Eine Klarstellung von Heribert Illig (aus Zeitensprünge 01/2015)

Weiss, Rainer-Maria / Klammt, Anne (2014): Mythos Hammaburg. Archäologische Entdeckungen zu den Anfängen Hamburgs; Veröffentlichung des Helms-Museums, Archäologisches Museum Hamburg; Hamburg, 508 großformatige Seiten, zahlreiche Abbildungen [= WK]

‘Top secret’: Das Buch zur Hammaburg-Ausstellung ist kein Katalog, sondern ein schwergewichtiger, weitausgreifender, auch redundanter Aufsatzband und wird nur an der Museumskasse ausgehändigt. Trotzdem ist es einem ‘Südlicht’ gelungen, ihn einsehen und so feststellen zu können: Der Aufsatz von Museumsdirektor Prof. Dr. Rainer-Maria Weiss „Mythos Hammaburg – Fakten und Fiktionen zur Frühgeschichte Hamburgs“ [WK 17-53] gibt den Rahmen vor; die weiteren Artikel von 37 Autoren bringen dazu zahllose Details und Weiterungen.

Über den Inhalt der Ausstellung wird in dem fast 3 kg schweren Klotz von einem Buch – das entspricht drei postalischen Büchersendungen – nichts verraten. Das mag einen einfachen Grund haben. Auf dem Domplatz ist 2005/06 nichts ergraben worden, das ausstellungswürdig wäre. Vier Exponate zeigen das Problem:

  • Eine Kreuzfibel schmückt den schweren Begleitband, dient als Logo für die Ausstellung und wird der Zeit um 800 zugeschrieben, doch sie selbst ist nur 3 cm groß und wurde zwar auf dem Domplatz gefunden, aber bereits 1952 [WK 219, 283].
  • Ein aus Knochen geschnitztes Kruzifix aus dem 10. Jh. ist nur 2 cm groß und wurde 1954 südlich des Domplatzes gefunden [WK 113].
  • Schließlich gibt es einen Streufund aus der Hammaburg: eine vergoldete Scheibenfibel mit Mariendarstellung aus dem 9./10. Jh. Aber auch sie ist nur gut 2 cm groß und stammt aus einer Grabung der 80er Jahre [WK 270].
  • Etwas größer ist nur die aus 22 Scherben rekonstruierte Tatinger Kanne (s.u.) aus der Zeit um 800, auch sie bereits 1952 gefunden.

Insofern machten die Aussteller aus der Not eine Tugend und bieten

„einen Überblick bis ins 14. Jahrhundert. Zu sehen sind Schwerter und Haushaltsgegenstände, kunstvolle Fibeln und Siegelstempel sowie Seiten aus der »Vita Anskarii«, der im 9. Jahrhundert entstandenen Biografie Ansgars. Dazu kommen viele Schautafeln, Grafiken und Computer-Simulationen, die zeigen, wie Hamburg damals aussah“ [Kummereincke; Hvhg. HI].

Im Buch geht es auch um diese ‘Highlights’, aber vor allem – in farbigem ‘Super-Breitleinwandformat’ – um die Hammaburg(en) und die bedrängende Frage, ob – mit Verlaub – das armselige Kaff nun ein Zentralort zwischen Nord- und Ostsee gewesen sei. Immerhin räumen Museumsdirektor Weiss und seine Mitstreiter mit einigen unhaltbaren Mythen auf. Ausgemustert werden:

  • Hamburg als eine Gründung Karls d. Gr. [WK 18, 23],
  • die Vita Anskarii als Zeugnis für Hamburg [WK 23],
  • die Gründung des Bistums Hamburg – eine Fiktion von 890 [WK 26].
  • Adams v. Bremen Frühdatierung des Erzbistums Hamburg (832) [WK 287]
  • Barbarossas Freibrief für Hamburg (1189) als Fälschung [WK 18],
  • ein Kirchenvorläufer als Heridag-Kirche aus Karls Zeit [WK 274] (auch wenn das nicht allen Autoren [ebd. 153] bekannt war),
  • Karls d. Gr. Hofhaltung 804 in Hollenstedt nahe Harburg [WK 177];
  • Überreste des Benedikt V.-Kenotaphs: „Als Beleg für die Rückverlängerung des gotischen Mariendoms in das 10. Jahrhundert und eine damit implizierte Ortskontinuität letztlich bis zurück zu Ansgar hat das Kenotaph in jedem Fall auszuscheiden“ [WK 37].

Trotz des Buchtitels Mythos Hammaburg müsste es eigentlich mit dem Mythos zu Ende sein, denn

„nun haben die neuen Ausgrabungen doch den Nachweis erbracht, dass die Hammaburg am Domplatz gelegen hat, jedenfalls einer der beiden in die Zeit Ansgars zu datierenden ringförmigen Gräben. Das sind Ergebnisse des interdisziplinären Fachkolloquiums am 13. und 14. Dezember [2013] in Vorbereitung der Sonderausstellung, der der vorliegende Band gewidmet ist“ [Steuer in WK 152].

Über die Teilnehmer am Kolloquium wird Stillschweigen gewahrt. 25 Experten [WK 149] haben teilgenommen, aber 39 Forscher haben Buchartikel beigesteuert [WK 505 f.], 1 Teilnehmer blieb krankheitsbedingt den Artikel schuldig. Auch ohne Teilnehmerliste lässt sich prüfen, ob noch Mythen geblieben sind

Die Grabungssituation am Domplatz

Dreh- und Angelpunkt ist die Ausgrabung auf dem Domplatz, die bereits 2005/06 stattgefunden hat. Wer die Grabung im Internet mittels Video-Kamera und Grabungstagebuch verfolgt hat, kann nur staunen: Im aktuellen Buch sind alle Wirrungen, auch die zwischen Grabungsleiter und Museumsdirektor konsequent ausgeblendet. Nur kurz [bereits bei Illig 1/2014 nachlesbar]:

Die vom Juli 2005 bis Nikolaustag 2006 laufende Grabung, die nicht nur den Domplatz sichten, sondern die Hammaburg finden soll, bleibt für den Grabenden wie für den Beobachter ergebnislos. Der Grabungs-Blog wird immer seltener bedient, und am 06. 12. 2006 verkündet Grabungsleiter Karsten Kablitz den Fehlschlag: „Entgegen älterer Annahmen befindet sich die Burganlage definitiv nicht auf dem Domplatz“ [ebd. 87]. Nach früheren Fehlinterpretationen ein weiteres Ende der Hammaburg. „Die Hamburger aber sind verzweifelt“ [Willmann 2006].

Trotz zahlreicher, auch redundanter Karten gibt es in Mythos Hammaburg keine mit der gesamten Abfolge vom 8. bis ins 11. Jh. Deshalb hier eine eigene Zeichnung [aus WK 34, 39 etc.], maßstabslos wie alle jene Karten des Begleitbuchs. Zu sehen sind die beiden sächsischen Grabenringe innerhalb des größeren Rings, der vom Heidenwall als Absperrung der Halbinsel abgelöst worden ist. Innerhalb der Wälle die vier Pfosten des ersten Doms und seine Eckpunkte. Links oben der Umriss der viel späteren Kirche St. Petri. Läge unter ihr die von Weiss erhoffte Ansgar-Kirche?

Trotz zahlreicher, auch redundanter Karten gibt es in Mythos Hammaburg keine mit der gesamten Abfolge vom 8. bis ins 11. Jh. Deshalb hier eine eigene Zeichnung [aus WK 34, 39 etc.], maßstabslos wie alle jene Karten des Begleitbuchs. Zu sehen sind die beiden sächsischen Grabenringe innerhalb des größeren Rings, der vom Heidenwall als Absperrung der Halbinsel abgelöst worden ist. Innerhalb der Wälle die vier Pfosten des ersten Doms und seine Eckpunkte. Links oben der Umriss der viel späteren Kirche St. Petri. Läge unter ihr die von Weiss erhoffte Ansgar-Kirche?

Nur Tage später (Dezember 2006) verkündet Weiss, man habe am letzten Grabungstag die Hammaburg gefunden; es müssten nur noch 14C-Messungen durchgeführt werden.

Am 12. 12. 2007 teilt Weiss durch seine Museumssprecherin mit, dass die Holzproben nicht aus der Zeit der Hammaburg, d.h. der Ansgar-Zeit um 835 stammen. Das nächste Ende der Hammaburg.

Am 25. 01. 2014 lässt Weiss die erstaunte Öffentlichkeit wissen: Wir haben die Hammaburg gefunden, ein Kolloquium hat das Ergebnis akzeptiert, weshalb es ab Oktober eine Hammaburg-Ausstellung geben wird. Was war geschehen? Weiss hatte im Jahr 2013 die Grabungstagebücher Kablitz’ studiert und die Möglichkeit der Uminterpretation und damit des nachträglichen Grabungserfolgs gefunden. Zwar waren drei Grabenanlagen bekannt, doch keine mit einer Kirche, die ohnehin keinen Platz gehabt hätte.

Wenn man aber die Kirche eskamotieren, wegzaubern könnte? Da könnte der Holzbau „so fragil“ gewesen sein [G/K2], dass ihn der Archäologe nicht aufspüren konnte – siehe den Archäologen Manfred Lehner [vgl. Illig 2013, 629] – allerdings wird der zu kleine Burgplatz dadurch nicht größer. Oder die Kirche stand dort, wo heute St. Petri steht, unter der bislang nicht gegraben werden konnte. Heureka! „»Jetzt müssen wir keine Kirche mehr suchen, das befreit das Denken«, freut sich Weiss“ [Pohle]. Seitdem steht die Hammaburg definitiv fest.

Auf den 500 Seiten von Mythos Hammburg wird darüber nicht berichtet; das Buch setzt erst mit dem Zusammentreten des Kolloquiums ein. Dort wird das Weiss’sche Szenario diskutiert: Aus einem palisadengeschützten sächsischen Fischerdorf wird die karolingische Bischofsburg, von der aus man die ungeschützte Kirche und das durch Rimbert überlieferte Kloster [G/K2] gut sehen kann, worauf es nach einer Wikingerzerstörung munter bergauf geht, obwohl oder weil der Bischof sich absentiert hat. Das überzeugt erst die Kollegen, dann die Presse, mittlerweile die Hamburger und bald die ganze Welt.

