859 für die “Unterwerfung” der Sorben durch Radulf. So ist es auch möglich, daß Radulf 874 erneut einen Feldzug gegen die Sorben durchgeführt hat.

In landesgeschichtlichen Werken werden übereinstimmend als Markherzöge nacheinander Thakulf, Radulf II., Poppo, Konrad und Burchard genannt, die Autoren geben jedoch die unterschiedlichsten Regierungszeiten an, auf deren Wiedergabe ich hier, da sie nichts bringt, verzichten möchte.

Als Vorgänger des Radulf gilt der Markherzog Thakulf, weil dieser nach einer Urkunde 873 verstorben ist, Radulf aber danach – 874 – die Sorben geschlagen hatte, obwohl in keiner Urkunde dieser Thakulf ausdrücklich als Vorgänger des Radulf bezeichnet worden ist.

Dieser Thakulf hat mir viel Kopfschmerzen bereitet. In der Erstfassung dieses Beitrages habe ich noch die Identität von Radulf mit Thakulf erwogen. Nachdem ich glaubhaft gemacht hatte, daß Radulf 561 (m.E. = 858) Herzog der Thüringer geworden ist und danach die Sorben unterworfen hatte, erschienen mir die in der Sekundärliteratur enthaltenen Angaben über Thakulf für dessen Identität mit Radulf zu sprechen. In den Quellen wurde er als “dux Thuringorum” bezeichnet [John u. a. 27]. Er soll 859 einen Sieg über die Sorben errungen haben und am 1. September 873 verstorben sein [Heckmann 14]. Erst das Studium und die Analyse der Primärquellen machte mir klar, wie unzuverlässig diese Angaben der Sekundärliteratur sind.

Am glaubhaftestens erscheint mir ein Vermerk in den Fuldaer Nekrologien zu sein, wonach Thachulf am 1. August (nicht: September) verstorben ist. Wäre er Herzog der Thüringer gewesen, wäre dies hier bestimmt vermerkt worden. Stattdessen heißt es: “Thachulfus comes et dux Sorabici limitis, mense Augusto defunctus est.” [MG.SS XIII.182; Dobenecker I.22Oa, Anm.]

Thakulf war also Graf und Herzog der Sorbischen Mark, offensichtlich gleichzeitig mit Radulf, der Thüringerherzog war! Im übrigen erscheint ein Thakulf nur in dubiosen Schenkungsurkunden und in genauso dubiosen anderen Schriftquellen.

Das erstemal taucht er bereits 811 (!) in einer Fuldaer Urkunde als “Tacgolf, Graf von Böhmen” auf. Schon der Inhalt dieser Urkunde spricht für sich. Als Gegenleistung dafür, daß er im Kloster Fulda beigesetzt wird, schenkte er seine Region (“regionem suam”) “Sarowe” dem Kloster! Dobenecker [I.85; Anm.] bezeichnete diese Urkunde, nicht nur wegen der Jahreszahl, sondern auch aus formellen Gründen, als eindeutig gefälscht.

Diese Schenkung muß dem Kloster sehr wichtig gewesen sein, denn auch in einer auf 861 datierten Urkunde schenkte “Tacgolf, Graf von Böhmen” dem Kloster Fulda die “provinciola Sarowe” [Dobenecker I.227a], Und schließlich mußte noch in einer Urkunde vom 16. Dezember 1012 Kaiser Heinrich (II.) dem Kloster den Besitz der “provincia Sarowe” bestätigen, die ihm Graf Thacholf, Graf von Böhmen (“quidam comes de Boemenia”) vermacht hatte [Dobenecker I.628]. Heimatforscher gehen davon aus, daß die Gegend um Syrau bei Plauen/Vogtland gemeint sei, aber auch dies ist umstritten. (Es ist sogar von einer Schenkung der Sorbenmark die Rede!)