Die Fundsituation

Wie nun stellt sich die Abfolge an Bauten auf dem Geestsporn zwischen Elbe und Alster dar? Das Verständnis wird erschwert, weil Weiss anders als die übrigen Autoren zählt: Weiss: Hammaburg I, II, Siedlungshorizont, Hammaburg III, Heidenwall; das sind für die anderen Autoren fünf Perioden:

  • Periode I (Hammaburg I):
    Spätsächsischer, 6 m breiter und 4,75 m tiefer Ringgraben, vor 800 gebaut. Innendurchmesser 48 – 58 m [WK 19, 73], entspricht bei einem Mittelwert von 53 m einer inneren Nutzfläche von 2.200 m², von der die Palisade samt innerer Wehrfläche noch abzuziehen ist. Gesamt-Ø maximal 70 m. Innenbebauung und ein Wall mit Palisade sind nicht mehr nachweisbar. Einebnung des Grabens gegen 800 [WK 19]. Ein Wall ist wegen der Kleinheit der Fläche auszuschließen, die Palisade nicht. Die Einwohner: „höchstens 100, wenn denn alle da waren“ [G/K2]. Keine Hinweise auf Familien, keine Gräber [G/K2]. Ein virtuelles Modell wurde für die vier, fünf Häuser in der Burg nicht extra entworfen.
  • Periode II (Hammaburg II):
    An demselben Platz ein 817 bis 822 gebauter Ringgraben (Innen-Ø 65 – 75 m, entspricht 3.650 m², dazu ein bis 4,75 m breiter und weniger als 2,25 m tiefer Graben; Gesamt-Ø maximal 85 m [WK 27, 73]). Bei dem von Kablitz vorgestellten Wall von bis zu 8 m Tiefe bleiben nur 2.300 m² Innenfläche [WK 75]. Innenbebauung und zugehöriger Wall mit Palisade nicht mehr nachweisbar [WK 27], ebenso wenig ein Kirchenbau innerhalb oder außerhalb der Anlage, auch keine anderen Häuser. Die virtuelle Rekonstruktion [WK 12 f., 58 f., 108 f., 146 f., Vorsatz] präsentiert trotzdem einen Wall, innerhalb von ihm 7 Häuser, 1 Grubenhaus und 2 Torbauten, dazu außerhalb einige Häuser und eine Kirche. Vor 2005 ging man von einer sächsischen Doppelwallanlage aus [WK 68]. Das gilt u.a. als widerlegt, da die Walldurchlässe weit versetzt liegen [WK 73, 182]. Heute wird das innere Grabensystem durch Keramikfunde in das 8., das äußere in das frühe 9. Jh. verwiesen [WK 72]. In diese bestehende Anlage wäre Ansgar gekommen.
  • Schriftlich überlieferte Plünderung durch dänische Wikinger (845), aber kein Brandhorizont [WK 32]. Die durch Keramik datierte zweite Einebnung wird damit in Verbindung gebracht und auf 850 datiert [WK 32]. Weiss hat bereits Anfang 2014 betont, dass sich eine derartige Brandschatzung archäologisch nicht niederschlagen müsse [G/K2; Illig 1/2014, 86].
  • Periode III (Siedlungshorizont III):
    Unbefestigtes Dorf, ca. 16 Holzgebäude nachgewiesen (meist nur ihre Feuerstellen) [WK 32 f.]. Weiss spricht von 100 Bewohnern im 9. Jh. [WK 166], auch von 200 [G/K2]. Im Fundmaterial tritt sächsische Keramik stark hervor, daneben slawisch beeinflusste und slawische [WK 76].
  • Periode IVa (Hammaburg IIIa):
    An demselben Platz eine um ca. 900 gebaute Wall- und Grabenanlage (Innen-Ø 85 – 95 m, dazu bis 16 m breiter Wall und bis 6,50 m breiter  Graben; Gesamt-Ø max. 140 m [WK 35]. Die Innenfläche umfasste ca. 6.360 m² (Weiss schwärmt von „gut 6,7 ha“ [WK 35] also von der zehnfachen Fläche; Kablitz bringt korrekte 0,65 ha [WK 78]). Außerdem Zusatzgräben im Norden und Westen [WK 35]. Damals gab es laut Weiss einen „phänomenalen Bauboom“ [Pohle]. Das virtuelle Modell [WK 168 f., 310 f., 388 f., Nachsatz] lässt „im 10. Jh.“ ca. 50 Häuser hinter einer mächtigen Palisadenwand mit hier nachgewiesenem Wall erkennen, fast 40 Häuser entlang dem Hafen und über 60 Häuser als unbefestigte Siedlung. Da hätten die von Weiss fürs frühe 10. Jh. geschätzten 200 Einwohner viel Wohnraum gehabt [WK 166]. Die nicht nachgewiesene Bischofskirche steht unbefestigt abseits der Siedlung, als gehörte sie zu einer Leprosenstation; das tradierte Kloster fehlt. Der Wall ist in großen Partien aus Soden aufgebaut und steht damit „in spätsächsischer Tradition“ [WK 385]. Und wer bewohnte die Wallanlage? Noch immer fehlt fränkische ‘Importkeramik’ (s. S. 157 f.).
  • Periode IVb (Hammaburg IIIb):
    Die Wallgrabenanlage wird durchgehend verstärkt, so dass sie auf 22 m Breite anwächst; der Vorgang ist nicht datierbar, nur die finale Niederlegung aller Wälle kurz nach 1000 [WK 36], präziser: wohl ein Niederbrennen durch die Obodriten anno 1018 [Franz]. Bis zu dieser Zeit ist kein Sakralbau nachweisbar, nur 19 Hausstellen und 2 Brunnen [WK 36, 81]. Eine Art Hafen ist entstanden, indem die südliche Uferzone aufgeschüttet und mit Kleinhäusern bebaut worden ist [WK 38].
  • Periode V (Heidenwall):
    Die Wallanlage wird zwischen 1000 und 1020 eingeebnet. Der nun den gesamten Geestsporn abriegelnde Heidenwall wird erst im 2. Viertel des 11. Jh. errichtet [WK 40], der Domplatz erlebt „eine Blütezeit“ [WK 69], die kein virtuelles Modell zeigt. „Zum Standort des Domes wurde der Ort erst in Periode V und im Zusammenhang mit der Kirchenbautätigkeit“ [WK 84].
    Im Januar 2015 wurden vom Heidenwall eine ganze Reihe 1.000 Jahre alter Eichen entdeckt, zugleich wuchs diese bislang 300 m [WK 40] lange Verteidigungsanlage deutlich. Neuester Stand: „Die Wallanlage selbst war rund 480 Meter lang, bis zu 24 Meter breit und an die 6 Meter hoch, sagte der Grabungsleiter Kay Suchowa“; ihre Datierung wird dendrochronologisch auf 1023/24 festgelegt [dpa 2015], womit Adam von Bremen widerlegt wird, der 1075 den Bau dem Herzog Ordulf (1059–1072) zuschreibt [WK 301], obwohl ihm dieser selbst den wahren Sachverhalt hätte mitteilen können.
  • Hochmittelalterliche Stadtbefestigung:
    Sie entsteht gut 200 Jahre später, um 1260 [WK 40].

Bei derartigen Befunden scheint Hamburgs Erster und frisch wiedergewählter Bürgermeister Olaf Scholz Recht zu haben, wenn er sein Grußwort mit dem Satz beginnt: „Endlich wissen wir, wo die erste Hammaburg errichtet worden ist. Hamburg ist um eine historisch bedeutende Erkenntnis reicher“ [WK 10].

Bei der großen Ausstellung in Bonn über Troia (Ende 2001 bis April 2002) gab es schwere Vorwürfe, weil das Stadtmodell eine dichtbebaute Unterstadt zeigte, von der jedoch kein Haus archäologisch bestätigt war und der sog. Befestigungsgraben anderen Zwecken gedient haben könnte. Daraus erwuchs in Tübingen die große Auseinandersetzung zwischen Ausgräber Manfred Korfmann und Althistoriker Frank Kolb [vgl. wiki / Troja-Debatte], die Kolb über Korfmanns Tod (2005) hinaus gegen dessen Nachfolger Pernicka fortsetzte. Wer die beiden Hammaburg-Modelle mit ihren frei erfundenen Häusern, Kirchen und Wällen prüft, könnte einen ähnlichen Streit entfachen.

Realer Ansgar

Hamburg beruft sich auf seinen Ansgar (801–865): Bischof von Hamburg, Erzbischof von Bremen-Hamburg, Apostel des Nordens, der in Dänemark und Schweden missionierte und dabei mit Königen verkehrte. Weiss hätte auch diesen Mythos beseitigen können, doch selbst wissenschaftlicher Fortschritt hat seine Grenzen:

  • Ansgar ist keine Fiktion, obwohl er sein Bistum verliert und seine Kirchen in Hammaburg, Haithabu, Ribe und Birka nicht nachweisbar sind [WK 29], „Ansgars Wirken in Hamburg keinerlei gesicherte Spuren hinterlassen hat“ [WK 30] und sein Lebenswerk eigentlich ein dreifaches Scheitern darstellt [WK 34]. Trotzdem ist seine Existenz intangibel, sprich unbestritten und unbestreitbar.

Diözesanadministrator Ansgar Thim hebt das in seinem Grußwort hervor: „Wir wissen: Ansgar ist kein Mythos, ganz im Gegenteil“ [WK 11]. Einziges Zugeständnis: Ansgar hat die Hammaburg nicht gegründet, sondern kam – für nur insgesamt zehn Tage seines Lebens – in die bereits bestehende Hammaburg II [WK 165]. Der Forschungsstand zu Beginn des Kolloquiums wurde als Bekenntnis zur Diplomatik formuliert:

„Die Lebensdaten des Bischofs Ansgar, mit Hamburg verbunden, bilden das Gerüst für die Diskussion, welche Befestigungsanlagen auf dem Domplatz und seiner Umgebung nun von Ansgar seinerzeit besucht, gesehen und vielleicht auch weiter ausgebaut worden waren, zum Beispiel der zweite äußere Ringgraben“ [WK 152].

Insofern müssen wir bei Ansgar und seinem Wirken in der Hammaburg bleiben.

Kirchenkontinuität

In keiner Hammaburg (I – III) konnte eine Kirche nachgewiesen werden. Das führt zu peinlichen Behauptungen, die jeder sonstigen Erfahrung, noch dazu in einer von Wikingern, Sachsen und Slawen bedrohten Gegend Hohn sprechen, zumal die kleine Siedlung nicht auf sächsischer bzw. fränkischer Elbseite, sondern jenseits des Flusses in Nordelbien liegt. Mit leichter Hand gibt sie Weiss den Unbilden der Geschichte preis: eine völlig ungeschützte Kirche in Sichtweite der Burg.

„Das Haus Gottes dagegen sollte doch wohl allen Gläubigen zugänglich und zudem als weithin sichtbares Zeichen der kirchlichen Macht nicht durch Wälle und Tore abgeschottet sein“ [WK 30].

Hatten die Einwohner einen Schutzbrief von den Wikingern, der eine Verschanzung erübrigte? Oder erübrigte sich jeder Schutz, weil der Bischof praktisch immer absent war? Eulenspiegel hätte seine Freude gehabt.

Als Standort hat Weiss sich für den späteren Platz von St. Petri entschieden. Das hat den großen Vorteil, dass er wegen der Überbauung keine Holzkirchenüberreste präsentieren muss. Zur Platzwahl werden einige Überlegungen angestellt [WK 42 f.], außerdem wird freischwebend eine Verbindung über mehr als 300 Jahre fingiert:

„Als Standort [für Ansgars hölzerne Bischofskirche; HI] kommt vor allem der Bereich der erstmals 1195 als Marktkirche bezeugten Petrikirche in Betracht. Deren geistliche Traditionen dürften durchaus bis in die Karolingerzeit zurückreichen.“ [WK 300; Hvhg. HI].

Derartige Mutmaßungen könnten, so man sie ernst nähme, die Arbeit des Archäologen entbehrlich machen. Die Kontinuität wird allerdings ausgeklammert, denn sonst müsste hier an Stelle der Pfarrkirche St. Petri der Dom stehen. Doch der älteste bekannte Kirchenbau ist auf dem Gebiet der Hammaburg I bis III und des späteren Domes nachgewiesen: Vier mächtige Pfosten von je ca. 50 cm x 50 cm wurden früher der Ansgar-zeitlichen Kirche [WK 63], sie werden heute der Holzkirche von Erzbischof Unwan (11. Jh.) zugeschrieben; die Hölzer fluchten wie der mittelalterliche Mariendom, der später an derselben Stelle entsteht. Nachfolger Alebrand (1035–1043) hat den Holzbau durch einen ersten Steinbau ersetzen lassen [WK 44; auch 63, 81 f.]. Zugleich soll als zweiter Steinbau der Stadt die bislang nicht nachgewiesene Bischofspfalz errichtet worden sein [WK 44]. Der sogen. Bischofsturm, dessen Fundament erhalten ist, stammt jedoch nicht aus dem 11., sondern erst aus dem 12. Jh. und wird nun als (Stadt-)Torturm gesehen [WK 44, 134, 136].

Die aus beiden Gräben geborgene Keramik ist sächsisch, nicht fränkisch-karolingisch. Wir müssen uns den wohl in der Pikardie geborenen Franken Ansgar als ‘Einzelkämpfer’ unter sächsischen Fischern vorstellen.


Bischofsliste [wiki / Erzbistum Hamburg]

834– 865 Ansgar
865– 888 Rimbert
888– 909 Adalgar
909– 915 Hoger
916 Reginwart
916– 936 Unni
936– 988 Adaldag
988–1013 Libentius I.
1013–1029 Unwan
1029–1032 Libentius II.
1032–1035 Hermann
1035–1045 Bezelin Alebrand

Das Vertauschen der beiden Kirchen wirkt wie ein leicht zu durchschauender Taschenspielertrick, da bei Rimberts Schilderung die Kirche eindeutig innerhalb der Wälle lag [WK 31] – und Rimberts Ansgar-Vita nicht bezweifelt wird. Deshalb:

„Erst ab diesem Zeitpunkt, ab den 1020er Jahren, ist von einer gesicherten Ortskontinuität bis zum 1807 abgebrochenen Mariendom auszugehen“ [WK 19];

allein der Dom stand auf dem Gelände aller drei Grabenanlagen. Andernorts [wiki / Hamburger Dom (Alter Mariendom)] wird klargestellt, dass der gotische Mariendom 1245 begonnen, 1349 eingeweiht und 1805 abgerissen worden ist und nie Bischofssitz war, weil dieser bereits 845 nach Bremen verlegt worden sei. Nur das Domkapitel sei in Hamburg verblieben.

Die nahe gelegene Hamburger Hauptkirche St. Petri wurde erst 1310 in gotischem Stil begonnen; eine Vorgängerkirche wird 1195 urkundlich erwähnt, die gemutmaßte älteste hölzerne Vorgänger-Kapelle wird am Beginn des 11. Jh. gesehen [wiki / Hauptkirche St. Petri (Hamburg)]. In diesem Lexikon-Eintrag wurden die Weiss’schen Spekulationen rings um die Ausgrabung von 2005/06 mit ihrer vor 850 frei postulierten Holzkirche unter der späteren St. Petri-Kirche bis zum 17. 03. noch nicht berücksichtigt.

Die Suche nach einer Kirche schien besonders wichtig, weil Papst Benedikt V. 964 nach Hamburg in die Verbannung geschickt worden ist, was eigentlich kirchlichen Grundbesitz voraussetzt.

Dass die Herzöge gleichzeitig mit dem Bischof ihre Alsterburg gebaut haben, lässt sich archäologisch nicht bestätigen [WK 46], weshalb sie als „nebelhafte Alsterburg“ bezeichnet wird [WK 49]. Die Neue Burg soll jenseits der Alster 1061 begonnen worden sein. Heuer ist ein wesentlicher Fund gelungen:

„Reste einer Wallanlage […], darunter perfekt erhaltene, fast tausend Jahre alte Eichenstämme mit Rinde […]. Anhand dieser Bäume könne die Errichtung der mächtigen Wallanlage »Neue Burg« auf das Jahr 1023/24 datiert werden […] Demnach wurde gleich nach der Aufgabe der »Hammaburg« die »Neue Burg« errichtet. Diese bildete zusammen mit dem »Heidenwall« im Osten die Verteidigungsanlage der Siedlung, aus der die  Kaufmannsstadt Hamburg hervorgehen sollte. »Die legendäre ›Alsterburg‹ hat also nie existiert«, sagte Weiss“ [dpa 2015].

Es geht um die Fällung vor 1.000 Jahren, nicht um tausendjährige Eichen [Franz]. Es wundert nun nicht mehr, dass sich die alten Berichte Adams von Bremen (um 1075) oder Helmolds von Bosau stark widersprechen [WK 46] und kein stimmiges Bild erzeugen konnten. Zumindest Adam war anderen Grundsätzen als der Wahrheit verpflichtet [WK 282]. Selbst Weiss konstatiert bei ihm die Rückprojektion einer den Billungern feindlichen Haltung, also dem hier beheimateten Adelsgeschlechtes [WK 50].

In diesem Zusammenhang konstatiert der aus Bayern stammende Weiss bei manchem Stadtbewohner Anzeichen „einer gewissen hamburgischen Froschperspektive, aus der heraus sich der Wahrnehmungshorizont bereits jenseits der Alster zu krümmen beginnt“ [WK 50]. Erfreulich, dass wenigstens die Ausgräber tief unten in der Grabung die große Perspektive bewahrten.

Hamburgs Entwicklung vom 8. bis ins späte 12. Jh. scheint überaus langsam gelaufen zu sein: Es steigert sich in diesen über 400 Jahren hinweg mühsam von 100 auf 600 bis 800 Einwohner [WK 51]. Das sollte bei Bischofs- und Herzogssitz bedacht werden. Die Stadt formt sich erst ab Graf Adolf III. von Schauenburg (1160–1225), der 1188 die Neustadt gründet, wofür 1265 ein auf Barbarossa und 1189 rückdatiertes Privileg gefälscht wird. Da auch erst 1224 das umstrittene Doppelerzbistum Hamburg-Bremen bestätigt worden war [WK 51], darf man festhalten, dass die Freie Stadt Hamburg vor 1188 keine nennenswerten Wurzeln hat, was angesichts der dörflichen Einwohnerzahl nicht verwundern kann. Immerhin ist ihr 965 durch Otto I. das Markt-, Münz- und Zollrecht übertragen worden, das ja bereits Rimbert erhalten haben sollte [WK 52], womit nicht nur die Urkunde von 834, sondern auch eine von 888 als Fälschung hinfällig wird. Und Rimbert selbst? Er bleibt intangibel wie Ansgar.

Ansgar und die Bistumsgründung

Hier geht es primär darum, ob ein karolingerzeitliches Ansgar-Bistum vor der Kritik Bestand hat. Es genügt hierzu ein längeres Zitat von Stephan Freund:

„Insbesondere in der Lebensbeschreibung Ansgars, die dessen aus Kloster Torhout stammender Schüler und Nachfolger Rimbert in den Jahren zwischen 865 und 876 aufgezeichnet hat, wird in aller Ausführlichkeit eine regelrechte Gründungsgeschichte des (Erz-)Bistums Hamburg geboten, die dessen Existenz bis auf Karl den Großen zurückführen soll.
Neueste Forschungen zu den Urkunden Ludwigs des Frommen haben nun aber für die Frühgeschichte Hamburgs weitreichende Folgen: Bei Ludwigs Diplom handelt es sich um eine Fälschung, die vermutlich in der Zeit zwischen 889 und 893 angefertigt worden ist. Der in der ge- bzw. verfälschten Form erstmals im 12. Jahrhundert überlieferten Urkunde liegt allerdings ein eng umgrenzter echter Kern zugrunde. Demzufolge wurde die Ernennung Ansgars zum Missionsbischof durch Ludwig den Frommen im Jahr 834 bestätigt. Zugleich wurde ihm die in Flandern gelegene (Kloster-)Zelle Torhout als wirtschaftliche Grundlage übereignet. Alle anderen Angaben, so insbesondere die Behauptung der Gründung eines Erzbistums in Hamburg, sind dieser Neueinschätzung zufolge Teil der späteren Fälschung. Bestimmte Formulierungen der Urkunde greifen auf Rimberts Vita Anskarii zurück. Insbesondere die folgenschwere und detailreiche Gründungsgeschichte des (Erz-)Bistums Hamburg, der man bis ins 21. Jahrhundert hinein Glauben geschenkt hat, wurde in der Vita durch Rimbert geschaffen, um Rechte seines Bremer Sitzes gegenüber dem Metropolitansitz in Köln zu stärken.
Der Nachweis, dass es sich bei Ludwigs Urkunde um eine Fälschung handelt, hat zudem zur Folge, dass das seit Langem unter Fälschungsverdacht stehende, im 12. Jahrhundert erstmals in der Überlieferung auftauchende Diplom Gregors IV. [von 834] ebenfalls als ge- oder verfälscht anzusehen ist und als Zeugnis für die frühe Hamburger (Kirchen-)Geschichte ebenso ausscheidet. Somit bleibt zu fragen, was überhaupt als historisch gesichert gelten kann.“ [WK 213; fettkursive Hvhg. HI]

Manches muss der Archäologe widerwillig einräumen: Von Ansgars Kirchen in Birka, Ribe (s.u.), Hedeby und Hamburg (Bischofskirche und Taufkirche = Heridag-Kirche) konnte bislang keine lokalisiert werden [WK 237]. Auch sonst gibt es keine Spuren seines irdischen Wirkens. Das ficht aber nicht an. Andres Dobat motiviert Ansgars Handeln mit den „wirtschaftlichen Interessen der kirchlichen Machtelite des karolingischen Reiches“ [WK 242], Gerd Althoff erfreut sich am „Sendungsbewusstsein der führenden Personen“ [WK 243].

„Dass Karl der Große tatsächlich ein Erzbistum in Hamburg plante, wird in der Forschung überwiegend bestritten. Vgl. zuletzt Wavra 1990, 241 f., die zwar den Plan Karls für eine Bistums-, nicht jedoch für eine Erzbistumsgründung in Hamburg für wahrscheinlich hält“ [Scior in WK 289].