Nach einer Mitteilung der Fuldaer Annalen soll König Ludwig (der Deutsche) 858 drei Würdenträger mit Feldzügen beauftragt haben:

  • seinen Sohn Karlmann gegen Mähren,
  • seinen Sohn Ludwig gegen die Abodriten und Linonen,
  • “Thachulf” gegen die rebellischen Sorben (“tercium autem per Thachulfum in Sorabos dicto oboe nolentes”) [MG.SS I.371; Dobenecker I.220a].

Hier handelt es sich eindeutig um eine mit der Karolinger-Legende verbundene Fälschung. Diese “Quelle” bildet übrigens den einzigen Beleg dafür, daß Thakulf 859 die Sorben unterworfen haben soll!

Ganz ominös ist ein Empfehlungsbrief [MG.SS XII.182] des Fuldaer Abtes Hatto II. an Papst Leo (konvent. regierte Leo IV. von 847 bis 855) für Herzog Thakolf, der nach Rom pilgern wollte. Dieser Brief ist “verschollen”, nur ein Exzerpt blieb in einer späten Kopie angeblich erhalten. Eine Jahreszahl wurde nicht angegeben. Dobenecker [I.214] geht auch hier von einer Fälschung aus. Nur hier wurde Thakulf als “Herzog der Thüringer” (“per Thacholfum Thuringorum ducem”) bezeichnet, wahrlich eine schwache Quellengrundlage, um Thakulf als Thüringerherzog vor Radulf zu bezeichnen, wie es in der Heimatsgeschichtsschreibung [z.B. John u. a. 27] üblich ist!

Unbekannt ist, wann Radulf verstorben und wer sein unmittelbarer Nachfolger gewesen ist. Als nächster Thüringerherzog wird in den Quellen ein gewisser Poppo (Boppo) genannt. Dieser erscheint erstmals 880 bei Meginhard als “comes et dux Sorabicus” [John u. a. 27; Heckmann 14], könnte also der Nachfolger Thakulfs in der Sorbischen Mark gewesen sein.

Auch Regino von Prüm bezeichnete ihn noch 891 als Markgraf – “marchio” [Dobenecker I.282; Tille 7]. Dieser Poppo wurde um 889 auch Herzog der Thüringer. Regino von Prüm berichtete in diesem Jahr, daß Sizzo (Sunderold), ein Mönch aus Fulda, Erzbischof von Mainz geworden sei. Dies sei im gleichen Jahr geschehen, in dem “Boppo” Herzog der Thüringer und Arnulf König geworden seien: “annitende Boppone Thuringorum duce et Arnolfo rege annuente” [MG.SS I.60; Dobenecker I.273a] – nach anderen Quellen wurde aber Arnulf konventionell schon 887 König).

Mit dem Namen Herzog Poppos ist der “sächsisch-thüringische Bürgerkrieg” verknüpft, der nach den Fuldaer Annalen auch 889 stattgefunden haben soll. Poppo kämpfte gegen Egido, einem Teilherzog der Sachsen, der sich auch als Thüringerherzog bezeichnet hat [Eggert 113; dort Quellenanalyse].

Herzog Poppo wurde schon 892 abgesetzt. König Arnulf trennte wieder Thüringen von der Sorbischen Mark. Thüringerherzog wurde der Franke Konrad, zum Markgrafen wurde Burchard ernannt [Dobenecker I.282]. Poppo resignierte aber nicht und regierte weiter. Konrad konnte sich gegen ihn nicht durchsetzen und verzichtete schließlich 897 formell auf seinen fiktiven Herzogstitel. 9o6 fiel er im Geschlechterkrieg gegen die Babenberger. Er gilt als Vater des späteren Königs Konrad I.

Herzog Poppo wurde 899 von König Arnulf feierlich rehabilitiert [Dobenecker I.286], Burchard bieb aber Graf der Sorbischen Mark. Poppo erhielt seine Güter zurück. Hierbei wurde auch Saalfeld erstmalig erwähnt, das jetzt seinen 1.100. Jahrestag feiert.