So ist die Frage nach dem (Erz-)Bistum Hamburg bereits bei Historikern und Paläographen angelangt. Drei solche prallen hier aufeinander. 2011 publizierte Eric Knibbs sein Buch „Ansgar, Rimbert und die gefälschten Grundlagen Hamburg-Bremens“ [WK 255], in dem die These weiterentwickelt wird, dass Ansgar erst in Bremen ein vereintes Bistum erfunden habe, während Gerhard Theuerkauf überzeugt ist, dass diese Erfindung von Rimbert stamme. Für die Ausstellung werden die „diametralen Ergebnisse“ [WK 256] von Henrik Janson und Theo Kölzer gegenübergestellt. Während Knibbs der  Meinung ist, Ansgar selbst habe die Urkunde Ludwigs gefälscht, worauf sich Rimbert bei Abfassung der Vita Anskarii gestützt habe, sieht Kölzer eine erste Fälschungsaktion nach Rimberts Ansgar-Vita und vor einer Fälschung zugunsten der Hamburger Kirche, die Anfang des 11. Jh. produziert worden sei. Bei der Herausgabe der Urkunden Ludwigs des Frommen hat Kölzer außerdem die frühen Gründungsdaten der Bistümer von Halberstadt (814) und Hildesheim (815) als Fälschungen entlarvt. Trotzdem möchte er möglichst wenig von der Kirchenlandschaft zerstören. So bleibt Ansgar real, kann aber bis 845 nur ein Missionsbischof mit einem bescheidenen Missionsstützpunkt in Hamburg gewesen sein, „aber nie (Erz-)Bischof von Hamburg“ [WK 260]. Wieder einmal ist daran zu erinnern, dass Kölzer zur Frage gefälschter frühmittelalterliche Urkunden 1997 noch ganz andere Positionen eingenommen hat [Kölzer, 491]:

„obwohl ich Herrn Illig dankbar sein müßte: Durch seine Eliminierung größter Teile der frühfränkischen Geschichte wäre ich eigentlich der Mühe enthoben, die kritische Edition der merowingischen Königsurkunden fertigzustellen, die vor dem Abschluß steht. Über diese vermeintlichen Phantome mag Herr Dr. Illig ein weiteres Buch schreiben.“

Er hat davon unbeirrt die Edition zu Ende gebracht, sich aber bereits vorher im Spiegel als Deutschlands bester Fälschungsaufdecker feiern lassen, der weitere 20 merowingische Königsurkunden als Fälschungen erkannt hat [vgl. Illig 1998]. Darauf wandte er sich den Urkunden Ludwigs des Frommen zu, an denen alle bisherigen Herausgeber gescheitert waren, und fand auch hier immer neue Fälschungen. Für diese Edition läuft derzeit die Schlusskorrektur; auf sie kann er bereits zurückgreifen. Die Paläographen sind zerstritten. Janson [WK 268] hält von den Arbeiten Knibbs’ gar nichts:

„Die Theorie, dass die frühsten Dokumente der Geschichte Hamburg-Bremens Ergebnis eines gigantischen Fälschungsprojekts von Ansgar und Rimbert sind, kann meiner Ansicht nach getrost verworfen werden“.

Er hält aber auch nichts von Kölzers Ideen, denn der Papst machte Ansgar

„tatsächlich zum Erzbischof, indem er ihm das pallium verlieh, allerdings nur über die Nordalbingi. Er ernannte ihn auch zum päpstlichen Legaten, aber diese Ehre blieb auf Ansgar persönlich beschränkt und erstreckte sich nicht auf seine Nachfolger“ [WK 274].

Selbstverständlich sehen Diplomatiker und Paläographen keinen Grund, ihren eigenen Primat anzuzweifeln. Sonst würde Bocks Verdikt gelten:

„Aufgrund der vergleichsweise geringen Ausdehnung der Innenfläche der Hammaburg ist dort ein geistlicher Bezirk mit eigener kirchlicher Gerichtsbarkeit, wie ihn eine Kathedralkirche kirchenrechtlich erforderte, auszuschließen“ [WK 299].

Die Archäologen fordern für sich keinen Primat ein, passen sich dem diplomatischen Urteil an und suchen die Bischofskirche außerhalb des Ringwalls, ungeschützt vor Wikingern und anderen ‘gewaltbereiten Heiden’ [ebd.].

Volker Sciors Artikel [WK 280-290] schließt im Buch direkt an und leistet Aufklärung, ohne dass es ihm vielleicht bewusst ist. Denn er beschäftigt sich mit der Hamburgischen Kirchengeschichte des Adam von Bremen, geschrieben um 1075. Adam garantierte „die frühe erzbischöfliche Stellung Hamburgs“, indem er sich auf Ludwig den Frommen, Gregor IV. und Rimberts Vita Anskarii bezog. Anstelle den naheliegenden Schluss zu ziehen, dass erst im 11. Jh. das frühe Bistum Hamburg erfälscht worden ist, bemüht sich Scior um das Stimmigmachen inkompatibler Texte, obwohl er weiß, dass sich Adam „in eine lokale – nämlich Bremer – Tradition ein[ordnet], die eigene Geschichte zu verfälschen“ [WK 282]:

„Damit stellt sich zugleich die Frage, ob Adam – der ja wie in den genannten urkundlichen und hagiographischen Verfälschungen von einer frühen Gründung eines Erzbistums Hamburg schreibt – knapp 200 Jahre später die Fälschungen nicht als solche erkannt hat, oder ob er deren Aussagen übernahm, weil sie in seine Tendenz passten. Allein die Frage, ob es sich bei den Urkunden und den Aussagen in der Vita Anskarii um eine »plumpe Fälschung« handelte und sich Adam bei der Gründungsdarstellung »im wesentlichen« an seine Quellen hielt, ist dabei nicht weiterführend. Vielmehr muss man dann nach den Gründen für die Tendenz in Adams Darstellung suchen, zumal er auch noch andere ge- und verfälschte Aussagen übernahm. Die von Adam als Argument herangezogene Urkunde für Bremen etwa stammt höchstwahrscheinlich aus den Jahren 1056– 1062 und ist somit erst während des Pontifikats Erzbischof Adalberts und kurz vor der Berufung Adams nach Bremen entstanden“ [WK 281 f.].

Scior kennt auch gewichtige Motive:

„Ansgar ist als Missionar und Erzbischof für Adams Argumentation außerordentlich wichtig, weil er dreierlei garantierte: 1. eine frühe Gründung des Erzbistums Hamburg. 2. eine frühe Zuständigkeit Hamburgs für die Mission im Norden und 3. Missionserfolge im Norden“ [WK 285].

Trotz Einsatz massiver Fälschungen ließ sich an der Elbe nicht lange auf Ansgar bauen: 1104 wurde mit Lund ein eigenes Erzbistum im Norden gegründet. Was war dort vorausgegangen? Mangels Ansgar oder Rimbert findet die Christianisierung hier deutlich nach 1000 statt. 1060 wird Lund Bistum, um bereits 1066 dem Erzbistum Hamburg-Bremen unterstellt zu werden. Ab 1085 entstand die erste Bischofskirche. Von 1103 bis 1145 wurde dann der steinerne Dom im romanischen Stil erbaut – seine Krypta weihte 1123 kein Erzbischof Ansgar, sondern Erzbischof Asker ein [wiki / Dom zu Lund].

Bei dem Historiker Günther Bock greift der Fälschungsverdacht noch weiter aus:

„selbst die von Adam überlieferte angebliche Urkunde Karls des Großen des Jahres 788 samt dem dort mitgeteilten, auf Kosten der Verdener Kirche für die Bremer Diözese günstigen südelbischen Grenzverlauf erwies sich als »Fälschung ohne echte Vorlage«. Gleiches wird inzwischen auch für den von Adam überlieferten Text des sogenannten Limes Saxoniae angenommen, der eine weiter östlich verlaufende nordelbische Grenze des Erzbistums festschreiben sollte und damit als Pendant zu der auf 788 gefälschte Urkunde verstanden werden kann“ [WK 291].
„Der Limes Saxoniae hat weder etwas mit den Verhältnissen zu Zeiten Karls des Großen zu tun noch mit denen unter Kaiser Otto dem Großen anderthalb Jahrhunderte später“ [Blase].

Die Abfassung des Textes (von 788) wird heute erst im 11. Jh. gesehen [WK 441]. Im Hammaburg-Buch stellt Bock außerdem fest:

„Als historische Quelle veranlasst uns das Hamburger Elfenbeinevangeliar, speziell dessen Widmungseintrag, zu weitgehenden Korrekturen der bislang gültigen Geschichtsschreibung Hamburgs und des Unterelberaumes, die hier nur angerissen werden können. Die altbekannte Feindschaft zwischen dem billungischen Herzogsgeschlecht und den Hamburg-Bremer Erzbischöfen lässt sich vor dem Pontifikat Bezelin Alebrands (1035–1043) weitgehend als Konstrukt des Historiografen Adam von Bremen bewerten“ [WK 307].

Für die Billunger Grafen (Herzöge waren sie erst ab 936) wollen wir uns hier nicht weiter interessieren, da die Jahreszahlen des zweiseitigen Tableaus erst 929 einsetzen, bis 1191 reichen [WK 292 f.] und damit nichts für oder gegen die erfundene Zeit bringen.

Ribe als Aufenthaltsort Ansgars

Der Archäologe ruht nicht. Von 2008 bis 2012 wurde im dänischen Ribe, der ältesten Stadt des Landes, mit der ältesten Domkirche

„ein großes christliches Gräberfeld nachgewiesen, auf dem die frühesten Bestattungen im 9. Jahrhundert vorgenommen wurden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um den Friedhof zu Ansgars Kirche, und der Dom von Ribe kann somit seine Ursprünge in gerader Linie bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts zurückführen“ [WK 220].

‘Dummerweise’ blieb man auch nach der Bistumsgründung von 948 bei hölzernen Dombauten. Erst 1100, 1110 oder 1150 – Wikipedia nennt diese Jahreszahlen [en.wiki / Ribe Cathedral; / Ribe; wiki / Dom zu Ribe] wurde der steinerne Dom von Ribe begonnen, „aus rheinischem Tuff und Wesersandstein erbaut […], welcher als Ballast in Handelsschiffen in die westjütländische Stadt kam“ [Roesdahl, 159].
„Die erste sicher dokumentierte Steinkirche des Nordens wurde um 1027 in Roskilde errichtet. […] Um 1060 erhielt Dänemark eine feste Kirchenorganisation mit einer Diözesaneinteilung, die der dänische König mit dem Erzbistum in Hamburg-Bremen ausgehandelt hatte“ [Roesdahl, 158].
„Im Jahre 1103 wurde Lund gegen den erbitterten Widerstand des Erzbistums Hamburg-Bremen zum Erzbistum für den gesamten Norden und die Inseln im Atlantik erhoben“ [ebd. 159].

„▲Internationale Handelsplätze des 9. Jhs. im Norden • Städte im Norden um 1200. In Finnland, Island, den Färöern und Grönland gab es zu jener Zeit keine Städte. Während des gesamten Mittelalters war Trondheim die nördlichste Stadt Skandinaviens“ [Roesdahl, 130]. Den Plätzen des 9. Jh. können kaum Fundstücke zugeschrieben werden.

„▲Internationale Handelsplätze des 9. Jhs. im Norden
• Städte im Norden um 1200. In Finnland, Island, den Färöern und Grönland gab es zu jener Zeit keine Städte. Während des gesamten Mittelalters war Trondheim die nördlichste Stadt Skandinaviens“ [Roesdahl, 130].
Den Plätzen des 9. Jh. können kaum Fundstücke zugeschrieben werden.

Obwohl sein hölzerner Dom damals fast fertiggestellt war, wurde sofort mit einem Steinbau begonnen, der gegen 1180 fertig wurde [ebd.]. Gerade im Vergleich zu Hamburg und Bremen nährt dieser Beginn im 11./12. Jh. den Verdacht, dass auch Bistumsgründungen des 10. Jh. nördlich der Elbe erfunden sein könnten.

Ribes Gräberfeld umfasst ca. 9.000 m² (deutlich mehr als die Fläche der Hammaburg III im 10. Jh.), „dessen Gräber als christlich betrachtet werden müssen“ [WK 245 f.] – oder es „muss als wahrscheinlich angesehen werden“ [WK 247]. Sie werden von 14C-Messungen bis ins 9. Jh. zurückverwiesen. Allerdings sind auch mehr als 40 heidnische Gräber [WK 247] freigelegt worden, die dem 8./9. Jh. zugerechnet werden [WK 248]. Hier ist sogar eine Stratigraphie möglich: Die Gräber sind in die ursprünglichen Humusschichten eingetieft, gegen 1050 ist der große Friedhof „von Kulturschichten versiegelt“ worden. Darüber bildeten sich Schichten zwischen 3 und 4,5 m Höhe, die rings um den Dom anwuchsen. Von ihnen wurde er kurz vor 1900 befreit, worauf er wie „in einem Loch lag und dadurch von der umliegenden Stadt abgegrenzt wurde“ [WK 248].

„Vieles deutete darauf hin“, dass Ansgars Kirchenplatz gefunden worden ist [WK 246]; allerdings deuten 2.000 bis 3.000 Bestattungen [WK 253] auch darauf hin, dass hier sehr lange begraben worden ist. Dies ist kaum zu erklären, muss doch Ribe sogar noch kleiner als die Hammaburg gesehen werden. Stadtrechte erhielt es wohl erst im 13. Jh.; im 15. Jh. hatte es mit 5.000 Einwohnern nur halb so viele wie Hamburg. Heute wird es von 8.000 Menschen bewohnt; das war die Einwohnerzahl Hamburgs im 14. Jh. [G/K1, 84].

Auch wenn es die Forschung gerne anders hätte: Für Ansgars Dom und die weiteren Holzbauten liegen auch in Ribe keine Nachweise vor. In Birka gibt es ohnehin nur ein berührendes, aber historisch wertloses Gedenkkreuz für Ansgar. 30 km nördlich entstand um 1060 in Sigtuna ein Bischofssitz. Dazu wird 1992 in einem Wikinger-Katalog ausgeführt, an dem Rainer-Maria Weiss bereits mitgearbeitet hat:

„Aber nur wenige Dutzend Kilometer weiter nördlich blieb die Bevölkerung noch weitgehend heidnisch, bedingt durch die Nachbarschaft zur  letzten starken Bastion der Heiden, dem alten Zentralheiligtum der Svea bei Gamla (Alt) Uppsala. Hier standen die großen blutigen Opferfeiern noch in voller Blüte, als der Kleriker Adam von Bremen gegen 1070 die nordischen Länder beschrieb. Der heidnische Kult zu Uppsala hielt sich bis etwa 1100, doch schließlich obsiegte das Christentum in ganz Skandinavien“ [Roesdahl, 155].

Ansgars Wirken

Ansgars Wirken ist weiterhin nicht leicht zu belegen: Missionserfolge Ansgars im Skandinavien des 9. Jh. sind „wenn überhaupt, dann nur an wenigen Orten zu fassen“ [WK 150], die Hamburger Christianisierung durch Ansgar war kein archäologisches Thema, während das Problem des Erz-/Bistums „von einiger Sprengkraft“ war [WK 150].

Allen Ernstes hält dazu Heiko Steuer als „Forschungsstand“ fest, dass Ansgar im Raum Hamburg eine von Karl d. Gr. um 810/11 erbaute Kirche vorgefunden habe [WK 153], während die Schriftüberlieferung mit civitas, urbs und vicus mehrdeutig ausfalle [WK 153]. Erstaunlich fiel auch manch’ andere Argumentation aus:

„Dass tatsächlich keinerlei Bebauung im Inneren [der Ringgrabenanlage; HI] nachgewiesen werden konnte, so Rainer-Maria Weiss, spricht – so meine ich – nicht gegen die Anwesenheit von Ansgar; denn die Ringgrabenanlage war sicherlich nur ein kleiner Teil des gesamten damaligen Hamburg; und wieder kann man darauf hinweisen, dass weder in Haithabu, noch in Birka trotz großflächiger Ausgrabungen ein kirchliches Zentrum entdeckt werden konnte“ [Steuer in WK 155].

Weil also in Hamburg keine Ansgar-Kirche entdeckt werden konnte, darf man seine Anwesenheit irgendwo vermuten, zumal ja auch seine beiden anderen Kirchengründungen nicht nachzuweisen sind. Hier wird die Logik zugunsten von Ansgar aufgegeben. Immerhin erkannte Scior, erst Adam von Bremen habe den Mythos Hammaburg für die Bistums-Chroniken erfunden [WK 156].

Im Verlauf der Diskussion scheinen sich die Archäologen den Historikern gebeugt zu haben. Wie sonst wäre folgende Feststellung zu interpretieren:

„Den Archäologen überzeugt, dass anhand der schriftlichen Überlieferung der Ort Hammaburg einen gewissen Rang und eine wahrnehmbare Ausstattung gehabt haben wird, gerade weil Ansgar dorthin geschickt worden ist“ [WK 16086-95].

Da hätte gar nicht erst gegraben werden müssen. Und das bedenkliche Fazit:

„Die Hammaburg im Muster der anderen Plätze der gleichen sächsischen Zeit zu betrachten, zwingt geradezu, Ähnliches trotz Fehlens archäologischer Belege anzunehmen – ein Fazit von Rainer-Maria Weiss“ [WK 159].

Dem Analogieschluss wird häufig Beweiskraft zugebilligt (die jedoch bestenfalls nur bedingt gegeben ist)“ [wiki / Analogismus] – hier wird er als zwingend erachtend, den Archäologen übertrumpfend. Immerhin scheint einigen wenigen Teilnehmern geschwant zu haben, dass ‘Ansgar’ zu jenen Fiktionen gehört, mit denen die Christianisierung Mitteleuropas ‘personalisiert’ worden ist:

„Doch könnte man weiterhin vom »Mythos Hammaburg« sprechen, vor allem, wenn man die Ansicht von Historikern berücksichtigt, die Ansgar in der Hammaburg selbst fast als Phantom betrachten, als Erfindung seiner Rolle durch Adam von Bremen erst im 11. Jahrhundert, weil keine Bebauung, keine Kirche und keine Bischofsresidenz gefunden werden konnte und Ansgar selbst vielleicht nur wenige Tage am Ort gewesen ist“ [Steuer in WK 165; Hvhg. HI].

Das könnte auch anlässlich seiner Heiligsprechung gemutmaßt werden. Der Wikipedia-Artikel über Ansgar spricht zwar vom Heiligen, aber nicht von der sonst immer erwähnten Heiligsprechung. Laut Ökumenischem Heiligenlexikon erhob ihn zu einem unbekannten Zeitpunkt Papst Nikolaus I. zur Ehre der Altäre. Da Ansgar 865, der Papst 867 stirbt, kommen dafür nur drei Jahre und eine ‘Blitzkanonisierung’ in Betracht. Es dauerte dann bis 1952, dass sich die Russisch-Orthodoxe Kirche entschloss, ihn heilig zu sprechen.

Detailprobleme

Gab es eine karolingische Hammaburg? War die erste spätsächsisch, die zweite aber karolingisch und damit fränkisch beeinflusst? Fränkisch unter dem Aspekt, dass die Karolinger jenseits der Elbe einen Brückenkopf installierten, der dann nicht nur von Sachsen und/oder Slawen bewohnt gewesen wäre – sofern man nicht davon ausgeht, dass ein Missionsbischof ohne jede Begleitung bestenfalls einen mehrtätigen Zwischenstopp eingelegt hätte. Ausgräber Kablitz weiß, dass die Verfüllung des inneren Grabens keine slawische Ware enthielt, sondern „ausschließlich lokale sächsische Gefäßkeramik“, die an solche des 6. bis 8. Jh. erinnert. Sie liefert auch die Datierungen: Der älteste Graben bestand im 8. Jh. und wurde gegen 800 verfüllt. Doch auch beim Füllgut des jüngeren Grabens „herrschen sächsische Gefäßreste vor […] Erstmals tritt jetzt slawische und slawoide Keramik auf“ [WK 74; auch 94]. Keramische Hinweise auf Franken fehlen.

Felix Biermann versucht trotzdem, die Verbindung zu fränkischen Burgen herzustellen. Die Unterschiede werden sehr deutlich: Bei ihnen existierten Trocken- und Mörtelmauern rings um sehr großen Grundflächen von 5 bis 15 ha [WK 314]. Um trotzdem Vergleiche zu ermöglichen, wird sogar die sonst geschätzte 14C-Datierung kritisiert:

14C-Daten bieten mit ihren weiten Datierungsspannen und ihrer Fehleranfälligkeit vage Hinweise, aber keine belastbare Grundlage für die hier notwendigen, auf Jahre oder wenigstens Jahrzehnte genauen chronologischen Einordnungen“ [Biermann in WK 314].

Das wird erinnert werden. Die slawischen und sächsischen Burgen werden hingegen auf nur zwei Seiten abgehandelt; der Text von Jens Schneeweiß schließt obendrein mit Esesfelth, der angeblich ersten fränkischen civitas nördlich der Elbe [WK 25, 317]. Rimbert benennt auch die Hammaburg als civitas [WK 319], was wie eine gewollte Hochstapelei wirkt. Bei den ‘karolingischen’ Burgen braucht es keine Übersteigerungen, besitzen sie doch zum Teil Römermauern und sind von beträchtlicher Größe. Kleinere Burgen ähnlich der Hammaburg gelten hier eher als kleine Adelsburgen:

„Auf kleinen Burgen und Kleinburgen unter 0,5 ha [Wir verstehen jetzt, warum sich Weiss mit 6,7 ha um den Faktor 10 bei der Hammaburg verrechnet hat; HI] ist es schon aus Platzgründen nicht möglich, zentrale Einrichtungen, insbesondere Handwerk und Gewerbe für größere Bevölkerungsgruppen unterzubringen“ [WK 342].

Wenn nicht einmal Handwerker Platz fanden, wohin sollte dann die auf sie angewiesene Geistlichkeit?

Zurück zu Kablitz. Wenn der von ihm vorgeschlagene, bis 8 m breite Wall die Hammaburg II umgeben hat, dann bleibt nur eine nutzbare Innenfläche von ca. 2.300 m². Damit wäre gegenüber Hammaburg I fast keine Innenfläche, nur mehr Sicherheit für die wenigen Häuser gewonnen worden. Die Fläche entspricht dem „Größenbereich sächsischer und auch slawischer Ringwälle des 9. und 10. Jahrhunderts“ [WK 75]. Wenn wir uns von der Zwangsvorstellungen ‘Karls-gegründet’ und ‘Ansgar-zeitlich’ trennen, dann liegt eine sächsisch-nichtchristliche Siedlung vor, bei der das Fehlen einer Kirche völlig normal ist.