Nach der Sekundärliteratur soll Poppo 903 von Markgraf Burchard gestürzt worden sein, wofür es aber keine Belege gibt. In einer Urkunde König Ludwigs (des Kindes) vom 9. Juli 903 (Reichstag zu Forchheim) wurde “Purchart” als “marchio Thuringionum”, aber auch als “egregius dux, venerabilis comes” bezeichnet [Dobenecker I.305; John u.a. 27]. Über das Ende Herzog Poppos ist nichts bekannt.

In Urkunden von 887 und 890 [Dobenecker I.270 und 275] trat ein Graf Poppo aus dem Grabfeld (nördliches Mainfranken) u.a. als Zeuge auf. Umstritten ist, ob er mit Markgraf/Herzog Poppo identisch war; in den Urkunden wurde er jedoch nur als Graf bezeichnet. Er soll der Onkel von Herzog Adalbert I., des Oberhauptes der Babenberger gewesen sein und gilt als Vater Poppos III., des Stammvaters der Henneberger [Thiele 8].

Andererseits ähnelt das Ende des Würzburger Herzogs Heden II. (nach der “Passio Kiliani”) auffallend dem Ende des “Thüringerherzogs” Konrad. Letzterer residierte wohl in Würzburg, sein Bruder Rudolf wurde jedenfalls 892 von König Arnulf zum Bischof von Würzburg bestellt [Thiele 9]. Eine Identität beider könnte gegeben sein und würde erklären, wie und warum so spät Heden II. Herzog geworden ist. Wenn meine Neudatierung der Heden-Urkunden richtig ist, müssen beide zumindest Zeitgenossen gewesen sein !

Ob miteinander identisch oder nicht, Herzog und Graf Poppo waren Gegner des “Herzogs” Konrad und damit der Konradiner. Graf Poppo trat nach den erwähnten Urkunden zusammen mit einem Graf Thiutbold als Vertreter des Klosters Fulda bei König Arnulf auf, beide waren somit eng verbunden. Willibald bezeichnete als Gegner Herzog Hedens einen Herzog Theotbald (vgl. Abschnitt 6), so daß ich es für möglich halte, daß Willibald (oder sein Fälscher) diesen Thiutbold meinte. Wahrscheinlicher erscheint aber die Identität Theotbalds mit dem 906 hingerichteten Oberhaupt der Babenberger, Herzog Adalbert, dem Neffen des Grafen Poppo. Belegen kann ich dies allerdings (noch ?) nicht.

In diesem Zusammenhang noch einige Bemerkungen zu Arnulf und dessen Sohn Ludwig (dem Kind). Illig betrachtet alle Karolinger vor 911, auch Arnulf und Ludwig, als fiktiv. Ich halte die Existenz der Letztgenannten für möglich. Immerhin beginnt mit ihnen bei Widukind von Corvey [I.16] nach der interpolierten Karls-Passage die reale Geschichte, die unmittelbare Vorgeschichte des deutschen Reiches. Das Wirken Arnulfs, das ich natürlich ins späte 6. Jh. setze, entspricht den Berichten über die Auflösung des Merowingerreiches unter Chlothar II. Allerdings bezweifele ich, ob der historische Arnulf überhaupt Karolinger war. Seine Machtzentren bildeten bekanntlich das Herzogtum Bayern und die Markgrafschaft Kärnten. Seine Residenz war Regensburg. Von Bayern aus unterwarf er das östliche Frankenreich (Herzogtümer Lothringen und Franken) und legte sich den Königstitel zu.

Arnulf war übrigens ein Verwandter des späteren Bayernherzogs Arnulfs (des Bösen; 907-937), der sich in einer Urkunde von 918 auch König nannte [Eggert 117, 337]. Oda, die Mutter Arnulfs von Kärnten, war die Tante von Markgraf Luitpold, des Vaters des Bayernherzogs Arnulf [Thiele 7,109].