„Die Domplatzsiedlung erscheint damit als Teil einer weiträumigen Großsiedlung des 9. Jahrhunderts und legt zusammen mit den Befunden aus dem Westen Zeugnis von der raschen Erholung Hamburgs nach den Zerstörungen durch die dänischen Wikinger im Jahr 845 ab“ [WK 77].

Tatsächlich ist die Domplatzsiedlung keine des fränkischen Ansgar, sondern bald eine slawische: Die im Siedlungshorizont III gefundene Keramik aus Sukow, Feldberg und Menkendorf [WK 76] stammt aus dem slawischen Mecklenburg, nicht aus sächsischen oder gar fränkischen Landen. Auch jetzt kann noch keine Rede sein von einem fränkisch-sächsischen Bischofssitz. Die vorangegangene Wikingerzerstörung von 845 konnte von den Ausgräbern nicht bestätigt werden; sie ist von Chronisten erfunden worden. Gibt es wenigstens in Hammaburg III (Periode IVa und b) fränkische Keramik?

„Aus dem Wallkörper und aus den Burgwallhorizonten im Innenraum der Befestigungsanlage liegt neben sächsischer unverzierter Gebrauchskeramik slawische Ware der Typen Feldberg und Menkendorf sowie slawisch beeinflusste Keramik der Hamburger Typen A und B vor, die sich dem 9. und 10. Jahrhundert zuordnen lässt“ [WK 79].
Typ B: „Sächsische Kugeltöpfe mit slawischem Wellenmuster“ [WK 98].

Direkt darüber fand sich Keramik des 11. Jh. Insofern wird die Zeit des Heidenwalls korrekt nach 1025 gesehen. Aber bis dahin gibt es keine Spuren fränkischer Bewohner. Erst mit Hammaburg III (= Periode IV) weisen zwei Glockengussgruben auf kirchliche Aktivitäten hin. Sie zählen zusammen mit den vier wie der spätere Dom fluchtenden Holzpfosten als gute Indizien für einen Kirchenbau. Nachdem vorher keine Christianisierung bei den Sachsen zu erkennen ist, könnten hier erstmals fränkische Einflüsse vorliegen, doch in den entsprechenden Passagen [WK 81-84] wird auch hier keine entsprechende Keramik genannt!

Zwischenergebnis zur Keramik: Alle drei Wallanlagen und der zeitlich dazwischen liegende Siedlungshorizont III sind sächsisch und slawisch beeinflusst, wie das auf dem Ostufer der Elbe auch zu erwarten ist. Damit erledigen sich alle literarischen Erfindungen zu einem karolingischen Ansgar, der allenfalls zehn Tage in seinem Bistum verbracht hätte [G/K2], und zu (s)einem (Erz-)Bistum vor 1025. Die Einebnung der dritten Wallburg und der großräumig absperrende Heidenwall lassen erstmals linkselbischen Einfluss erkennen. Die 14C-Daten helfen bei der Datierung nur bedingt weiter [WK 86-95]. Torsten Kempke [WK 96-107] betont anschließend: Vom 8. bis zum frühen 11. Jh. liegen Scherben von mehr als 1.000 Gefäßen vor, 75 % sind als spätsächsisch anzusprechen, 10 % als friesischer Import, weitere 10 % als slawisch [WK 96]. Da bleibt kein Platz für irgendwelche fränkische Keramik.
Elke Först [WK 111-129] präsentiert zehn weitere Grabungen in der Altstadt, bei denen es sich aber nur um kleine Grabungsschnitte seit 1948 handelt. Hier wurde fränkische Keramik wie Badorfer und Pingsdorfer gefunden (Badorfer deckt die Karolingerzeit bis 900 ab, um im 13. Jh. wieder aufzutreten, während Pingsdorfer von 900 bis ins frühe 13. Jh. reicht [WK 442]. Bei Wikipedia [/ Badorfer Keramik; / Pingsdorfer Keramik] reicht Badorfer bis ins 10. Jh., während Pingsdorfer im späten 9. Jh. einsetzt; sie haben damit eine zeitliche Schnittmenge). Dann geht es primär um sächsische, slawische und slawoide Keramik, die obendrein in Schichtpaketen liegt, die durchwegs künstlich aufgebracht worden sind, um die sumpfige Uferzone begehbar zu machen [WK 118]. Sogar eine nicht beschriebene, aber auf 1020–1040 datierte Münze war mit spätslawischer Keramik vergesellschaftet [WK 127]. Der Siedlungsplatz ist auch zur Jahrtausendwende noch sehr klein. Die Zeit der Christianisierung scheint in Hamburg erst deutlich nach 950 einzusetzen, trotz des 964 hierher verbannten Papstes Benedikt V.

Tatingerkannen [WK 117] – benannt nach einem nordfriesischen Fundort – waren sicher die auffälligsten Keramikwaren ihrer Zeit. Meist schwarzgrundig waren sie mit hellsilbernen Zinnfolien belegt, die Kreuze, Dreiecke und Rauten zeigten. Die häufigste Form hat eine Ausgusstülle und einen Bandhenkel. Sie werden gerne dicht bei 800 datiert, aber außerhalb der Karlslande gibt es auch weitergreifende Zeitintervalle, etwa für die Kanne aus Grab 597 im schwedischen Birka, die ins „9./10. Jh.“ datiert wird [tating; auch Axtmann].

Neben den bereits 1956 entdeckten 22 Fragmenten der Kanne, ca. 70 m westlich vom Domplatz [WK 220], gibt es an ausstellungswürdigen Preziosen nur noch eine Kreuzfibel „aus Buntmetall mit verschiedenfarbigen Glaseinlagen“. Nicht nur der Kanne wird als Herkunftsgebiet Mainfranken um 800 bescheinigt [WK 226], auch die Kreuzfibel soll bei gleicher Zeitstellung vom Main, vielleicht aus Karlsburg stammen. Dabei gibt es ein ganz ähnliches Vergleichsstück, das jedoch aus Troyes stammen soll, ebenfalls aus der „Gruppe der »Kreuzfibeln mit drei Eckrundeln«“ [WK 229].
Zu dieser Gruppe gehören die Kreuzfibeln von Münster und Ingolstadt nicht, aber es fällt auf, dass an diesen drei Orten jeweils eine kleine Fibel für die Karolingerzeit bürgt, andernorts gerne ein vereinzelter Karlsdenar. Als Beleg für Christianisierung wird die Hamburger Fibel ebenso wenig wie die von Ingolstadt herangezogen, anders als in Münster, wo sie die Liudger-Vita illustriert (793 Klosterbau, 805 Bischofsernennung), obwohl sein Residenzort damals noch gar nicht bestand [Presseamt 2004]. Vielleicht deshalb wird die Fibel von Münster seit 2005 eher in einem Fundkontext der Zeit um 900 gesehen [WK 234, Fn 67].

Im Umkreis der Hammaburg

Da dem Kolloquium die Frage zentral war, ob die winzige Hammaburg im 9./10. Jh. ein Zentralort gewesen sei, greift das Begleitbuch nun ins Hinterland Hamburgs aus, um Parallelen aufzuspüren. Da sich die Fundsituation im nordelbischen Hamburg und dem südlichen Holstein als ausgesprochen dürftig darstellt [Wirsching], geht es zunächst um archäologische Zeugnisse südlich der Elbe. „Die Vorstellung karolingischer Domburgen in Sachsen […] ließ sich mit archäologischen Mitteln bislang nicht zufriedenstellend verifizieren“ [WK 149]. Als Fallbeispiele werden Wulfsen und Tangendorf, Ashausen und Stelle, Maschen und Hittfeld-Karoxbostel gewählt (nachdem Hamburg selbst nur ein nachgewiesenes Gräberfeld des Frühmittelalters besitzt [WK 173]). Es ist nicht überraschend, dass hier Sächsisches und Friesisches dominiert, Slawisches beigemengt und noch keine Christianisierung zu erkennen ist (Waffenbeigaben, Pferdebegräbnisse).

Mit speziellen Feinheiten wartet „Der ländliche Raum in spätsächsischer Zeit auf“. Festgehalten wird, dass „zumindest punktuell mit einer Siedlungsdichte gerechnet werden kann, die der heutigen nicht nachsteht“ [WK 179], und dass slawische Keramik „im Hinterland in einem zwar nur dünnen, aber dennoch flächendeckenden Fundschleier vorhanden ist“ [WK 180]. Es gibt hier auch noch die Präzisierung: „agrarisch geprägtes Hinterland“ [ebd.] – was immer das alles bedeuten mag (eine punktuell erfasste Siedlungsdichte, ein ganz dünner, aber flächendeckender Fundschleier über einem agrarisch geprägten Hinterland, wohl abseits der Metropolen mit ihren Bürotürmen, Fabriken etc…). Um die Hammaburgen vergleichen zu können, wären spätsächsische Befestigungen erwünscht, doch solche sind so rar, dass sie zu Vergleichen nicht zur Verfügung stehen. Kandidaten werden abwechselnd Karl ab-, andere ihm zugesprochen [WK 182-187].

Es kommt ständig vor, dass nach Schriftzeugnissen datiert wird; davor hat Wolfgang Hübener schon 1978 vergeblich gewarnt:

„Die (…) mittelalterliche Archäologie hat in der Freude über ihre in der Tat beachtlichen Erfolge die Datierung und die Klassifizierung (….) [von] Befunden zu stark nach den schriftlich überlieferten grundsätzlichen Ereignissen und Möglichkeiten ausgerichtet“ [Ludowici in WK 187; seine Ergänzungen].

Heute sieht Janson noch ganz ähnliche Probleme:

„Bei Aufnahme seiner Arbeit an der Germania Pontificia hatte [Theodor] Schieffers Kollege Heinrich Büttner vorgeschlagen, dass man sich bezüglich »Echtheitsfragen« sofort miteinander abstimmen sollte, »denn ein einzelner kann sich dabei, durch eine überraschende Beobachtung fasziniert, in eine Sackgasse verrennen und sich an einer verblüffenden, aber nicht stichhaltigen These festbeißen
Angesichts der Diskussionen über das »erfundene Mittelalter«, im Rahmen derer renommierte deutsche Geschichtsprofessoren [u.a. Rudolf Schieffer; HI] im Fernsehen auftreten mussten, um die historische Existenz Karls des Großen zu belegen, wird die Bedeutung von Büttners Rat deutlich. Quellenkritik muss zwischen zwei Polen vermitteln: Erstens dem naiven Vertrauen in jegliche schriftliche Überlieferung und zweitens dem nicht minder ernsten Problem der übermäßig kritischen Zurückweisung von Quellen“ [WK 263].

Hält man sich deswegen an 14C-Messungen, so müssen die erst passend gemacht werden, beispielsweise durch den „sogenannten »Altholzeffekt«“ [WK 90, 187]. Es könnten ja Balken aus schon damals Jahrhunderte altem Holz benutzt worden sein, womöglich in Zweitverwendung, die obendrein nur noch als Holzkohle vorliegen und somit Datierungen hoffnungslos verfälschen. Auf jeden Fall liegen für die vier Ringwallanlagen südlich und südwestlich von  Hamburg noch keine belastbaren Datierungen vor [WK 196]. So bleibt es bei der alle überraschenden Erkenntnis:

„Der kurze Überblick zeigt, dass man Burgen in der nordwestdeutschen Tiefebene während des 8. und 9. Jahrhunderts anscheinend aufgrund politischer und militärischer Ziele errichtet hat“ [WK 196].

Dafür brauchte es einen möglichst ungekrümmten Wahrnehmungshorizont jenseits der Alster bis zumindest nach Emden… [vgl. WK 50].

Ein Lehrstück zu spätsächsischen Doppelgrabenanlagen

Eine solche gibt es in Magdeburg. Ihr Entdecker Ernst Nickel datierte sie über Keramik aus der Verfüllung ins 8. – 10. Jh., um sie nun als Maßnahme Karls d. Gr. zu interpretieren [WK 183]. Dann orientierte sich Rainer Kuhn an 14C-datierten Holzkohleresten und postulierte, mit dem Beginn der Grabenverfüllung sei spätestens im 5./6. Jh. zu rechnen, mit ihrem Fortschreiten im 6./7. Jh. Beide gehen von der überraschenden Prämisse aus, „dass datierbare Objekte aus der Verfüllung von Gräben Aufschluss über den Zeitpunkt ihres Aushubs gäben“ [WK 184], als wenn sich nach abgeschlossenem Aushub Gräben sofort wieder füllen. Zwei im Zusammenhang mit diesem Graben gefundene Tierknochen widerlegten diese Interpretation, denn das eine Tier starb mit hoher Wahrscheinlich zwischen 440 und 604, das andere zwischen 661 und 771. Damit darf der Graben nicht mehr aus dem 5./6. Jh. stammen, weil über ihm ein Grubenhaus angelegt und später verfüllt worden ist [WK 185]. (Offen bleibt, um was für Tiere es sich gehandelt hat, und warum Knochen von Tieren, die wohl im Abstand von 200 Jahren gelebt haben, gemeinsam in der Verfüllung eines Grubenhauses gefunden wurden.)
Ludowici vertritt hingegen die These, der Graben sei in den Jahrzehnten vor oder um 700 gebaut, genutzt und wieder funktionslos geworden“ [WK 185], weil er auch Tierknochen „mit 14C-Daten des späten 7. bis mittleren 10. Jahrhunderts (2-Sigma-Bereich)“ gefunden hat. Und da wäre es gut, wenn Karl oder einer seiner Grafen darüber dann seinen Graben gezogen hätte [ebd.]. Wenn man wie Birgitta Kunz den Altholzeffekt berücksichtigt, lässt sich die Doppelgrabenanlage in das 7./8. Jh. legen [WK 187]. Nach etlichen Vergleichen landauf, landab kommt sie zu dem Schluss:

„Aber die sich kaum mehr als schemenhaft abzeichnende »frühe Burgenlandschaft« zwischen Weser und Elbe muss nicht notwendig mit fränkisch-sächsischen Auseinandersetzungen in Verbindung gebracht werden“ [WK 187].

Der hintere Teil des Begleitbuches beschäftigt sich dann viel mit Wallanlagen unterschiedlicher Provenienz und mit Kirchenbau. Wenn Uwe Lobbedey hier die frühen Bistumssitze (Nieder-)Sachsens miteinander vergleicht, gehört Hamburg eigentlich nicht dazu. Denn wir begegnen z.B. in Osnabrück kirchlichen Steingebäuden des 9. oder sogar 8. Jh. [WK 394] oder wie in Halberstadt einer dreischiffigen Kirche vor 809 [WK 401], während Hamburg sich noch zwei Jahrhunderte später mit einer Holzhütte zufrieden geben musste. In Bremen wäre kurz nach 805 die erste Steinkirche (Periode III) gebaut worden, erst der fünfte, nun dreischiffige Bau dann von Ansgar [WK 403]. Die hier versammelten Auffälligkeiten könnten in anderem Zusammenhang weniger mit der Hammaburg als mit Aachen verglichen werden, um dem zu so unterschiedlichen Zeiten einsetzenden Kirchenbau gerecht zu werden. Dann wird klar werden, wie östlich des Rheins erste Steinkirchen erst nach 950 entstehen und deutlich mehr als ein Jahrhundert Zeit benötigen, um an Aachens technischen Höhenflug heranzureichen.

Wie war das mit dem Stand von 2006?

In dem Riesenvolumen des Hammaburg-Buches fanden nur ein paar Zeilen Platz, um verschämt darauf hinzuweisen, dass die Ausgrabung an ihrem Abschluss am 6. 12. 2006 als Fehlschlag interpretiert worden war. Wir finden zunächst einen vermeintlichen Hinweis bei dem Problem, ob es in Hamburg um eine spätsächsische Burg gehen könnte, die in der Norddeutschen Tiefebene nicht zu finden waren:

„Noch 1993 und 1995 haben Hans-Jürgen Brachmann und Hans-Wilhelm Heine für den Raum zwischen Ems, Elbe, Nordseeküste und Mittelgebirgen bzw. Harz das völlige Fehlen von datierbaren Anlagen dieser Zeitstellung konstatiert, und erst Ralf Busch hielt 1999 eine solche »spätsächsische Burg« für archäologisch nachgewiesen, als er die zwei Ringgräben vom Hamburger Domplatz auf der Basis von 14C-Daten »aus den Grabenverfüllungen und der Innenfläche« als »Doppelgrabenanlage« der Zeit zwischen 600 und 750 n. Chr. gedeutet hat –, und es gehört zu den zentralen Ergebnissen der erneuten Auswertung aller Altgrabungen im Licht der Untersuchungen von 2005/06 durch Karsten Kablitz, dass das nicht bestätigt werden konnte“ [WK 182].

Wer da dächte, es ginge wenigstens hier um das Eingeständnis, die Auswertung sieben Jahre später genau dorthin gedreht zu haben, wo sie Weiss bereits 2006 konträr zu Kablitz sehen wollte, der irrt. Es geht einigermaßen verwaschen darum, dass Kablitz 2005/06 alle früheren Ausgrabungsergebnisse geprüft hat, nicht um die erneute Auswertung seiner eigenen Grabung.

Die Hammaburg des 9. Jh. bleibt ein Mythos. Ihn könnte Adam von Bremen aufgebracht haben [Scior in WK 156]. Weiss hat ihn – „Mythos Hammaburg“ – erfolgreich erneuert.

„Nach dem Ende der Grabungen auf dem Domplatz ist man sich nun in  der Forschung einig, dort die Überreste der Hammaburg gefunden zu haben“ [wiki / Hammaburg].

Was hat es eigentlich mit dieser „Hammaburg“ auf sich? Es geht je nach Bericht und Urkunde um einen karolingischen Bischofs- oder gar Erzbischofssitz, der 834 zusammen mit einem Kloster eingerichtet und bereits 845 von den Wikingern zerstört wird, worauf Ansgar flieht und das Bistum nach Bremen verlegt. Von Karl d. Gr. – wir bewegen uns hier im offiziellen Wissensstand – ist bekannt, dass eine Bischofskirche nur in einer civitas errichtet werden durfte (die angeblich von Heridag errichtete Kirche wäre auch in Hammaburg I möglich gewesen). Auch ist die aus beiden Gräben geborgene Keramik sächsisch, nicht fränkisch-karolingisch. Wir müssen uns den Franken Ansgar tatsächlich als ‘Einzelkämpfer’ unter sächsischen Fischern vorstellen.

Wie die 10 Häuser und Hütten von Hammaburg II, ohne nachgewiesene Kirche und Außenbezirke, eine civitas darstellen könnten, weiß allein Weiss, der freilich seinen Rimbert kennt, der in der Vita Anskarii von der „civitas Hammaburgensis“ spricht [WK 152]. Weiss war klar, dass ein kirchenloser Bischofssitz, dem obendrein die Gräber rings um die Kirche fehlen, problematisch wirkt. Doch er fand die Lösung, keine salomonische, sondern eine mit sanfter Chuzpe vorgetragene:

„Auch Kablitz allerdings folgte der gängigen Sichtweise, nach der er Ansgars Kirche zwangsläufig innerhalb der Befestigung der Hammaburg voraussetzte. Das Fehlen jeglicher für einen Kirchenbau zu beanspruchenden Befundreste innerhalb der Ringgrabenanlage 2 war dann auch der Grund, weshalb der Ausgräber zunächst die Identifizierung dieser Befestigung mit der historischen Hammaburg ablehnte, auch wenn er ihre Datierung in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts überzeugend herausarbeiten konnte. Erst im Zuge der interdisziplinären Diskussion mit verschiedenen Historikern in Vorbereitung der Ausstellung »Mythos Hammaburg« setzte sich die Überzeugung durch, dass der Standort der Kirche innerhalb der Befestigung keineswegs eine conditio sine qua non ist, womit eine neue Diskussionsgrundlage geschaffen war. Durch Wegfall der stets vorausgesetzten Doppelfunktion als Adelssitz und Kirchenstandort erschien Ringgraben 2 plötzlich nicht mehr als zu gering dimensioniert, sondern fügte sich gut in das Bild zeitgenössischer sächsischer und fränkischer Burganlagen (s. Beiträge Christian Frey, Peter Ettel, Thorsten Lemm u. Jens Schneeweiß)“ [Weiss in WK 29 f.].

Hier also der leise Hinweis auf die Uneinsichtigkeit des Ausgräbers. Kein Wort von den sieben Jahren, in denen die Hammaburg heranreifte, um auf einem Kolloquium geboren zu werden; kein Wort davon, dass der Ausgräber sieben Jahre lang zu Recht seine Ablehnung der Hammaburg behaupten  konnte. Es bleibt Weiss als milder Spiritus rector, der allein 2006 das Grabungsergebnis kannte, weil er es vorgegeben hatte.

Aus Sicht des erfundenen Mittelalters

Zunächst zum gefälschten Freibrief Barbarossas für Hamburg ein Interview mit dem Hamburger Historiker Ralf Wiechmann:

Gretzschel/Kummereincke [= G/K]: „war tatsächlich alles Lug und Trug?
Wiechmann: Nein, das klingt so, als ob alles falsch gewesen wäre. So ist es auch nicht. Wir wissen, dass dieser Urkunde später ausgefertigt wurde und einen Zustand heraufbeschwört, der älter ist. Aber man kann mutmaßen, das die darin beschriebenen Privilegien tatsächlich erteilt, nur ursprünglich nicht schriftlich dokumentiert worden sind.
[G/K] Das ist eine These, der einige Historiker widersprechen und der Ansicht sind, dass Barbarossa in Wahrheit Hamburg niemals irgendwelche Privilegien gewährt hat.
Wiechmann: Das kann man mutmaßen, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sich die Hamburger das alles nur aus den Fingern gesogen haben.
[G/K] Im Mittelalter wurde aber bekanntlich gefälscht, was das Zeug hält.
Wiechmann: Das stimmt, das gehört damals ganz selbstverständlich dazu.
[G/K] Waren die Hamburger damals besonders clever?
Wiechmann: Das haben auch andere Städte gemacht, denn alle wollten ihre Eigenständigkeit betonen und sich Stapelprivilegien und Handelsrechte sichern. Das ist nicht ungewöhnlich“ [G/K1 2013, 10, 13].