Der letzte Markherzog Burchard fiel 908 an der Spitze des Thüringer Heerbannes gegen die Ungarn. Der Sachsenherzog Otto vertrieb daraufhin die Söhne Burchards, Bardo und Burchard, und wurde zum Thüringerherzog gewählt. Burchard war den Konradinern zugetan, während Otto mit Hedwig, der Schwester des Oberhauptes der Babenberger, Herzog Adalbert, verheiratet war [John u. a. 27; Thiele 8]. Nach dem Tod Ottos 912 wurde sein Sohn Heinrich I. (später deutscher König) sein Nachfolger und nach ihm hintereinander Otto I., II. und III. Der vorübergehende Übergang des thüringischen Herzogtitels auf die sächsischen Liudolfinger (908) war die von Willibald erwähnte freiwillige “Unterwerfung” der Thüringer unter die Sachsen. Thüringen blieb aber selbständiges Herzogtum, Heinrich I. nannte sich “Herzog der Sachsen und Thüringer” (so 916 [vgl. John u. a 27]). Beide Herzogtümer waren nur in Personalunion verbunden. Als Otto I. 953 Sachsen Hermann Billung übertrug, behielt er Thüringen für sich. Dieses Herzogtum wurde für die Ottonen von den Grafen von Weimar verwaltet, bis Ekkehard I. um 995 Herzog der Thüringer wurde.

12. Nachbemerkung

Nach den überzeugenden Forschungsergebnissen Illigs betrachte ich alle Nachrichten der Karolinger-Legende (nach Illigs Konzeption bis 911, nach meiner Meinung möglicherweise nur bis 887 = 590) als gefälscht. Ich habe aber bewußt darauf verzichtet, alle anderen Nachrichten, die in Schriftquellen aus der Phantomzeit überliefert wurden bzw. nach den vorliegenden Daten in die Phantomzeit fallen, von vornherein als erfunden zu betrachten. Das betrifft auch Informationen, die sich auf die politische Geschichte Thüringens im “Phantomzeitalter” beziehen. Ich habe stets sorgfältig geprüft, ob diese nicht dem (ansonsten fast informationslosen) 6. Jh. zugeordnet werden können. Ich folgte hierbei der Methodik, die Zeller [1993b, 69] bei der Analyse der frühislamischen Geschichte angewandt hat, wobei er für mich überzeugend nachgewiesen hat, daß die frühen Kalifen (angeblich 7. Jh.) durchaus dem 7. und dem 10. Jahrhundert zugeordnet werden können, wobei er sowohl eine gründliche Analyse der Bauwerke wie auch der gleichzeitigen byzantinischen und iranischen Quellen vorgenommen hat. Er bewies wissenschaftlich, daß es auch im Vorderen Orient 297 Phantomjahre gab, die sich aber nicht nur aus einer einfachen Streichung, sondern aus seiner allseitigen Analyse ergaben.

Es findet sich deshalb sowohl bei Zeller wie auch bei mir derselbe Geschichtsstrang unter zwei Jahreszahlen. Beide bringe ich letztlich im 6. Jh. unter. 887 wird somit zu 590, die Phantomzeit von 614 bis 911 bleibt damit ereignislos. Im Ergebnis meiner Analysen bin ich zu folgendem wirklichen (nicht doppelten!) Geschichtsablauf gekommen:

531 = 828 Untergang des Thüringer Königreiches
555/556 = 852/853 Sieg der Sachsen über die Franken (Chlothar I.)
561 = 858 Ernennung Radulfs zum Herzog der Thüringer
569 = 866 Sieg Radulfs über die Franken (Sigibert)
576 = 873 Tod des Markgrafen Thakulf (Sorbische Mark)
585 = 882 Arnstadt-Urkunde des Heden II. (Konrad ?)
592 = 889 Poppo Herzog der Thüringer
595 = 892 Konrad Herzog der Thüringer
597 = 894 Zweite Urkunde des Heden II. (Konrad ?)
606-611 = 903-908 Burchard Herzog der Thüringer
611-615 = 908-912 Otto Herzog der Sachsen und Thüringer
nach 611 = nach 908 Wirken des Bonifatius in Thüringen
912-936 Heinrich I. Herzog der Sachsen und Thüringer
933 Schlacht bei Riade

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