„»Wir krempeln die Geschichte um«, sagt der Landesarchäologe“ Prof. Weiss [Pohle]. Wir tun es auch, aber viel maßvoller. Wer von drei erfundenen Jahrhunderten ausgeht, erkennt eine sächsische Ansiedlung des 6. Jh., erinnern doch die Bodenstücke von Kümpfen an „Keramik aus sächsischen Bestattungen des 6.–8. Jh.“ [Kablitz in WK 74], liegt auch die nutzbare Innenfläche „im unteren und mittleren Größenbereich sächsischer und auch slawischer Ringwälle des 9. und 10. Jahrhunderts“ [ebd. 75]. In einem sächsischen Ringwall wird niemand eine Kirche vermissen, ganz im Gegenteil! Das war bereits der Stand nach der Ausgrabung in den 80er Jahren: die Doppelkreisgrabenanlage aus dem 5./6. Jh., die Wallgrabenanlage damals nicht aus dem 9., sondern sogar aus dem 10. Jh. [G/K2]. Dass schon die erste Ansiedlung den Namen Hammaburg trug, vertrat Weiss nur zeitweilig [Pohle], denn im Buch schildert er die erste Ringgrabenanlage unter „Hamburg vor der Hammaburg“ [WK 19]. Plausibler wäre die Benennung, wenn in Periode IVa die Wall- und Grabenanlage gebaut wird, die zu Recht „Burg“ hieße. Eigentlich sollte in der winzigen Hammaburg II auch Markgraf Bernhard gelebt haben, doch diese Vorstellung hat sich 2015 mit Eliminierung der „Alsterburg“ erledigt.

Claus Carstens hat im letzten Heft [3/2014, 558] bereits betont, dass es mangels Erzbistum keinen Erzbischof Ansgar gegeben hat, und seine Vita „in dieser Hinsicht“ auch gefälscht sein muss. Diese Vita konnte zu Lebzeiten von Ludwig dem Frommen nicht bekannt gewesen sein, sondern muss eine spätere Fälschung sein [ebd. 559]. Wir bekräftigen dies hier und stellen obendrein klar, dass ein Priester namens Ansgar mangels irgendwelcher Spuren damals nicht gelebt hat, sondern nur in Fälschungen imaginiert worden ist. (Ein Gegenstück dazu ist Liudger, erster Bischof von Münster [romanhaft: Thiel]). Die vermeintlichen Missionsversuche des 9. Jh. wurden erst viel später unternommen: im späten 10. und 11. Jh.

Deshalb ist Abschied zu nehmen von diesem Ansgar, dessen gänzlich erfolgloses Leben sich dadurch begründet, dass man mit seiner Fiktion bestimmte Rechte wie die Mission des Norden, verbunden mit der Ausweitung des Bistums Hamburg-Bremen, möglichst weit zurückführen wollte, um sich der Ansprüche Kölns auf Bremen zu erwehren [Pohle]. Diese Erfindung muss nach der Mitte des 11. Jh. unter Teilnahme Adams von Bremen gelungen sein. Der in Hamburg exponierte, aus dem frühen 12. Jh. [Knibbs, 104] stammende Codex Vicelini vereinigt Vita Anskarii, Vita Rimberti und eine Abschrift der Urkunde Ludwigs des Frommen – und damit ein ganzes Bündel an Fälschungen. Wer sieht, wie oft Angaben zu Ansgar bereits als falsch entlarvt worden sind, kann nun aufatmen, wenn diese ‘ehrwürdige Gestalt’ die Historie verlässt. Dem angeblich in Bremen Verstorbenen hat sein Bistum kein Grab bewahrt – das verbindet ihn mit Karl dem Großen.

Der Autor fühlt er sich darin bestärkt, dass die nördlichen Bistümer allesamt erst nach 911 eingerichtet worden sind; anderslautende Urkunden und Chroniken sind Fälschungen. So bleibt es (fiktiven) Gestalten erspart, in den nicht aufzufindenden Bretterhütten eines weit von einer civitas entfernten, kümmerlichen Hamburgs als Bischof agieren zu müssen, ebenso in den imaginierten Bretterhütten eines noch armseligeren Ribe. Hier gab es offensichtlich Bestattungen, die wie christliche aussehen, denn bei ihrer großen Anzahl können sie nicht nur aus der ‘christlichen’ Zeit von 840 bis 1050 stammen, zumal dort nach der gründlichen Wikingerzerstörung von ca. 850 dort zunächst keine Christen mehr erwartet werden können.
Hamburg selbst beginnt als Hammaburg frühestens im 7.||10. Jh.; davor gab es seit dem 6. Jh. nur einige Fischerhütten hinter Palisaden. Das Christentum wird frühestens im späten 10., wenn nicht erst im 11. Jh. Einzug gehalten haben. Der Dom kündete davon vom frühen 11. Jh. bis 1805. Insofern liegt die Keimzelle Hamburgs wie die drei Wall- oder Palisadenburgen tatsächlich unterm Domplatz. Dafür hätte es allerdings das Riesen-Tamtam um Ausstellung, Kolloquium und das von Weiss vorweggenommene und erst viel später durchgesetzte Grabungsergebnis nicht gebraucht.

Düsteres Geheimnis

Ein Rätsel bleibt. Auf den virtuellen Rekonstruktionen der Hammaburg taucht im Buch regelmäßig ein seltsames Schiff auf: Mindestens 24 Ruder touchieren die unbewegte Wasseroberfläche gerade nicht, das Segel spürt keinen Hauch, ist aber mit einem Davidstern geschmückt, in den ein keltisches Radkreuz eingeschlossen ist [Größte Darstellungen WK 55 und 435; dito Vorsatz und Nachsatz, 12, 470]. Der Davidstern steht erst seit 700 Jahren für die Verbundenheit der Juden mit ihrem Gott, kommt also für eine Hammaburg des 9. Jh. entschieden zu früh. Dasselbe gilt für die beiden sechseckigen Mariensterne im Hamburger Siegel, das erst ab 1241 belegt ist [WK 48]. Das Hexagramm ist aber auch Symbol für das Okkulte, deshalb auch bei Freimaurern und Rosenkreuzern anzutreffen [Scholem], während es Hexer zur Anrufung Satans nutzen.

Das Keltenkreuz steht für den christlichen Glauben, vorrangig den der Iren; es kam auch in Schottland und auf Gotland vor. 1834 wurde zum Gedenken an die 1000-jährige Ankunft Ansgars in Birka ein steinernes Radkreuz errichtet. Außerdem dient das gleichschenklige Radkreuz mittlerweile als ein Symbol der rechtsextremen Szene [wiki / Keltenkreuz]; hier kann der Staatsanwalt einschreiten. Auf dem Segel ist das Radkreuz nach unten verrückt, so dass es wegen der Überschneidung mit dem Davidstern nicht und doch gleichschenklig wirkt. Nachdem bei der ins 9./10. Jh. datierten Hammaburg niemals Juden und Iren oder Schweden gemeinsam als Händler oder auch Räuber zu erwarten sind, geht es hier wohl um eine unübersehbare Demonstration nichthanseatischen Denkens.

Weitere Literatur

Axtmann, Anna siehe http://www.mittelalterarchiv.de/viewpage59.html
Bahnsen, Uwe (2014): Warum der Dom in Hamburg 1804 abgerissen wurde; Die Welt, 01. 02.
Blase, Rolf (2012): Jahrbuch: Geschichte neu schreiben. Das 31. Heft der Stormarn-Reihe ist nicht nur das erste in Farbe, es entlarvt auch die Quelle zum Limes Saxoniae als Fälschung; Stormaner Tageblatt, 15. 11.
Carstens, Claus (2014): Ein Kommentar zur Hammaburg; Zeitensprünge 26 (3) 558-560
dpa (2015): Archäologen wollen Hamburgs Stadtgeschichte umschreiben; Hamburger Abendblatt, 11. 02.
Franz, Angelika (2015): Ausgegraben. Tausend Jahre alte Stämme mitten in Hamburg entdeckt; Spiegel Online Wissenschaft, 23. 02.
G/K2 = Gretzschel, Matthias / Kummereincke, Sven (2014): Hamburg war vom ersten Tag an Stadt der Händler; Hamburger Abendblatt, 25. 01. (Interview mit R.-M. Weiss; Zitate immer sein Wortlaut)
G/K1 = Gretzschel, Matthias / Kummereincke, Sven (²2013): Hamburger Zeitreise.  12 Jahrhunderte Stadtgeschichte; Verlag Hamburger Abendblatt, Hamburg
Illig, Heribert (2014b): Hammaburg allein für Hamburger? Entzugserscheinungen; Zeitensprünge 26 (3) 556 f.
– (2014a): Hammaburg – Hamburg – Humbug? Wie mit Gewalt karolingisiert wird; Zeitensprünge 26 (1) 83-92
– (2013): Protokoll der Podiumsdiskussion am 14. Mai 2013 im Meerscheinschlösschen der Karl-Franzens-Universität in Graz; Zeitensprünge 25 (3) 617-648
– (1998): „Vor einem Abgrund an Falsifikaten“. Mediävistische Schwindelgefühle; Zeitensprünge 10 (3) 461-465
Knibbs, Eric (2011): Ansgar, Rimbert and the Forged Foundations of Hamburg-Bremen; Ashgate, Farnham (GB) · Burlington (VT)
Kölzer, Theo (1997): Brief statt Kritik; in Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur, Achte Diskussionseinheit über Heribert Illig: „Enthält das frühe Mittelalter erfundene Zeit?“ EuS Jg. 8 (4) 481-520
Kummereincke, Sven (2014): Spektakuläre Ausstellung zum Mythos Hammaburg; Hamburger Abendblatt, 29. 10.
Ökumenisches Heiligenlexikon = https://www.heiligenlexikon.de/BiographienA/Ansgar.htm
Pohle, Julika (2014): Fälschung führte Bremen und Hamburg zusammen; Die Welt, 05. 10.
Presseamt (2004): Bischof Liudger kam nicht nach Mimigernaford. Keine sächsische Siedlung in Münsters Frühgeschichte / Archäologische Funde neu interpretiert; Presseservice von Münster, 26. 10.
http://www.muenster.de/stadt/presseservice/custom/news/show/588780/view:example/layout:default
Roesdahl, Else (Red. 1992): Wikinger · Waräger · Normannen · Die Skandinavier und Europa 800–1200; Uddevalla, Schweden (Ausstellung im Alten Museum Berlin, 1992)
Scholem, Gershom (2010): Das Davidschild · Geschichte eines Symbols; Jüdischer Verlag, Frankfurt/M.
tating = http://www.fjoelskylda.de/realia/keramik.html
Thiel, Werner (2005): Schwert aus Pergament; Mantis, Gräfelfing
wiki = Wikipedia Die freie Enzyklopädie http://de.www.wikipedia.org/wiki/<Artikel>
Willmann, Urs (2006): Daneben gegraben. Vieles förderten die Archäologen in Hamburgs Innenstadt zutage. Die Hammaburg war nicht dabei; Zeit Online, 27. 12.
Wirsching, Armin (2015): Gab es eine siedlungsleere Zeit in Schleswig-Holstein im frühen Mittelalter? Zeitensprünge 27 (1) 113-138